Mateusz Morawiecki, Jaroslaw Kaczynski, Beata Szydlo, Mariusz Blaszczak, Ryszard Terlecki, Ryszard Czarnecki
Will ihre De-facto-Niederlage nicht akzeptieren: die Führungsriege der PiS nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse der Parlamentswahl in Polen. Bildrechte: IMAGO/Forum

Polen Angst vor Putsch – wird die PiS die Macht abgeben?

20. Oktober 2023, 10:01 Uhr

Die regierende PiS hat die Wahlen in Polen gewonnen, hat aber keine Mehrheit. Nur eine Koalition von drei Oppositionskräften scheint regierungsfähig. Doch viele Polen sind beunruhigt: Wird die PiS die Macht so einfach abgeben? In der Vergangenheit hat die Partei schon mehrmals Tricks, schmutzige Kniffe und offene Verfassungsbrüche genutzt, um ihre Macht zu festigen.

Monika Sieradzka
Bildrechte: Monika Sieradzka/MDR

Die einzige politische Kraft, die nach acht Jahren PiS-Regierung ein neues Kabinett bilden könnte, ist die Koalition der liberalen Bürgerkoalition mit dem christdemokratischen Dritten Weg und der Neuen Linken. Zwar ist die PiS als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervorgegangen, doch im Parlament hat sie keine Mehrheit. Selbst eine Koalition der PiS mit der rechtsradikalen Konföderation würde daran nichts ändern.

Wahlergebnisse Polen
Wahlliste Prozentergebnis Mandate
Recht und Gerechtigkeit (PiS) 35,38 194
Bürgerkoalition 30,70 157
Dritter Weg 14,40 65
Neue Linke 8,61 26
Konföderation 7,16 18

Es liegt zwar auf der Hand, dass in Polen ein Machtwechsel stattfinden soll. Doch die PiS-Partei ist offenbar noch nicht ganz in der Realität angekommen. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński erklärte am Wahlabend seine Partei zum Sieger und warnte gleichzeitig vor "Tagen des Kampfes und der Spannungen aller Art". Viele Anhänger der Opposition befürchten deshalb, dass die PiS mit juristischen Tricks oder gar einem Putsch versuchen wird, die Macht zu behalten.

General warnt vor Staatsstreich

In einem Interview mit der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", das drei Tage vor der Wahl erschien, warnte General Piotr Pytel, ehemaliger Leiter des Militärischen Abschirmdienstes, vor einem möglichen Gewaltszenario. Die PiS könnte im Fall einer verlorenen oder unentschiedenen Wahl das Militär auf die Straße befehlen. Die Möglichkeit einer friedlichen Machtübergabe schätzte der General als gering ein. "Im Militär ist das ein Gesprächsthema und alle rechnen mit einem solchen Szenario", so der General. "In Anbetracht der bisherigen 'Erfolgsbilanz' der PiS, was Rechts- und Verfassungsbrüche angeht, schließe ich mich den in der Öffentlichkeit kursierenden Thesen an, dass sie die Macht nicht friedlich abgeben werden", fügte er hinzu.

Sie werden die Macht nicht friedlich abgeben.

Piotr Pytel, General im Ruhestand

Zahlreiche Führungspositionen in der polnischen Armee seien mit Offizieren besetzt worden, die sich aus der 2016 von der PiS gegründeten "Territorialverteidigung" rekrutieren – dieser Teil der Armee könne von der Politik gesteuert werden. Die gezielte Stärkung dieser Fraktion sowie Vorbereitungen auf eine gewaltsame Lösung nach einer Wahlniederlage könnten laut Pytel den Rücktritt zweier höchstrangiger Generäle wenige Tage vor dem Urnengang erklären.

"Recht und Gerechtigkeit" – eine Partei der Rechtsbrüche

Proteste vor dem polnischen Verfassungsgericht in Warschau
Proteste gegen die rechtswidrige Besetzung des Verfassungsgerichts mit PiS-hörigen Richtern (2016) Bildrechte: imago/Eastnews

Doch auch ohne einen Staatstreich könnte die PiS versuchen, mit juristischen Tricks und offenen Rechtsbrüchen, an der Macht zu bleiben, befürchten viele Anhänger der Opposition. Aus gutem Grund, denn die PiS, deren voller Name übersetzt "Recht und Gerechtigkeit" lautet, hat schon mehrmals bewiesen, dass sie von Recht und Gesetz nicht viel hält und selbst vor Verfassungsbrüchen nicht zurückscheut, wenn es um die Verwirklichung ihrer politischen Ziele geht.

Das wohl bekannteste Beispiel: Um das Justizsystem unter Kontrolle zu bringen, hat die PiS gleich zu Beginn ihrer ersten Amtszeit (2015-2019) mehrere parteitreue Juristen als Richter des Verfassungsgerichts berufen, obwohl ihre Sitze bereits von anderen, noch vom alten Parlament gewählten Richtern besetzt waren. Präsident Andrzej Duda, selbst studierter Jurist und ehemaliges PiS-Mitglied, hat diese "Dubletten-Richter", wie sie in Polen genannt werden, verfassungswidrig vereidigt.

