Häusliche Gewalt Kosovo: Blumen zum Frauentag, Schläge im Alltag
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09. März 2024, 09:58 Uhr
Zum Frauentag Blumen und Pralinen, im Alltag die Faust ins Gesicht - so oder so ähnlich sieht die Realität in manchen kosovarischen Familien aus. Nach außen hin gelten Frauen als die Zierde ihrer Ehemänner, beim Ausgehen in den Szene-Vierteln der Hauptstadt Pristina attraktiv geschminkt und angezogen. Doch in den eigenen vier Wänden mehren sich Fälle von häuslicher Gewalt. Auch sonst ziehen Frauen im Kosovo oft den Kürzeren.
Mit dem Namen Drenusha Latifi hat Kosovo bis zum 29. Februar 2024 immer Schönheit und Erfolg verbunden, ist sie doch eine gekürte Miss Kosovo. Aber ihr Fernsehauftritt an diesem Tag hatte nichts mit ihrer Auszeichnung zu tun, im Gegenteil: Sie schockierte die Zuschauer mit Bildern, die ihr Gesicht zeigten, nachdem sie von ihrem Partner geschlagen wurde. Schon zwei Tage vorher hatte sie dies im selben Sender behauptet, aber ihr Partner sagte tags darauf an gleicher Stelle, sie habe das alles nur erfunden. Für Drenusha ist das ein Beweis dafür, dass man in Kosovo Männern eher glaubt als Frauen. Deshalb zeigte sie der Öffentlichkeit ihr geschwollenes, blau geschlagenes Gesicht.
Zum Frauentag verwöhnt und beschenkt ...
Einen ganz anderen Eindruck bekommt man alljährlich am 8. März, dem Internationalen Frauentag. Alle Frauen in der Familie werden mit Blumen beschenkt, geehrt und verwöhnt. Zana Asllani, die Direktorin des Frauenhauses in Pristina, hält nichts von diesem Brauch. "Der 8. März ist zur Erinnerung an die Frauen entstanden, die für ihre Rechte, für die Gleichberechtigung und für ein Wahlrecht gekämpft haben. Da gäbe es Handlungsbedarf!", sagt sie im Gespräch mit dem MDR.
Ähnlich sieht das auch die Soziologin Bukurije Rrustemi, die die kosovarische patriarchalische Gesellschaft, in der die Männer über die Familie bestimmen, als Hauptproblem ausmacht. Und was die Situation noch schlimmer macht, ist, "dass die Frauen immer akzeptieren müssen, was die Männer sagen", berichtet sie. "Auch in der Familie müssen Frauen den Mund halten." Obwohl die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kosovo gesetzlich geregelt ist, würden die Gesetze nicht respektiert. Das belegt auch die Tatsache, dass der Expertin zufolge nur vier Prozent der Frauen tatsächlich das ihnen zustehende Erbe bekommen und nur zehn Prozent der Frauen auch im Grundbuch eingetragen werden.
... im Alltag gehorsam und demütig
Die Ungleichbehandlung beginnt in Kosovo gleich nach der Geburt. "Die Mädchen hier lernen von Anfang an: Sie müssen dem Mann gehorchen", sagt die Soziologin. "Sie bekommen eingetrichtert, dass sie auf keinen Fall ihre Ehe gefährden dürfen", weil eine Scheidung hier eine Schande bedeutet, eine Schande, an der "die geschiedene Frau immer schuld ist." Diese Sozialisation zeigt Wirkung. Frauen lassen sich häusliche Gewalt sehr lange gefallen. Die offizielle Statistik über misshandelte Frauen im Kosovo liefert ein trauriges Bild: 1.593 Frauen wurden 2019 darin von der Polizei registriert - vier Jahre später waren es 2.120, also ein Drittel mehr.
Diese Zahlen kennt auch die Feministin Zana Avdiu, die kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um das Verhalten der kosovarischen Männer geht - weshalb sie regelmäßig in den Sozialen Medien deren Zorn und Hasstriaden ausgesetzt ist. Nach ihrer Kritik an dem kosovarisch-stämmigen Fußballspieler Granit Xhaka, der die Schweizer Nationalmannschaft als Kapitän anführt und sich bei einem WM-Gruppenspiel 2022 in den Schritt griff, wohl um die gegnerische Mannnschaft aus Serbien zu beleidigen, musste sie sogar unter Polizeischutz gestellt werden, weil sie Mord- und Vergewaltigungsdrohungen bekam.
