Umweltschutz in Kriegszeiten? Rumänien: Getreideroute führt durch Biosphärenreservat
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04. Januar 2024, 14:44 Uhr
Das Donaudelta ist Europas größtes Feuchtgebiet. Das Unesco-Weltnaturerbe und geschützte Biosphärenreservat wird derzeit verstärkt für die Schifffahrt genutzt, um einen Teil der Getreideausfuhren aus der Ukraine abzusichern. Die Führung in Kiew hätte hier gern mehr Möglichkeiten, Rumänien lehnt jedoch ab. Ein Konflikt, der immer wieder hochkocht.
Inhalt des Artikels:
- Verunreinigtes Abwasser auf Grenzfluss
- Verantwortung auf viele Ämter verteilt
- Hauptquelle für Wasserverschmutzung im Schutzgebiet
- Millionen-Investitionen in ukrainische Donauhäfen
- Rumänien ist regionaler Umschlagplatz
- Bukarest hängt Messlatte besonders hoch
- Wissenschaftler warnen vor Eingriff in Ökosystem
Fischer Mircea Ghiban ist schnell an seinem Arbeitsplatz, er fließt praktisch vor seinem rumänischen Wohnort Chilia Veche auf einer Breite von etwa 500 Meter vorbei. In der Flussmitte des Kilija-Arms der Donau verläuft die Grenze zwischen Rumänien und der Ukraine.
Jeder seiner Fischerkollegen habe hier einen Abschnitt, wo er sein Fangnetz auslege, erzählt Ghiban. Es herrschte all die Jahre Routine, es gab Vorhersehbarkeit, selten kam ein Schiff vorbei, doch damit ist es nun vorbei. Denn der Grenzfluss ist zur wichtigen Getreideroute geworden, auf der Schiffe Schlange vor ukrainischen Donauhäfen stehen, um be- oder entladen zu werden. Dass die Ukraine den nördlichsten Donauarm verstärkt nutzen darf, soll eine Ausnahmeregelung bleiben. Man wolle den Nachbarn in einer "extrem schwierigen Lage" unterstützen, begründete das rumänische Außenministerium im vorigen Sommer seine Zustimmung, die nötig war, weil sich beide Länder den Flussarm teilen.
Verunreinigtes Abwasser auf Grenzfluss
Beim Anblick der vielen Frachtschiffe wird Fischer Ghiban sauer, weil ihm der Krieg in der Ukraine finanzielle Verluste beschert. Die Schiffe aus aller Welt hätten ihm und seinen Kollegen wiederholt die Fangnetze durchschnitten. "Rund 500 Euro sind jedesmal futsch, eine Menge Geld für mich," sagt Ghiban, der den Schaden selbst zahlen muss. "Bis jemand von den rumänischen Behörden kommt, um meine Anzeige aufzunehmen, ist das Schiff längst aus dem Schwarzen Meer hinaus gefahren." Zudem würde der Schiffsmotorenlärm die Fische vertreiben, auch habe er Diesellachen auf dem Grenzfluss gesehen, "wenn die Schiffe hier ihre Tanks reinigen", sagt Ghiban.
Bürgermeister Timur Ciaus kennt die Klagen der Fischer, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Tourismusbranche im Ort, nachdem es im Sommer erstmals zu Drohnenangriffen auf den gegenüberliegenden ukrainischen Donauhafen Kilija Nouă kam. "Wir hatten plötzlich von einem auf den anderen Tag keine Touristen mehr. Wie viele im nächsten Jahr wiederkommen werden, ist fraglich." Ciaus' Rathaus liegt nur wenige Minuten vom Flussufer entfernt, auch er hat Diesel- und Ölverschmutzungen auf der Donau gesichtet. Vielleicht seien die Schiffe in Eile gewesen, hätten sie sich vor den Drohnenangriffen retten müssen. "In der jetzigen Lage muss man Kompromisse machen", sagt Ciaus.
Verantwortung auf viele Ämter verteilt
Wie stark der zugenommene Schiffsverkehr dem Donaudelta zusetzt, ist unklar. Er findet in den Wirtschaftszonen des Deltas statt, die entfernt von den strikten Schutzzonen liegen. Fest steht aber, je mehr Schiffe unterwegs sind, desto mehr Emissionen und Lärm gibt es. Auch steigt das Risiko, dass die Schiffe verunreinigtes Abwasser illegal in den Fluss verklappen.
