Der russische Präsident Wladimir Putin unbd der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew(li.)
Wie gefährlich der russische Präsident Putin dem kasachischen Präsidenten Tokajew und der Einheit Kasachstans werden kann, ist gerade noch unklar. Bildrechte: imago images/SNA

Zentralasien Kasachstan: Bald ein Teil Russlands?

13. Januar 2022, 18:11 Uhr

Gerade haben Russland und die Nato-Länder über den Ukrainekonflikt beraten. Doch auch in Kasachstan befinden sich russische Truppen und auch dort könnte Russland Gebietsansprüche geltend machen. Bliebe Kasachstan dauerhaft instabil, wäre das nicht nur ein lokales Problem, sondern auch eines für die globale Wirtschaft und für die geopolitischen Interessen von China und den USA.

Nach Demonstrationen und Ausschreitungen in dem zentralasiatischen Land ist nun scheinbar wieder Ruhe eingekehrt. Doch ist das wirklich so? Vergangene Woche hatte Präsident Kassim-Schomart Tokajew das von Russland angeführte Militärbündnis OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) aus fünf ehemaligen Sowjetrepubliken ins Land gerufen, um die "terroristische Gefahr" zu überwinden. Die Präsenz russischer Truppen im Land muss dem autoritär regierenden Tokajew allerdings auch die Gebietsansprüche ins Gedächtnis rufen, die Russland in Kasachstan haben könnte. Überdies lassen die Unruhen der letzten Woche erahnen, wie sich eine länger andauernde Instabilität im Land auf die Weltwirtschaft auswirken könnte.

Russlands mögliche territoriale Ansprüche an Kasachstan

Obwohl die instabile Lage in Kasachstan als ungünstig für Russland bezeichnet worden ist, könnte Putin die innenpolitischen Unruhen in Kasachstan als Vorwand nutzen, um einen Teil Nordkasachstans zu erobern. Die Ansprüche des Kremls auf Teile Nordkasachstans haben eine lange Vorgeschichte – und führen zurück auf den Zerfall der Sowjetunion. Schon als das Riesenreich Anfang der 1990er Jahre seinen letzten Atemzug machte und die ehemaligen Sowjetrepubliken als unabhängige Staaten entstanden, machte der damalige russische Staatschef Boris Jelzin deutlich, dass die Grenzen aus der Sowjetzeit die Interessen des Kremls möglicherweise nicht vollständig widerspiegeln.

Jelzins Pressesprecher konkretisierte, dass Moskau vier Regionen für eine mögliche Grenzrevision ins Auge gefasst hat. Die erste befindet sich in Georgien. Dort hatten sich 2008 mit militärischer Hilfe Russlands die Regionen Abchasien und Südossetien von Georgien abgetrennt. Außer von Moskau, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind, werden sie jedoch von kaum einem Land der Welt als souveräne Staaten anerkannt. Die zweite und dritte Region, in denen der Kreml bereits unter Jelzin Grenzrevisionen erwogen hat, sind die Krim und der Donbass in der Ukraine. Während Russland die Krim 2014 annektiert hat, unterstützt es im Donbass die pro-russischen Separatisten in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Die vierte ist die einzige Region, die Russland noch nicht in seinen Einflussbereich gebracht hat: Nordkasachstan. Dort lebt auch ein Großteil der russischen Minderheit Kasachstans, die etwa ein Fünftel der rund 19 Millionen Einwohner des Landes ausmacht.

russische Soldaten steigen aus einem Flugzeug
Russische Soldaten verlassen ein Iljushin IL-76-Flugzeug. Kasachstans Präsident Tokajew hatte sie als Teil des russisch geführten Militärbündnisses OVKS Anfang Januar ins Land gerufen. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Zustimmung zu russischem Nordkasachstan in Russlands Eliten

In den letzten Jahren haben die Abgeordneten der russischen Staatsduma den Norden Kasachstans zunehmend als rechtmäßig russisch bezeichnet. Der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft der Staatsduma machte klar, Nordkasachstan sei bis zur russischen Kolonisierung im 18. Jahrhundert praktisch "unbewohnt" gewesen. Ein anderer Abgeordneter behauptete, Kasachstan habe russisches Land einfach "gepachtet". Selbst Kritiker des Sowjetregimes, wie der Schriftsteller Alexander Solschenizyn, behaupteten, Nordkasachstan sei rechtmäßig russisch.

In seiner diesjährigen Weihnachtspredigt bekräftigte schließlich auch das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche Patriarch Kirill diesen Anspruch, indem er das Gebiet von Kasachstan "das Land des historischen Russlands" nannte. Russia Today-Chefin Margarita Simonjan stellte ihrerseits umgehend eine Liste von Forderungen an die kasachischen Behörden auf, darunter die Anerkennung der russischen Ansprüche auf die Krim, die Beibehaltung der kyrillischen Schrift und die Erhebung des Russischen zur zweiten Staatssprache des Landes.

