Kasachstan – Nomaden im Ölrausch
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15. November 2021, 17:45 Uhr
Wer bei Kasachstan an Steppe und Pferdezucht denkt, kennt nur einen Teil der kasachischen Lebenswirklichkeit. Dank reicher Bodenschätze entwickelt sich das Land gerade zu einer potenten Industrienation.
Im Mai 2014 unterzeichnete Russlands Präsident Putin mit den Staatschefs von Weißrussland und Kasachstan den Vertrag für eine eurasische Wirtschaftsunion. Für Russland ist der Nachbar Kasachstan, neuntgrößtes Land der Welt, ein verlässlicher Partner in der Region. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es hier, anders als in der Ukraine oder in den baltischen Staaten keine Unabhängigkeitsbewegung. Das Land erklärte eher notgedrungen am 16.12.1991 als letzte der einstigen Unionsrepubliken seine Unabhängigkeit.
Staatschef mit Hang zum Personenkult
Nursultan Nasarbajew - diktatorischer Staatschef mit Hang zum Personenkult - war schon als Präsident der Sowjetrepublik im Amt. Bei den letzten "demokratischen" Präsidentschaftswahlen 2011 wurde er mit 95,5 Prozent der Stimmen wieder gewählt. Die OSZE sprach damals von "gravierenden Unregelmäßigkeiten" im Wahlablauf.
Der autokratisch regierende Präsident, der Medien zensieren und Kritiker drangsalieren lässt, hat trotz allem einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Unter ihm erlebt das Land bis heute eine Periode der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Wachstums. 2012 wurde zu Ehren Nasarbajews der Feiertag "Tag des ersten Präsidenten" eingeführt. Seine Familie soll ein Vermögen von sieben Milliarden US-Dollar besitzen.
Land und Leute
Kasachstan war einst geprägt durch nomadisch lebende Stämme, die in Jurten lebten und ihr Vieh über die weiten Steppen trieben. Stalin versuchte durch eine gezielt hervorgerufene Hungersnot, den Nomaden das Umherziehen auszutreiben, weil er sie so besser unter Kontrolle hatte. Schätzungsweise verhungerte damals ein Viertel der kasachischen Bevölkerung. Unter dem sowjetischen Präsidenten Chruschtschow begann eine weitere tiefgreifende Veränderung des Landes – in nur wenigen Jahren wurde die zentralasiatische Unionsrepublik zur Kornkammer des sowjetischen Reiches. 25 Millionen Hektar wurden damals für den Getreide- und Reisanbau urbar gemacht.
Um die riesigen, niederschlagsarmen Felder zu bewässern, zapften Kasachstan und das benachbarte Usbekistan die Zuflüsse des Aralsees an. Der einst viertgrößte Binnensee der Erde trocknete aus. Heute hat der See vier Fünftel seiner ursprünglichen Ausdehnung eingebüßt. Experten sprechen von einer der größten Umweltkatastrophen der Welt. Einstige Hafenstädte liegen nun mehr als 100 Kilometer von der Küste entfernt. Doch es gibt wieder etwas Hoffnung für den See: Die Kasachen haben 2005 einen Staudamm fertig gestellt, um den Nordteil des Sees zu stabilisieren. Dort ist der Wasserspiegel inzwischen wieder gestiegen.
Auch für andere ambitionierte Projekte der Sowjetunion eignete sich das dünn besiedelte Land, das zu mehr als einem Viertel aus Steppe besteht. In der Nähe der Stadt Semipalatinsk, im Nordosten des Landes, führte die sowjetische Armee bis 1989 fast 500 Atombombentests durch – ohne Rücksicht auf die dort ansässige Bevölkerung.
Weltraumbahnhof Baikonur
Im Süden begann die Sowjetunion 1955 mit dem Bau des Weltraumbahnhofs Baikonur. Von dort starteten Juri Gagarin und Sigmund Jähn ins All. Das Gelände diente der Sowjetunion aber auch zum Testen von Langstreckenraketen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion lag das größte russische Kosmodrom mit der zugehörigen Stadt Leninsk plötzlich auf dem Gebiet des unabhängigen, kasachischen Staates. Nach Jahren des Niedergangs fanden die beiden Länder 1994 eine Einigung: Russland hat die Stadt und Raketentestgelände für 115 Millionen Dollar im Jahr gepachtet. Die Verträge laufen bis 2050. Die Stadt steht seitdem unter russischer Verwaltung.
Erdöl-Export
Die agrarwirtschaftlich geprägte Sowjetrepublik erlebte nach ihrer Unabhängigkeit 1991 einen relativ kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Diesen verdankt das Land vor allem seinen umfangreichen Erdölvorkommen. Erst 2000 wurde im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres eines der gröten Ölfelder der Welt entdeckt. In den riesigen Ölfeldern im Süden des Landes liegt das Öl teilweise nur wenige Meter unter dem Steppenboden. 81 Millionen Tonnen Rohöl förderte Kasachstan im Jahr 2012 – und ist mittlerweile der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt. 50 Prozent der staatlichen Einnahmen stammen aus der Erdölproduktion.
Nursultan als Symbol der Moderne
Die Hauptstadt Nursultan ist Symbol des modernen, aufstrebenden Landes – erst 1997 wurde die Stadt am Fluss Ischim zur Hauptstadt ernannt. Seitdem wird dort jedes Jahr am 6. Juli, am Geburtstag des Präsidenten, der Wechsel gefeiert. Glänzende Bürotürme, Einkaufszentren und acht-bis zehnspurige Straßen prägen das Bild der jungen Stadt. Hier residiert Nasarbajew in einem riesigen, neuerbauten Präsidentenpalast mit blauer Kuppel.
Trotz des viel versprechenden Potentials des Landes sind ausländische Investoren bisher zögerlich, sich zu engagieren. Sie schreckt die langsame, unter Korruptionsverdacht stehende Bürokratie ab. So profitieren längst nicht alle Kasachen vom Rohstoffreichtum des Landes. Zwischen glänzenden Bürotürmen und Zeltstädten in der Steppe bleibt Kasachstan ein Land der Gegensätze.