Aktuell sehen sich die Männer angegriffen, wenn Avdiu in der Debatte um künstliche Befruchtung sagt, dass Frauen keine Männer mehr brauchen, um schwanger zu werden. Offen prangert sie an: "Wenn diese Menschen die Familie so sehr lieben, wenn sie die Werte der Familie so sehr lieben, warum gibt es dann überall Gewalt? Mehr als 69 Prozent der Frauen im Kosovo erleben Gewalt." Für sie ist der Kern des Problems in beiden Fällen einfach erklärt: "Frauen im Kosovo dürfen Männer nicht kritisieren."
Häusliche Gewalt oft ohne Strafe
Wie frauenfeindlich die kosovarische Gesellschaft ist, zeigt auch das Beispiel von Luljeta Aliu. Bereits vor acht Jahren brachte sie ihren Fall von körperlicher, psychischer und wirtschaftlicher Gewalt zur Anzeige. "Bis heute ist nichts passiert!", empört sie sich. "Keine der Strafanzeigen wurde weiterverfolgt." Für sie ist das wie eine Einladung an die Täter.
"Die Staatsanwaltschaften lassen solche Fälle absichtlich liegen, bis die Verjährungsfristen abgelaufen sind, oder sie schlagen die Fälle einfach nieder." Damit müssen die Frauen ihrer Meinung nach nicht nur gegen ihre gewalttätigen Männer kämpfen, sondern auch gegen die Polizei und das Rechtssystem. "Ich als Frau muss alleine gegen alle kämpfen", bringt sie ihre Erfahrungen frustriert auf den Punkt.
Zufluchtsort Frauenhaus
Für Frauen, die Gewalt zu Hause erleiden mussten, gibt es in der Regel als Zufluchtsort nur die Frauenhäuser. Zana Asllani kennt die Fälle und weiß: "Die Frauen zögern lange und halten viel aus, bevor sie zur Polizei gehen, weil sie genau wissen, dass sie danach kein Zuhause mehr haben." Sie versichert, dass keine Frau abgewiesen wird, die an ihre Tür klopft. Asllani hat 24 Zimmer zur Verfügung, die sie Frauen allein oder Müttern mit ihren Kindern anbieten kann. Auch sie bestätigt, dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt: Zwischen 2022 und 2023 stieg die offizielle Zahl der Opfer in Pristina von 141 auf 171.
Die Frauen dürfen bis zu sechs Monate in den Frauenhäusern bleiben. Aber Asllani unterstreicht, "sie müssen nicht gehen, ohne dass wir eine Lösung gefunden haben, wo sie ein sicheres Leben führen können, weit weg von dem Gewalttäter." Dazu gehört auch eine eigene wirtschaftliche Existenz, die ein unabhängiges Leben ermöglicht.
Wirtschaftliche Unabhängigkeit
Da gibt es immerhin eine positive Entwicklung in Pristina: "In letzter Zeit gibt es mehr Geschäfte und Unternehmen, die den Opfern Arbeit anbieten, als das früher der Fall war." So können auch getrennt lebende Frauen wie Luljeta Aliu sich den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder selbst verdienen. Die 45-Jährige arbeitet bei der Unabhängigen Medienkommission, die den audiovisuellen Markt im Land reguliert und Sendelizenzen vergibt.
Das öffentliche Anprangern der häuslichen Gewalt durch Miss Kosovo in einem TV-Sender brachte das Tabu-Thema mit Wucht an die Oberfläche und in die Diskussionsrunden. Klar ist: Die kosovarische Gesellschaft muss umdenken, wenn die Gewalt gegen Frauen zurückgehen soll. Doch das wird aller Voraussicht nach noch einige Generationen brauchen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten - Der Osteuropa-Podcast | 09. März 2024 | 07:17 Uhr