Pandemie Belarus und Corona – Staat reagiert sorglos, Bürger schützen sich selbst
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30. April 2020, 17:34 Uhr
Während der belarussische Präsident Lukaschenko keine Corona-Quarantäne einführen will, bleiben immer mehr Belarussen freiwillig zu Hause. Und doch: Die Epidemie in der Autokratie verbreitet sich zusehends.
Häme und demonstrative Sorglosigkeit
Wenn es um den Kampf gegen das Corona-Virus geht, hat Alexander Lukaschenko ein ganz eigenes Rezept parat. Während überall in Europa und auch in Russland das öffentliche Leben fast zum Erliegen gekommen ist, reagiert der Autokrat von Minsk vor allem mit Spott und Häme. Nichts als eine Psychose sei der ganze Wirbel um das weltweit als höchst gefährlich eingestufte Virus. Und wie zum Beweis ließ sich Lukaschenko am vergangenen Wochenende vom Staatsfernsehen dabei filmen, wie er, umringt von Landsleuten, in einem Naturpark Pinien pflanzte.
Die Aktion war Teil eines landesweiten "Subbotnik", eines organisiert freiwilligen Arbeitseinsatzes. Demonstrativ verzichtete Lukaschenko dabei auf einen Mundschutz. In den Abendnachrichten berichteten die Staatsmedien, dass bei diesem "Subbotnik" landesweit fast 2,5 Millionen Belarussen Straßen gekehrt, Denkmäler gepflegt und Blumen gepflanzt hätten.
In der Bevölkerung wächst die Skepsis
Tatsächlich jedoch teilen immer weniger Belarussen die sorglose Haltung ihres Präsidenten. Nicht zuletzt auch, weil allein die offizielle Corona-Statistik des belarussischen Gesundheitsministeriums eine ungebremste Ausbreitung der Epidemie anzeigt. Allein innerhalb der vergangenen Woche hat sich die Zahl der offiziell registrierten Neuinfizierten auf mahr als 13.000 verdoppelt. Und entgegen der Behauptung des belarussischen Präsidenten, keiner im Land werde am Coronavirus sterben, zählen die Behörden mittlerweile fast 100 Todesopfer. Damit hat Weißrussland bereits das Nachbarland Russland überholt, was die Zahl der gemeldeten Infizierten pro 1000 Einwohner angeht.
Selbsthilfe statt Vertrauen in die Staatsführung
Diese Zahlen sind in Belarus kein Geheimnis und sie sorgen dafür, dass viele nicht mehr auf Maßnahmen der Regierung warten wollen. "Wir sind es seit langem gewohnt, eher auf die eigenen Kräfte zu vertrauen", erzählt Kirill M., der in der Hauptstadt Minsk lebt und seinen vollen Namen lieber nicht in den Medien sehen möchte. "Viele bleiben freiwillig zu Hause, einige Cafés haben aus eigener Initiative zugemacht und liefern nur noch aus. Die meisten Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr in den Unterricht", erzählt er.
Auch die Fußballspiele der nationalen Meisterschaft, die noch als letzter europäischer Wettbewerb weiterläuft, würden nur noch von einem Bruchteil der Zuschauer besucht, sagt Kirill M., der als Sportredakteur arbeitet. Zudem sammelten Aktivisten nun Geld im Internet, um etwa Schutzkleidung für Ärzte zu besorgen.
Leere Straßen
Diese Eindrücke decken sich auch mit den Angaben der russischen Suchmaschine Yandex, die Daten von Smartphone-Nutzern auswertet, um einen "Index der Selbstisolation" zu berechnen. Auf einer Skala von 1 bis 5 schätzt der Internetkonzern ein, wie viele Menschen sich auf den Straßen einer ganzen Reihe von Großstädten in der ehemaligen Sowjetunion bewegen, wobei 5 bedeutet, dass die Straßen leer sind. Für Minsk betrug der Wert in den vergangen Tagen im Schnitt 3,5. Vergangene Woche lag er werktags bei zwei und vor Ausbruch der Corona-Epidemie bei 0,7. In Moskau, wo Menschen Verkehrsmittel nur mit einem elektronischem Passierschein nutzen können und ihre Wohnung außer zur Arbeit nur für kurze Spaziergänge mit Hund, Arztbesuche und Einkäufe verlassen dürfen, lag der Wert in der gleichen Zeit bei 3,0.
Corona-Fälle in Lukaschenkos Umfeld
Doch die selbstergriffenen Maßnahmen werden wohl kaum ausreichen, um die Epidemie ohne staatliche Gegenmaßnahmen einzudämmen. Am Dienstag appellierte die UN-Vertreterin in Belarus, Ionna Kasana-Wyschniwetzkaja direkt an die Bevölkerung des Landes, zu Hause zu bleiben. Zudem forderte sie die Regierung auf, "unverzügliche und großangelegte Maßnahmen" zu ergreifen. Während das Staatsfernsehen Belarus 1 diesen Aufruf ignorierte, wurde er vor allem von unabhängigen Medien aufgegriffen und in sozialen Netzwerken geteilt. Dort sorgte zudem die Nachricht für Furore, dass das Kloster im Dorf Malye Ljady, welches Lukaschenko zuletzt zu Ostern mit seinem Sohn besucht hatte, nun wegen Quarantäne geschlossen sei. Mehrere Einwohner des Klosters hatten sich angesteckt. Später sickerte durch, dass ein Mitglied von Lukaschenkos Hobby-Eishockeymannschaft am Corona-Virus erkrankt sei, die beiden hatten zuletzt am 10. April trainiert. Beides wurde später durch offizielle Stellen bestätigt.
Siegesparade trotz Corona-Pandemie
Warum der weißrussische Präsident die Corona-Situation auf die leichte Schulter zu nehmen scheint, bleibt vielen in Belarus ein Rätsel. Immerhin hatte der Präsident die Existenz des Virus zuletzt nicht mehr abgestritten - und wirtschaftliche Gründe für die Entscheidung gegen eine Quarantäne angeführt. Sein Volk werde nichts mehr zu essen haben, würden flächendeckende Beschränkungen erlassen werden. Bis heute hält Lukaschenko an einer Parade zum Tag des Sieges über Hitlerdeutschland am 9. Mai fest. Das Verteidigungsministerium des Landes hatte zuletzt eine Online-Petition mit über 7000 Unterschriften gegen die Ausrichtung einer Parde abgeschmettert und behauptet in einem offiziellen Schreiben, die Situation im Lande lasse eine Parade zu. Während in Moskau die geplante Veranstaltung längst abgesagt wurde, glauben die Belarussen, dass ihr Präsident daran festhalten wird. "Ich bin mir zu 95 Prozent sicher, dass es auf staatlicher Ebene keine großen Änderungen geben wird, und wir am 9. Mai eine Parade haben werden", meint der Minsker Sportredakteur Kirill M.
Immerhin: Der Tag der Arbeit, der 1. Mai, der in einigen Ländern der ehemaligen UdSSR oft noch mit Pomp und Demonstrationen begangen wird, soll in diesem Jahr in Belarus ohne Großveranstaltungen auskommen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 02. Mai 2020 | 07:15 Uhr