Ostukraine Donezk - eine vom Krieg gezeichnete Stadt
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15. Dezember 2017, 13:42 Uhr
Die "Donezker Volksrepublik" ist ein von Russland unterstütztes Gebiet in der Ostukraine. Manchmal besuchen heute in Deutschland lebende Donezker ihre Eltern und Freunde in der alten Heimat. Es ist stets eine Reise in ein Kriegsgebiet.
Die 37-jährige Gayana K. stammt aus der Ukraine, wohnt und arbeitet heute aber in Frankfurt/Main. Die gebürtige Donezkerin hat an der Donezker Nationaluniversität Fremdsprachen studiert. Später ist sie nach Deutschland ausgewandert, um ihr Studium und vor allem ihre sportliche Karriere als Tischtennis-Spielerin fortzusetzen. Nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist Gayanas Schwester mit ihrer Familie in eine andere ukrainische Stadt geflüchtet, ihre Eltern leben jedoch nach wie vor in Donezk. Mehrfach hat Gayana K. ihre Heimatstadt besucht. "Heute im Osten" hat sie nach ihren Eindrücken befragt.
Wie beschwerlich sind Reisen nach Donezk, seit die "Volksrepublik Donezk" ausgerufen ist?
Es verschlägt mich immer wieder in meine Geburtsstadt, denn dort leben meine Eltern, die schon sehr alt sind. Früher haben sie mich jedes Jahr in Deutschland besucht. Seitdem die Ukrainer nun visafrei in den Westen reisen dürfen, wäre ein Besuch jetzt eigentlich viel einfacher als früher. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Donezker Flughafen ist zerstört, es fahren keine Fernzüge mehr, die Stadt ist abgeriegelt. Für die Ausreise aus dem Kriegsgebiet mit einem PKW oder Bus muss man sehr, sehr viel Zeit mitbringen.
Was heißt das?
Die Wartezeiten an den Grenzkontrollen können stundenlang dauern. Man sieht nur endlose Autoschlangen, die sich mühsam zum Schlagbaum hinbewegen. Für meine Eltern wäre eine solche Reise eine Qual. Und außerdem ist die Gegend um die Grenzanlagen herum nicht ganz ungefährlich. An den Straßenrändern sind Warnschilder aufgestellt, welche auf Minen hinweisen. Das Verlassen der Straße kann das Leben kosten. Die Kränze entlang der Straßen bezeugen das.
Landminen-Opfer: Alarmierender NGO-Bericht Seit mehr als drei Jahren dauert der Krieg in der Ostukraine nun an. Von der westlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen: Besonders die Zahl der Opfer von Landminen ist hoch. Die Ukraine ist das Land in Europa, in dem die Zahl der Minenopfer im vergangenen Jahr auf ein trauriges Rekordhoch gestiegen ist: Dort seien mehr als 500 Menschen den gefährlichen Minen zum Opfer gefallen, so die Internationale Kampagne gegen Landminen. Insgesamt wurden 2016, laut der NGO, weltweit 8.605 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt.
Wann warst Du zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges in Donezk gewesen?
Zum ersten Mal bin ich im Sommer 2016 in die Kriegszone eingereist. Ich bin von Frankfurt nach Saporozhje - eine Stadt in der Ostukraine, wo meine Schwester jetzt lebt - geflogen. Von dort hat mich eine Freundin mit ihrem Auto nach Donezk mitgenommen. Für die 230 Kilometer haben wir 15 Stunden gebraucht.
Wie sah Deine Heimatstadt aus?
Donezk begrüßte mich mit apokalyptischen Bildern: überall zerstörte Wohn- und Bürohäuser, deren Fenster mit Holzbrettern zugenagelt waren, menschenleere Straßen bei helllichtem Tag. Auf vielen halbzerstörten Läden und Geschäften prangten Aufschriften: "Wir haben zugemacht". Die wenigen Autos, die auf den Straßen fuhren, hatten neue "DPR"-Autokennzeichen ("Donetsk People Republik"). Manche hatten aber auch gar keine. Hin und wieder brausten Militärfahrzeuge vorbei.
Die schweren Beschüsse der Stadt wurden 2015 offiziell eingestellt - ein Resultat des Minsker Abkommens. Aber die Waffenruhe wird immer wieder von beiden Seiten verletzt. Wie sieht der Alltag der Menschen aus?