Von der Nationalen Verwaltung der Rumänischen Gewässer ANAR heißt es auf Anfrage, dass Dieselrückstände zu jenen Schadstoffen gehörten, "die nur zufällig nach einer unfallbedingten Verschmutzung festgestellt werden können". Die Reservatsverwaltung ARBDD teilt mit, es seien "einige Zwischenfälle" gemeldet worden, doch ob sie von den Getreidefrachtern stammen, wisse man nicht. Für das Biosphärenreservat sind mehrere Behörden zuständig: Die einen untersuchen die Wasserqualität, die anderen kontrollieren die Schiffe auf die nötigen Standards, sie unterstehen verschiedenen Ministerien. Bei so vielen Verantwortungsträgern fühlt sich jeder nur für seinen Teil zuständig, nicht aber für die Gesamtlage.
Hauptquelle für Wasserverschmutzung im Schutzgebiet
In ihren jährlichen Umweltberichten verweist die Verwaltung des Biosphärenreservats darauf, dass die Schifffahrt eine der "Hauptquellen der Wasserverschmutzung im Schutzgebiet ist". Das ist nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, sondern schon seit Jahren so. Nicht alle Schiffe seien mit Aufbereitungssystemen ausgestattet, um ihre Abwässer von Ölrückständen zu reinigen. Auch fehlten den Donauhäfen "spezielle Einrichtungen, um die Rückstände der Schiffe zu sammeln und zu recyceln", heißt es in den Berichten. Die schnellste und billigste Müllkippe könnte damit die Donau sein. Erschwerend kommt hinzu, dass für den Kilija-Arm nicht nur mehrere Ämter, sondern auch zwei Länder zuständig sind. Von der ukrainischen staatlichen Seehafenbehörde USPA heißt es auf MDR-Anfrage kurz und knapp, dass der gesteigerte Transport keine Umweltprobleme verursachen würde.
Millionen-Investitionen in ukrainische Donauhäfen
Seit Russland im Juli aus dem Schwarzmeer-Abkommen ausgestiegen ist, ist die Donau eine wichtige Lebensader für den ukrainischen Staat geworden. Sie ist der Hinterausgang zum Schwarzen Meer, um die Getreideausfuhren weiter am Laufen zu halten. Etwa 60 Prozent des ukrainischen Weizen-Exports läuft derzeit über Rumänien. Die Ukraine ist auf die Einnahmen ihres Agrarsektors dringend angewiesen, sie braucht das Geld für Waffen und für die Armee, um sich gegen den russischen Angreifer zu wehren. Die Donauhäfen, ob im ukrainischen Reni oder Ismail, sind deswegen zu neuem Leben erwacht, ihre Umschlagsmenge wurde verdoppelt. Die US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) gab zudem im März bekannt, sie wolle gemeinsam mit Privatunternehmen 44 Millionen US-Dollar in beide Häfen investieren. Überall wird gewerkelt, neue Anlegestellen sind entstanden, Kräne zum Be- und Entladen wurden aufgestellt, auf der Donau ankern Schiffe in einer Warteschlange, viele von ihnen sind bis zu 40 Jahre alt und fahren unter der Flagge Panamas.
Rumänien ist regionaler Umschlagplatz
Von der Nachfrage nach neuen Transportwegen für die Ukraine profitiert der rumänische Nachbar gewaltig, denn viele Schiffe im Donaudelta fahren über den rumänischen Sulina-Kanal zum Schwarzen Meer ein und aus und müssen dafür eine Gebühr zahlen, durchschnittlich bis zu 8.000 Euro pro Fahrt. Angaben der rumänischen Schifffahrtverwaltung AFDJ zufolge hat sich der Verkehr auf dem Sulina-Kanal verglichen zur Zeit vor dem Krieg verdoppelt, die Einnahmen sogar verdreifacht. Das ist ein Rekordhoch für die staatliche Behörde, die erstmals keine Subventionen mehr aus Bukarest benötigt, um ihre Infrastruktur zu warten.
