"Reintegrationsgesetz" für den Donbass Einfrierversuch oder Provokation?
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06. Februar 2018, 14:37 Uhr
Das ukrainische Parlament hat mit großer Mehrheit ein sogenanntes "Reintegrationsgesetz" für den Donbass angenommen. Um die Eingliederung der umkämpften Region geht es darin allerdings nicht. Russland spricht von "unakzeptablen" Formulierungen.
Monatelang haben die Politiker in der ukrainischen Hauptstadt Kiew über das sogenannte "Reintegrationsgesetz" für den Donbass diskutiert. Das soll angeblich dafür sorgen, dass die von prorussischen Separatisten besetzten Gebiete im Osten des Landes wieder unter die Kontrolle des ukrainischen Staates kommen. Es war eine aufgeheizte Debatte im Parlament, die sich in erster Linie darum drehte, wie radikal das Gesetz aussehen darf.
Der Ton wird rauer: Russland als "Aggressorstaat"
Am Ende wurde das Gesetz mit überwältigender Mehrheit angenommen. Zwar lehnten die Politiker den Vorschlag ab, in dem Gesetz die Beendigung der diplomatischen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland zu verankern. Trotzdem ist das "Reintegrationsgesetz" ein Paradigmenwechsel für die Situation im Donbass – und stellt sogar das "Minsker Abkommen", die einzige existierende Grundlage für die Lösung des Ostukraine-Krieges, in Frage.
"Minsker Abkommen" Das "Minsker Abkommen" (oder Minsk II) vom Februar 2015 zielt darauf ab, den Konflikt in der Ostukraine zu überwinden. Unter anderem sieht es einen Waffenstillstand und Kommunalwahlen in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten vor. Zudem sollen schwere Waffen von der Front abgezogen werden. Jedoch wurde das Abkommen bislang von beiden Seiten nicht voll umgesetzt.
Denn nun wird der von Kiew nicht kontrollierte Teil des Donbass als "okkupiertes Gebiet" bezeichnet. Auch insgesamt dreht sich der Text des Gesetzes sehr stark um das Wort "Okkupation", was bereits einen gewissen Wandel in der Wortwahl offenbart. Zwar wurde im Zuge des Krieges ab und zu ein solcher Ton angeschlagen, offiziell bezeichnete man jedoch so nur die russische Annexion der Krim. Interessant ist ebenfalls, dass die russische Armee im Gesetz ganz offen als "okkupierende Streitkräfte Russlands" bezeichnet wird, was für offizielle Dokumente ein Novum ist. Zudem wird Russland in dem Gesetz als "Aggressorstaat" bezeichnet, was nun seit 2015 zum zweiten Mal passiert.
Gesetz für Russland "inakzeptabel"
Obwohl die Unterstützung Russlands in den beiden "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk oder zumindest eine episodische Teilnahme der russischen Armee an den Kampfhandlungen in der Ostukraine unumstritten sind, werden solche Formulierungen die schwierigen Beziehungen zwischen Kiew und Moskau wohl kaum verbessern.
Trotzdem hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das "Reintegrationsgesetz" unterstützt: "Von mir aus ist dieses Gesetz längst überfällig. Ich werde es selbstverständlich unterzeichnen." Kritik kam lediglich aus dem Oppositionsblock. Dessen Vorsitzender Jurij Bojko nannte das Gesetz "schädlich und alternativlos", weil es die Grundlage für eine Lösung des Konflikts zerstöre. Auch aus Moskau kamen erwartungsgemäß scharfe Töne: "Es ist ein Gesetz, das für uns inakzeptabel ist – und die tatsächliche Linie zeigt, die Kiew fahren möchte", betonte das russische Außenministerium.
Diese Sprache ist für uns inakzeptabel.
Das Aus für Minsk II?
Tatsächlich geht es nicht explizit um die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland, sondern vor allem um die Zukunft des im Februar 2015 beschlossenen Friedensabkommens von Minsk. Monatelang haben ukrainische Abgeordnete darüber diskutiert, ob das "Minsker Abkommen" als offizielle Grundlage für die Lösung des Konflikts im "Reintegrationsgesetz" erwähnt werden soll, was letztendlich nicht passiert ist. Auf der anderen Seite macht das Gesetz einige Dinge unmöglich, die in den Minsker Vereinbarungen klar vorgeschrieben sind: Direkte Verhandlungen mit den Separatisten sind nun gesetzlich untersagt und die in Minsk vereinbarte Amnestie ist nahezu unmöglich. Bedeutet das also das Aus für Minsk II? "Es ist die wichtigste Grundlage für alle Verhandlungen – egal, welche Gesetze Kiew erlässt und welche nicht", heißt es aus dem russischen Außenministerium.
Interessanterweise äußerte sich auch der US-Sondergesandte für den Ukraine-Konflikt, Kurt Volker, angesichts der Entscheidung der Werchowna Rada sehr zurückhaltend. "Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass dieses Gesetz etwas wesentlich verändert", sagt Volker. "Die Situation ändert sich jedenfalls nicht. Russische Kontrolle und russische Kräfte sind schon lange da, daher nennt das Gesetz nur Dinge, die ohnehin längst existieren, beim Namen."
Aktuelle Situation wird eingefroren
Ein wesentlicher Grund, warum das "Reintegrationsgesetz" in dieser Form angenommen wurde, ist wohl auch, dass das "Minsker Abkommen" von der ukrainischen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wird. Vor allem festgeschriebene Lokalwahlen oder ein Sonderstatus für den Donbass sind für den patriotischen Teil der Bevölkerung nicht vorstellbar. Insgeheim gilt das Gesetz daher als Versuch Kiews, die Lage im Donbass, so wie sie heute ist, einzufrieren – und als politischer Schachzug der Regierung, Pluspunkte bei der Bevölkerung zu sammeln angesichts der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019.
Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im: TV | 12.05.2017 | 17:45 Uhr