Ungarn Zweitklassige Verbraucher oder erstklassiger Populismus?
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27. September 2017, 16:13 Uhr
In Osteuropa sind Verbraucher und Politiker sauer: Lebensmittel internationaler Hersteller sollen in osteuropäischen Supermärkten von minderer Qualität sein. Auf jeden Fall unterscheiden sich die Rezepturen.
Das österreichische "Ariel" wäscht einfach schöner. Meine Mama sagte das schon vor vielen Jahren, und sie steht immer noch zu ihrer Meinung. Ihre Freundin beschwört, dass die "Manner Napolitaner"-Waffel aus Österreich besser schmeckt als die aus ungarischen Supermärkten.
Meine Eltern leben an der Grenze zu Österreich, in einer Gemeinde nicht weit von Sopron, und kaufen Lebensmittel und Haushaltwaren oft bei den österreichischen Nachbarn ein. So, wie das viele Ungarn in Grenznähe tun. Meine Mama erklärt: Erstens sei das Angebot dort größer, zweitens koste es nicht viel mehr als in Ungarn, drittens gebe es viele Sonderangebote und viertens sei die Qualität, vor allem von Waschmitteln und gewissen Lebensmitteln, deutlich besser.
Was ungarische Hausfrauen untereinander schon lange plaudern, wurde jetzt von Lebensmittel-Aufsichtsbehörden untermauert, sogar aus zwei Ländern, aus der Slowakei und Ungarn. Beide bemängeln, dass Produkte internationaler Hersteller in Mittel- und Osteuropa von minderer Qualität seien als in den westlichen EU-Staaten. Zumindest aber: Von anderer Qualität.
24 Produkte untersucht – durch Sehen, Riechen, Kosten
Die Mitarbeiter der ungarischen Behörde NÉBIH haben 24 Lebensmittel verglichen: Schokoladen, Kekse, Joghurts, Instant-Suppen, Getränke. Bei den meisten Produkten haben sie sogenannte "sinnesorganische Unterschiede" gefunden: Den Milchreis von "Landliebe" aus Österreich fanden sie cremiger und sahniger, der "Actimel Joghurt" erinnerte sie mehr an echtes Obst, die ungarische Variante sei dagegen nur süßlich. Ungarisches "Nutella" schien weniger weich und streichfähig zu sein und auch die Waffeln von "Manner" seien in der österreichischen Variante irgendwie besser gewesen.
Unterschiede in der tatsächlichen Zusammensetzung kamen dagegen selten vor. "Coca Cola", gekauft in Ungarn, hat etwas mehr (0,6 Prozent) Zuckergehalt als im Westen; in der Thunfischkonserve von "Rio Mare" haben die Kontrolleure zwei Prozent weniger Inhalt, sprich Fisch gefunden. Als das absolut negative Beispiel präsentiert man die "Knorr Instant Rindersuppe mit Nudeln und Fleischknödeln": Die österreichischen Verbraucher bekämen 2 Prozent mehr Nudeln, 3 Prozent mehr Möhren und etwa doppelt so viel Knödel, so die Tester.
Beleidigung der Ost- und Mitteleuropäer?
Doppelte Standards, hieß es umgehend in Ungarn. Die Bürger in Ost- und Mitteleuropa würden – wieder einmal - als Bürger zweiter Klasse behandelt. Die Agrarminister von Ungarn und der Slowakei haben sich sofort zusammengeschlossen und eine Vorlage an die Europäische Komission eingereicht, der sich inzwischen weitere Länder angeschlossen haben. Sie fordern gleiche Qualität und wollen eine umfassende EU-Regelung, um "schwarze Schafe" unter den Herstellern herausfiltern und sanktionieren zu können.
Bevor man sich aber über Verschwörungstheorien Gedanken macht: Dieses Thema ist sehr sensibel und heikel in Osteuropa, in Ungarn ganz besonders. Viele Menschen meinen, dass die Länder in Mittel- und Osteuropa von den älteren, reicheren EU-Mitgliedsstaaten ausgebeutet werden. Die besten landwirtschaftlichen Produkte, die intelligentesten Arbeitskräfte und die besten Ideen würden ihnen vom Westen weggenommen. Wenn man Ungarn zu den Tests über die Lebensmittel befragt, sagen die meisten sofort "Ja" - ohne überhaupt Konkretes zu wissen. Es sei doch ganz klar, dass westliche Firmen die Osteuropäer mit schlechteren Lebensmittel versorgten. Und: Es verwundert keineswegs, dass patriotische Stimmen und nationalistische Gefühle bei diesem Thema eine große Rolle spielen.
Mangelnde Transparenz
Fakt ist allerdings auch: Die Untersuchungen der Lebensmittelbehörden sind weder transparent noch verifizierbar. Die betroffenen Lebensmittelproduzenten beklagen, dass sie keine Antwort auf die Frage bekommen hätten, nach welchen Kriterien die Untersuchungen durchgeführt wurden. Haben die Kontrolleure jeweils eine, drei, vier oder fünf Proben miteinander verglichen - oder etwa 20? Haben sie nur Stichproben gemacht - oder waren sie auch im Labor? Zoltán Fekete, Generalsekretär des Ungarischen Markenverbandes, behauptet: Für die Firmen sei es in jedem Falle am günstigsten, wenn sie ein Produkt in derselben Fabrik auf derselben Produktionslinie herstellten. Unterschiede könnten lediglich aus zwei Gründen entstehen: Entweder die Grundstoffe seien andere, wie etwa im Falle von Milchprodukten, wo die Qualität der Milch selbst eine andere sein könne. Die andere Möglichkeit: Die Markenhersteller versuchten, sich den jeweils nationalen Geschmäckern anzupassen. Das seien dann aber keine Qualitätsmängel, sagt Fekete.
Der ungarische Agrarminister, Fazekas Sándor, hat vor kurzem eine neue, umfassendere Untersuchung in Ungarn angeordnet, mit 100 internationalen Produkten aus dem In- und Ausland. Übrigens: Wer Schokolade liebt, sollte keine Sorge haben. Laut der jetztigen Testreihen schmecken die meisten Sorten überall gleich (gut).
(Zuerst veröffentlicht am 10.03.2017)