Duma-Wahlen in Russland Wie Putins Partei Wähler in der Ukraine rekrutiert
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17. September 2021, 04:26 Uhr
Was wäre, wenn Deutschland Pässe an die Menschen im Elsass verteilt hätte und die jetzt bei der Bundestagswahl mitmachen dürften? Unvorstellbar, oder? Russland macht so etwas gerade: Seit Jahren gibt Moskau Pässe an die Bewohner der umkämpften Separatistenrepubliken im Donbass aus. Damit sind sie bei den anstehenden Wahlen zur russischen Duma stimmberechtigt. Doch der Donbass ist ukrainisches Staatsgebiet. Damit schafft Putin in der Konfliktregion Fakten - und verschafft seiner Partei Stimmen.
Seit Frühjahr 2019 gibt Russland seine Pässe großzügig an die Bewohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk aus. Mehr als 600.000 ukrainische Staatsbürger in der seit sieben Jahren umkämpften ostukrainischen Industrieregion Donbass haben inzwischen den russischen Pass erhalten. Die einzige Voraussetzung dafür ist, einen Pass einer der beiden Volksrepubliken in der Tasche zu haben. Mit dieser Politik versucht Moskau die Region an sich zu binden und im Grenzdisput mit dem Nachbarland Ukraine Fakten zu schaffen.
Aus völkerrechtlicher Sicht ist bereits die Passvergabe ein Skandal, denn die Separatistenrepubliken sind nicht nur im Rahmen des internationalen Rechts ukrainisches Territorium – auch Russland selbst erkennt die Unabhängigkeit der Gebiete von Kiew offiziell nicht an.
Donbass-Bewohner dürfen online abstimmen
Nun aber finden zwischen dem 17. und 19. September in Russland Parlamentswahlen statt. Rund 108 Millionen Russen, sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Und zum ersten Mal werden die Stimmen der rund 600.000 neu eingebürgerten Donbass-Bewohner richtig bedeutend. Zwar haben die Menschen aus den Volksrepubliken bereits im letzten Sommer am umstrittenen Verfassungsreferendum teilgenommen, das es dem Präsidenten Wladimir Putin erlaubte, über seine aktuelle Amtszeit hinaus weiter zu kandidieren. Damals ging es aber nach Angaben der Separatisten nur um rund 14.500 Wähler, die mit Bussen in den benachbarte Bezirk Rostow zur Abstimmung gebracht wurden.
Weil die Anzahl der Besitzer eines russischen Passes ständig wächst - inzwischen sind es rund 600.000 - nimmt der Kreml das Stimmenpotential des Donbass immer ernster. Zwar wird es in Donezk und Luhansk auch diesmal keine Wahllokale vor Ort geben. Dafür dürfen Donbass-Bewohner mit einem russischen Pass, die keinen ständigen Aufenthaltsort in Russland haben, online abstimmen. Zur Online-Identifikation brauchen die Donbass-Bewohner lediglich die russische Rentennummer SNILS, über die inzwischen rund die Hälfte der Wahlberechtigten verfügt.
Für die Wähler, die keinen Zugang zum Internet haben, gibt es die Möglichkeit, in sogenannten Informationszentren abzustimmen, die mit Computern ausgestattet sind - und deren Mitarbeiter die Wähler bei Bedarf technisch beraten. Die befinden sich meist in Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden, alleine in der Volksrepublik Donezk soll es rund 250 solcher Quasi-Wahllokale geben. Wer dagegen keine SNILS hat, muss an den Wahltagen in den benachbarten russischen Bezirk Rostow fahren, um dort persönlich seine Stimme abzugeben. Um es den Wählern so einfach wie möglich zu machen, werden kostenlose Busse eingesetzt.
Endgültiger Tod des Minsker Abkommens?
Russland hält also nahezu reguläre Wahlen auf dem Territorium eines Nachbarstaates ab. "Mit dem Völkerrecht ist all das natürlich nicht zu vereinbaren. Das hat das ukrainische Parlament in seinem Appell vom 8. September noch einmal unterstrichen", sagte Mychajlo Paschkow, Co-Direktor des Programms für Außenpolitik und internationale Sicherheit am nichtstaatlichen Forschungszentrum Zentr Rasumkowa in Kiew dem MDR. "Noch wichtiger ist aber, dass diese Wahlen ausdrücklich gegen den Geist des ohnehin halbtoten Minsker Friedensabkommens verstoßen, auf welches Russland ständig verweist."
Minsker Abkommen Das "Minsker Abkommen" vom Februar 2015 - kurz Minsk II - zielt darauf ab, den Konflikt in der Ostukraine zu überwinden. Unter anderem sieht es einen Waffenstillstand und Kommunalwahlen in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten vor. Zudem sollen schwere Waffen von der Front abgezogen werden. Jedoch wurde das Abkommen bislang von beiden Seiten nicht voll umgesetzt.
Die im Februar 2015 unterschriebene Vereinbarung, die neben Kiew und Moskau auch von Berlin und Paris ausgehandelt wurde, beschreibt, wie der besetzte Teil des Donbass unter die Kontrolle Kiews zurückkehren sollte. "Die Teilnahme der Volksrepubliken an der Staatsduma-Kampagne ist so groß angelegt, dass es schwer vorstellbar ist, wie die Ukraine dann diese Gebiete zurückholen soll, zumal sie wohl sogar eigene Vertreter im russischen Parlament bekommen werden", schreibt Konstantin Skorkin vom Moskauer Think Tank Carnegie Moscow Centre. Für Einiges Russland kandidiert in Rostow unter anderem der ehemalige Ministerpräsident der Volksrepublik Donezk, Alexander Borodaj.
Putin-Partei will im Donbass abräumen
Gerade für die russische Regierungspartei Einiges Russland, die in der Regel weniger beliebt ist als Präsident Putin, bietet die Abstimmung im Donbass eine Möglichkeit, neue Wähler zu gewinnen. Die Bevölkerung mag mit den Regierungen der Volksrepubliken unzufrieden sein. Die Ausgabe der russischen Pässe an die Bewohner befeuert aber deren Hoffnungen, irgendwann vielleicht doch vollständig zu Russland zu gehören – und dieser Wunsch wird mit der Putin-Partei assoziiert. Die schenkt den potentiellen Wählern in den Volksrepubliken viel Aufmerksamkeit: Innerhalb des letzten halben Jahres war deren Generalsekretär zwei Mal in Donezk zu Besuch.
"Die Donbass-Okkupation wird irreversibel"
Aber auch andere Parteien versuchen, sich im Donbass zu profilieren. Vor allem die Parlamentspartei Gerechtes Russland, für die etwa der russische Schriftsteller Sachar Prilepin kandidiert, der selbst in der Ostukraine als Feldkommandant kämpfte. Die Forderung nach offizieller Anerkennung der Volksrepubliken als unabhängige Staaten ist bei Gerechtes Russland Bestandteil des Wahlprogramms. "Mit der Austragung der Wahlen im Donbass will Moskau die faktische Okkupation des Donbass der Region irreversibel machen”, urteilt Mychajlo Paschkow vom Zentr Rasumkowa. Konstantin Skorkin teilt seine Einschätzung: "Jeder ausgestellte Pass, jede abgegebene Stimme macht die Lösung des Donbass-Krise gemäß des Minsker Abkommens unwahrscheinlicher."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 18. September 2021 | 07:15 Uhr