Polen: Wahlabend der Bürgerkoalition, Donald Tusk
Wird vermutlich in zweiter Runde neuer Regierungschef: Donald Tusk, Chef der größten Oppositionskraft Bürgerplattform. Bildrechte: IMAGO / Forum

Im Dezember 2016 schloss die PiS die Opposition aus der Abstimmung über das Haushaltsgesetz aus, indem sie die Parlamentstagung aus dem Plenarsaal in einen Nebenraum verlegte. Als der Warschauer Richter Igor Tuleya diesen Verstoß gegen die Parlamentsordnung in einer Gerichtsverhandlung öffentlich machte, wurde er vom Dienst suspendiert. Derartige Rechtsbrüche und Verfahrenstricks wurden in den Folgejahren zu einem Markenzeichen der PiS. Weder Kritik aus Brüssel noch mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs gegen Polen haben die PiS davon abgehalten.

Nach diesen Erfahrungen fürchten viele Polen, dass die PiS auch jetzt mit ähnlichen Kniffen die Bildung einer Koalitionsregierung der bisherigen Opposition blockiert.

Opposition will schnellen Machtwechsel

Der erste Schritt nach der Wahl liegt beim Präsidenten. Andrzej Duda hat schon angekündigt, dass er einen Kandidaten der Partei mit den meisten Stimmen mit der Regierungsbildung beauftragen wird, also der PiS.

Präsident Andrzej Duda bei der Stimmabgabe
Hat das erste Wort bei der Regierungsbildung: Polens PiS-naher Präsident Andrzej Duda. Bildrechte: IMAGO / Eastnews

Nach dieser Wahl sei aber eindeutig der Oppositionsblock der Sieger und nicht die PiS, argumentierte Borys Budka von der Bürgerkoalition im Gespräch mit dem Sender TVN24. Er hoffe, dass Präsident Duda "nicht versuchen wird, wieder mal Teil des Kaczyński-Lagers zu werden, denn vom Staatsoberhaupt erwartet man unabhängige Entscheidungen".

Doch die Chance, dass ein Kandidat der Opposition als künftiger Ministerpräsident designiert wird, scheint klein zu sein. Das geschieht vermutlich erst, wenn die PiS-Regierung das vorgeschriebene Vertrauensvotum nicht bekommt, das jede neue Regierung laut Artikel 154 der Verfassung vom Parlament bekommen muss. In diesem Fall beginnt ein zweiter Anlauf, bei dem nicht mehr der PiS-nahe Präsident Duda, sondern das Parlament den neuen Regierungschef benennt. Die Regierungsbildung könnte sich so bis kurz vor Weihnachten hinziehen, wenn der Präsident alle verfassungsmäßig vorgeschriebenen Fristen so lange wie möglich hinauszögert.

Die PiS spielt auf Zeit

Und die Zeit ist ein Faktor, der für die PiS spielt. Damit hätte die Partei mehr Spielraum, um ihre Position im Parlament zu stärken. In der Vergangenheit hat sie schon mehrmals Politiker anderer Parteien mit hohen Ämtern auf die eigene Seite gezogen und damit kleinere Fraktionen gespalten. Diesmal könnte sie dasselbe mit der Konföderation und mit dem sehr heterogenen Wahlbündnis Dritter Weg versuchen, in der Hoffnung, doch noch eine regierungsfähige Mehrheit zu erreichen. Wenn der Präsident die erste Sejm-Sitzung zum spätmöglichsten Termin, also in 30 Tagen, anordnet, dann würde die PiS einen ganzen Monat gewinnen.

Menschen stehen in einem polnischen Wahllokal.
Schlangestehen für die Demokratie: Die Wahlbeteiligung erreichte mit 74 Prozent einen Rekordwert. Bildrechte: IMAGO/Eastnews

PiS-Politiker hören jedenfalls nicht auf, vom Sieg zu sprechen und schmieden bereits Koalitionspläne. "Wir haben diese Wahl gewonnen", sagte etwa Marek Suski, Vize-Chef der PiS-Fraktion im Sejm. "Und jetzt werden wir in erster Linie versuchen, die Regierung zu bilden", fügte er hinzu. Zumindest jetzt stößt er damit aber auf wenig Gegenliebe bei den potenziellen Koalitionskräften. "Wir haben angekündigt, dass wir weder mit der PiS noch mit der Bürgerplattform eine Koalition eingehen werden, und daran halten wir uns auch", sagte Krzysztof Bosak von der rechtsextremen Konföderation dem Radiosender RMF FM. "Vergebliche Liebesmüh", sagte Marek Sawicki vom Bauernflügel im Dritten Weg und fügte noch hinzu: "Die sollen lieber ein paar Umzugskartons bei Ikea holen, statt uns zu belästigen."

Ein Weiteres bliebe aber auch dann noch: Die PiS könnte die Verabschiedung des Haushalts hinausschieben. Laut Verfassung muss der Haushalt 2024 bis Ende Januar stehen. Wenn das nicht geschieht, kann der Präsident das Parlament auflösen. In einer solchen Situation würde es bereits im Frühjahr zu einer neuen Parlamentswahl kommen.

Viele weisen auch darauf hin, dass der Senat des Obersten Gerichtshofs, der die Richtigkeit der Wahl bestätigen muss und über Wahlbeschwerden befinden muss, mit PiS-nahen Richtern besetzt ist. Angesichts der berühmt-berüchtigten Gewieftheit der PiS scheint also nur eines klar zu sein: Im besten Fall erwartet Polen eine lange und langwierige Machtübergabe – und im schlimmsten Fall nach Ansicht von Pessimisten ein blutiger Machtkampf mit bürgerkriegsähnlichen Szenen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. Oktober 2023 | 06:35 Uhr

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