Weihnachtsfest in Polen Der Karpfen in der Badewanne - damals und heute
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17. Dezember 2018, 14:56 Uhr
In Polen gilt Weihnachten als das schönste Fest des Jahres. Ein Teil der Tradition ist das Karpfenessen. Wie zu vergangenen kommunistischen Zeiten stehen auch heute die Polen Schlange, um den Fisch - immer noch - lebend mit nach Hause zu nehmen.
Weihnachten ist das beliebteste Fest der Polen. Dahinter steht natürlich ein Riesenaufwand. Alleine schon die obligatorischen zwölf Gerichte für den Heiligabend aufzutischen, macht der polnischen Frau – meistens ist es ja die Frau, die alles macht - zu schaffen. Doch auch für sie scheint es keine Rolle zu spielen, dass sie sich todmüde an den Weihnachtstisch setzt. Die Großmutter und die Mutter hatten es viel schwerer, weil sie das Feiern in der sozialistischen Mangelwirtschaft vorbereitet mussten.
Karpfen musste gekauft werden, wenn es ihn gab
Eine etwas seltsame Erinnerung an die alten Zeiten ist der lebende Karpfen in der Plastiktüte. Das Karpfenessen gehört zwar schon seit Jahrhunderten zur Weihnachtstradition in Polen, doch berühmt-berüchtigt wurde das Gericht erst im Kommunismus. Denn der Karpfen war der einzige Fisch, der in den meist leeren Geschäften überhaupt zu bekommen war. Planen war unmöglich und man kaufte den Fisch eben dann, wenn es ihn im Geschäft gab. Das war meistens mehrere Tage vor Weihnachten.
Dann schwammen die Karpfen in der Badewanne
Bei uns zu Hause, ähnlich wie bei anderen Familien, war es deshalb üblich, dass jedes Jahr im Dezember in der Badewanne Karpfen auftauchten. Bei uns waren es immer zwei. Für uns Kinder war es so, als ob wir ein Aquarium bekämen. Wir konnten uns die Fische stundenlang anschauen. Manchmal haben wir ihnen sogar Namen gegeben.
Doch vor der Mittagszeit an Heiligabend wurden sie vom Vater oder Opa – einem Mann jedenfalls, notfalls vom Nachbarn – mit Hammer oder Messer totgeschlagen. Die Fische sollten so frisch wie möglich auf den Tisch kommen. Das war brutal, bedeutete aber übrigens auch: Endlich war die Badewanne wieder frei.
Karpfen lebend mit nach Hause nehmen?
Dass der Karpfen aber heute noch, wo das Einkaufen so viel einfacher ist, nach wie vor lebend verkauft wird, ist für mich verwunderlich und entsetzlich. In den Supermärkten oder draußen auf Parkplätzen werden für die Fische extra Becken aufgebaut. Ab und zu fischt der Verkäufer mit einem Netz einige Fische raus, um sie den Kunden zu präsentieren. Da liegen sie halbtot, ohne Wasser, in einer Plastikkiste. Dann landen sie in einer Plastiktüte ohne Wasser und werden vom Kunden nach Hause transportiert, wo sie wohl die Badewanne erwartet. Die Lust am Karpfentöten ist nach wie vor weit verbreitet. Als ob es keine Karpfenfilets gäbe, als ob man den frisch geschlachteten Fisch nicht einfrieren könnte.
Das obligatorische Karpfenessen
Während andere Weihnachtsgerichte von Region zu Region variieren, bleibt der paniert gebratene Karpfen überall obligatorisch. An Heiligabend isst man nämlich Fisch und kein Fleisch. Am besten soll man auch bis zum Abendessen keinen Alkohol trinken. Ab Mitternacht sind Fleisch und Getränke mit Prozenten wieder erlaubt. Da ist das Christkind schon auf der Welt und damit das Adventsfasten vorbei.
Ein Teller mehr
Doch Weihnachten beginnt in Polen viel früher, eigentlich schon am 6. Dezember, wenn Sankt Nikolaus die ersten Geschenke vorbeibringt. Das zweite Mal kommt Sankt Nikolaus am Heiligabend, doch vor seinem Besuch gibt es noch eine ganze Menge Rituale. Zuerst wird über die Geburt Christi aus der Bibel vorgelesen und die Oblate geteilt. Jeder teilt sie mit jedem und es werden dabei Wünsche ausgesprochen.
Beim Tischdecken muss immer ein zusätzlicher Teller vorbereitet sein. Die Sitte wurde besonders im 19. Jahrhundert gepflegt, als Polen zwischen drei Besatzungsmächten aufgeteilt war und polnische Aufständische oft in zaristischen Gefängnissen landeten. Kurz vor Weihnachten gab es manchmal eine Amnestie und man rechnete damit, dass der arrestierte Familienvater oder Sohn zum Heiligabend auftauchen könnte. Heute wartet der leere Teller auf einen unbekannten Wanderer.
Eine Rute für ungezogene Kinder
Nach dem Essen darf Sankt Nikolaus endlich kommen. Bei mir zu Hause haben wir uns alle in einem Zimmer versteckt, um ihm den Weg ins Wohnzimmer frei zu machen. Er raste auf seinen Schlitten, flog meistens durchs offene Fenster oder durch den Schornstein in die Wohnung rein und legte die Geschenke blitzschnell unter den Tannenbaum. Vor dem Auspacken mussten wir Kinder noch ein Weihnachtslied vorsingen und es war das schnellste Singen der Welt, weil wir so neugierig und ungeduldig waren. Und ein bisschen unsicher, weil es hieß, dass auf die ungehorsamen Kinder eine Rute unter dem Tannenbaum warten sollte. Zum Glück haben wir sie nie zu spüren bekommen.
Polen feiern am liebsten zu Hause
Heute belegen sogar Forschungsergebnisse der Universität Warschau, dass Weihnachten das Lieblingsfest der Polen ist und dass sie die Weihnachtstraditionen unbedingt ihren Kindern beibringen wollen. Nur zwei Prozent der Polen fahren in der Zeit in den Urlaub, Weihnachten ist ja für die Familie bestimmt. Man feiert am üppig gedeckten Tisch, wo natürlich der Karpfen zum Höhepunkt des Abendessens wird.
(Zuerst veröffentlicht am 21.12.2017)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Sachsenspiegel | 22. Dezember 2016 | 19:00 Uhr