Die Beschüsse und Explosionen sind bei den Einheimischen zum Alltag geworden. Eines Abends bin ich mit Freunden durch eine der zentralen Stadtpromenaden spaziert. Kurz nach 21 Uhr haben wir heftige Explosionen in der Nähe gehört. Zuerst dachte ich, es sei ein Feuerwerk. Früher gab es häufig Feuerwerke in meiner Stadt - auf diese Weise hat man die Siege der Fußballmannschaft "Schachtar Donezk" gefeiert und Konzerte auf dem zentralen Lenin-Platz begleitet. Diesmal war es aber kein Feuerwerk, sondern ein Schusswechsel in umliegenden Stadtgebieten. Die Bevölkerung hat sich daran bereits gewöhnt. Die Menschen spazieren gemütlich weiter, darunter viele Familien mit Kindern, aber auch Soldaten in Begleitung von jungen Mädchen. Fast jede Nacht gibt es Schusswechsel, die teils bis in den frühen Morgen andauern.
Die Region unterliegt einer umfassenden Handels-, Finanz- und Transportblockade durch Kiew. Sozialleistungen werden nicht mehr geleistet. Wie sieht die humanitäre Situation aus? Wie überleben die Menschen, wie überleben Deine Eltern?
In den ersten Jahren des Krieges gab es nur wenige Lebensmittel und Medikamente. In den Supermärkten waren die Regale leer, es gab nur eine kleine Auswahl an importierten Lebensmitteln aus Russland, häufig von schlechter Qualität, dafür aber sündhaft teuer. Rentner bekommen humanitäre Hilfe von verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen. In der Regel ein Paket mit Konserven, Mehl, Nudeln, Reis und Süßigkeiten. Es gibt auch Sozialleistungen für Rentner und Kinder, darunter eine kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Teil auch medizinische Versorgung.
Meine Eltern haben ebenso humanitäre Hilfe vom "Renat-Achmetov-Fond" (Renat Achmetov ist ein ukrainischer Milliardär - Anm. d. Red.) bekommen. Um die Versorgung der Eltern mit frischen Lebensmitteln und Medikamenten kümmert sich meine Schwester, die regelmäßig Pakete schickt.
2014 stand dieser Konflikt im Fokus auch der deutschen Medien. Derzeit gibt es nur wenige Informationen aus der "Volksrepublik Donezk". Die meisten Journalisten aus der EU erhalten keine Akkreditierung. Welche Medien verbreiten in Donezk Informationen?
Für mich ist der Krieg natürlich immer aktuell, da ich mir Sorgen um meine Eltern mache. Aber tatsächlich wird über die Ereignisse im Donbass nur noch selten berichtet. Am Anfang des Krieges wurden alle ukrainischen Fernsehsender in der ganzen Region Donezk und Luhansk abgeschaltet. Ukrainische Zeitungen wurden verboten. Die einzigen Informationsquellen, vor allem für die älteren Menschen, die kein Internet nutzen, sind seither die russischen Massenmedien. Dementsprechend ist die politische Einstellung der meisten Menschen in der "Volksrepublik" eben auch pro-russisch.
Wie haben Deine Freunde und Verwandten Krieg und separatistische Bestrebungen wahrgenommen? Auf wen hoffen sie - auf die einheimische Macht, auf Russland oder auf die Ukraine?
Alle Freunde und Verwandten waren nur Zuschauer - sie beobachteten zuerst die "Maidan-Revolution" in Kiew im Fernsehen und einige Monate darauf sind sie Augenzeugen des Krieges quasi vor der eigenen Haustür geworden. Natürlich träumen alle davon, dass der Krieg zu Ende geht. Am Anfang waren viele voller Hoffnung und sich beinahe sicher, dass sich die ganze Region, die so genannte "Noworossija" ("Neues Russland", Anm. d. Red.), an Russland anschließen würde. Diese Hoffnung stirbt aber allmählich, denn sowohl die Donezker als auch die Luhansker Republik sind weiterhin weltweit nicht anerkannt, sie bekommen auch keine weitere Unterstützung von Russland, wie sie es sich einst erträumt haben. So bleiben die Menschen sich selbst überlassen, mit all ihren Wünschen und Sorgen.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "MDR Aktuell" 12.05.2017 | 17.45 Uhr