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Wird Russland seine Ansprüche militärisch durchsetzen?

Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen der Behauptung und der Verwirklichung eines Anspruchs. Zu sagen, dass ein Gebiet zu Russland gehören muss, ist nicht dasselbe wie zu sagen: "Nächste Woche werden sich Panzer entlang der russischen Grenze zu Kasachstan aufstellen und nach Süden fahren". Die jüngsten Äußerungen aus Russland sind eher eine Erinnerung an die kasachischen Behörden, dass Russland Ansprüche hat und diese auch tatkräftig vorantreiben kann, wenn es dies für richtig hält.

Präsidentenpalast in Astana , Kasachstan.
1997 verlegte der Langzeitpräsident Kasachstans Nursultan Nasarbajew die Hauptstadt von Almaty ins 1.200 km entfernte Astana. 2019 wurde die Hauptstadt in der Steppe dann ihm zu Ehren in Nur-Sultan umbenannt. Bildrechte: IMAGO / photothek

Die Gefahr einer regionalen Abspaltung von Teilen Nordkasachstans war auch der Grund für die Entscheidung der kasachischen Regierung von 1997, die Hauptstadt des Landes von der südlichen Stadt Almaty nach Astana (kürzlich in Nur-Sultan umbenannt) zu verlegen, das viel näher an den nördlichen Landesteilen liegt. Im Moment scheint es jedoch, dass Moskau und Tokajew an einem Strang ziehen: Sie konzentrieren sich darauf, "Terroristen" zu bekämpfen und die Stabilität wiederherzustellen.

Auswirkungen auf die Weltwirtshaft

Vor weniger als einem Jahr verbannte China alle seine Kryptowährungsschürfer aus dem Land. Viele von ihnen suchten im benachbarten Kasachstan Zuflucht. Aber Monate nachdem sich diese Krypto-Migranten niedergelassen hatten, haben sich die Proteste Anfang Januar wegen der steigenden Treibstoffpreise zu den schlimmsten Unruhen entwickelt, die das Land seit Jahrzehnten erlebt hat. Und die Krypto-Bergleute stecken mittendrin.

Tokajew ordnete während der jüngsten Unruhen an, dass der Telekommunikationsanbieter des Landes den Internetdienst einstellt, tagelang blieb das Internet abgeschaltet. Dies hat zum Zusammenbruch des kasachischen Bitcoin-Mining-Netzwerks geführt, das nach den USA das zweitgrößte der Welt ist. Mit dem landesweiten Internet-Blackout konnten die in Kasachstan ansässigen Miner nun nicht mehr auf das Bitcoin-Netzwerk zugreifen. Dies führte am vorigen Donnerstag zu einem starken Kursverlust der Kryptowährung.

Uranbergbau, Kasachstan
In Kasachstans Westen, wo Anfang Januar die Proteste begannen, wird Uran gefördert. Zurück bleiben riesige Tagebaulöcher. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Die Unruhen ließen aber auch die Preise für Öl und Uran stark schwanken. Auf Kasachstan entfallen rund 40 Prozent der weltweiten Uranlieferungen und es verfügt über rund 30 Milliarden Barrel (drei Prozent) der weltweiten Ölreserven. Im Zuge der Proteste stiegen die Uranpreise am 7. Januar im Laufe des Tages um rund acht Prozent von 42 US-Dollar auf 45,25 US-Dollar pro Pfund. In ähnlicher Weise stiegen auch die Ölpreise am 6. Januar um etwa 2 Prozent, bevor sie am nächsten Tag wieder leicht sanken.

Auch China und die USA haben Interessen in Kasachstan

Geografisch und geopolitisch gesehen, befindet sich Kasachstan an einem sehr wichtigen Ort. Es grenzt nicht nur an China und Russland, sondern ist auch wegen seiner Nähe zu Afghanistan bedeutsam. Die USA haben ein klares Interesse an der Terrorismusbekämpfung in der Region, nachdem Afghanistan letztes Jahr von den Taliban erobert wurde. Und dann ist da noch China. In den letzten Jahren hat die wirtschaftliche und energiepolitische Zusammenarbeit zwischen Kasachstan und China stark zugenommen – etwas, das die USA mit Argusaugen beobachten. Kasachstan liegt auf der Route von Chinas ehrgeiziger "Belt and Road"-Initiative. Infolgedessen wird jede Instabilität in Kasachstan die Bedenken Pekings hinsichtlich der Sicherheit der Route durch Zentralasien verstärken.

Kasachstan befindet sich also nach wie vor in einer schwierigen Situation, die mit einer zunehmend komplexen innenpolitischen Lage und wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen einhergeht. Zwar fand mit dem Machtwechsel in Kasachstan von Nasarbajew zu Tokajew im Jahr 2019 bereits eine ernsthafte geopolitische Umstrukturierung in der Region statt. Die wichtigsten Ereignisse in Kasachstan liegen aber noch vor uns.

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Fernshen | 11. Januar 2022 | 19:30 Uhr

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