Ihr Land sei wegen der Nachbarschaft zur kriegsgebeutelten Ukraine plötzlich in einer "extrem günstigen Position", sagt die Bukarester Politikexpertin Oana Popescu-Zamfir, "weil es innerhalb kürzester Zeit zum regionalen Umschlagplatz für zivile Güter und Militärtransporte geworden ist". Eine Aufgabe, die Rumänien auch noch lange nach Kriegsende haben werde, wenn der Wiederaufbau der Ukraine anstehe, meint Popescu-Zamfir. Die an vielen Stellen noch marode Infrastruktur in Rumänien kann in den kommenden Jahren mit einem millionenschweren Modernisierungsschub bei Wasserwegen, dem Schienennetz und vor allem im Straßenbau rechnen und damit "in einem Bereich, in dem sich der Staat in den vergangenen Jahren am langsamsten bewegt hat", sagt die Politikanalystin.
Bukarest hängt Messlatte besonders hoch
Die beiden östlichen Nachbarn kooperieren seit dem Krieg in der Ukraine mehr denn je, zugleich sind die beiden aber auch wirtschaftliche Konkurrenten. So drängt Kiew nicht erst seit dem Krieg auf einen eigenen Schiffskanal im Donaudelta, nach dem Modell des rumänischen Sulina-Kanals. Man wolle für mehr Wettbewerb sorgen, aber auch den eigenen Warentransport steigern, heißt es von der ukrainischen Seehafenbehörde USPA. Der ukrainische Bystre-Kanal ist seit über 20 Jahren ein Streitpunkt zwischen beiden Staaten, die Fronten sind hier verhärtet. Im Februar kochte das Thema erneut hoch, weil Kiew versucht hatte, die EU-Kommission mit ins Boot zu holen. Doch für das Kanalprojekt braucht Kiew weniger die Zustimmung aus Brüssel, als vielmehr aus Bukarest, weil sich beide Länder die Donau an dieser Stelle teilen.
Die Ukraine treiben ökonomische Interessen an, Bukarest kontert dagegen immer mit Umweltaspekten. Im Februar warnte der rumänische Verkehrsminister Sorin Grindeanu vor weitreichenden Umweltgefahren für das sensible Ökosystem im Delta, statt zu erklären, warum er einen zweiten Schiffskanal verkehrstechnisch für völlig überflüssig hält. Dass Rumänien in der Debatte vor allem auf den Umweltschutz poche, sei wenig glaubhaft, sagt Politikexpertin Oana Popescu-Zamfir: "Im rumänischen Teil des Donaudeltas gab es in der Vergangenheit eine Menge betrügerischer Privatisierungen, die das ökologische Gleichgewicht bedrohten und das traditionelle Leben der Leute vor Ort. Man hängt in ökologischen Fragen die Messlatte für die Ukraine offenbar höher als für sich selbst."
Wissenschaftler warnen vor Eingriff in Ökosystem
Das Donaudelta zieht Wissenschaftler und Naturliebhaber gleichermaßen an, es gilt als eines der besterhaltenen Flussdeltas weltweit. Eine Schatzkammer für Ornithologen, ein Rastplatz für Zugvögel aus aller Welt. Pläne für einen zweiten Schiffskanal voranzutreiben, halten viele rumänische Wissenschaftler für falsch und gefährlich, so auch der Geologe Alfred Vespremeanu-Stroe von der Universität Bukarest: "Man muss sich extrem gut überlegen, wo, wie und weshalb man in ein solch naturbelassenes Delta eingreift."
Ein weiterer Schiffskanal im Donaudelta würde die Dynamik der Wasserstände auf lange Sicht verändern, Lebensräume geschützter Vögel bedrohen und wäre teuer in seiner Instandhaltung, sagt Vespremeanu-Stroe. Dennoch plädiert er dafür, "in Kriegszeiten flexibel zu bleiben", um die Ukraine bei den Getreidetransporten zu unterstützen, auch wenn die für das Donaudelta nicht ohne Risiko seien. Die russischen Drohnenangriffe im Sommer hätten einmal mehr die Gefährlichkeit vor Augen geführt, als Teile der Infrastruktur der ukrainischen Donauhäfen zerstört wurden. Mit Blick auf Umweltverschmutzungen sagt Vespremeanu-Stroe: "Wir können von Glück reden, dass im Donaudelta kein Tanker bombardiert wurde."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 30. Dezember 2023 | 07:17 Uhr