Coronakrise Ärzte in Sachsen: Wegen der Pandemie zurück nach Tschechien

16. November 2020, 08:00 Uhr

"Die Pandemie hat uns nach Hause gebracht!" - Das sagen Eva und Pavel Martinek, beide Mitte 30, mit einem erleichterten Lächeln nach ein paar aufregenden Monaten, in denen ihnen nicht immer zum Lachen zumute war.

Eva und Pavel verschlug es vor zehn Jahren nach ihrem Medizinstudium in Prag nach Deutschland. Hier arbeiteten sie in Krankenhäusern und Hausarztpraxen. Zuletzt waren sie beide als Landärzte in Oderwitz in der Oberlausitz unterwegs.

Die Oberlausitz schien für sie als junge tschechische Ärzte ideal: Dr. Gottfried Hanzl - ein Landarzt wie aus dem Bilderbuch, der selbst schon längst im Ruhestand sein könnte, aber seine Patienten nicht im Stich lassen will - war glücklich, mit den beiden jungen Ärzten die drohende medizinische Versorgungslücke schließen zu können. Er vertraute ihnen und seine Patienten schlossen die Tschechen schnell ins Herz. Rasch merkten die Oberlausitzer, dass Pavel und Eva zum einen fachlich sehr gute Ärzte sind und zum anderen genau das können, was einen guten Landarzt ausmacht: Immer ein Lächeln auf dem Gesicht und ein offenes Ohr nicht nur für die medizinischen Belange. Und beide sprechen perfekt Deutsch.

Paul Martinek und Gottfried Hanzl
Pavel Martinek und Gottfried Hanzl arbeiten gemeinsam in Oderwitz Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Pavel und Eva mieteten eine schöne kleine Wohnung unterm Dach im nahen Zittau und genossen die Vorzüge der Kleinstadt mit Kultur und Einkaufsmöglichkeiten. Die Eltern von Eva lebten nicht weit weg: In Tschechien auf einem Dorf zwischen Liberec und Mladá Boleslav. Die Verbindung war eng und die gegenseitigen Besuche regelmäßig. Die neue Heimat schien perfekt.

Die Pandemie verändert die Perspektive

Doch dann kommt Corona. Die Grenzen schließen im Frühjahr 2020 von einem Tag auf den anderen. An gegenseitige Familienbesuche ist lange Zeit nicht zu denken. Eva ist schwanger und die Angst wächst, dass ihr Kind auf die Welt kommt und die Großeltern nur aus der Ferne die ersten Monate miterleben können. Eine schreckliche Vorstellung für sie.

Eine schwere Entscheidung liegt vor ihnen: Bleiben - oder zurück in die alte Heimat? Eine tolle Arbeit in einer sehr gut laufenden Landarztpraxis in Deutschland – dem Sehnsuchtsort vieler tschechischer Arztkollegen - auf der einen Seite der Grenze. In Deutschland verdienen Pavel und Eva mindestens das Doppelte von dem, was Ärzte in Tschechien bekommen. Hier sind die Arbeitszeiten geregelt, die technische Ausstattung auf gutem Niveau. Die Familie und ihre eigenen Wurzeln auf der anderen Seite. Und ihre Heimat Tschechien braucht dringend junge Ärzte. Laut Statistik sind ca. 40 Prozent der Ärzte dort älter als 60.

Oderwitz aus der Luft
In Oderwitz in Ostsachsen hatten Eva und Pavel Martinek einen neue Heimat gefunden Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Doch dürfen sie ihre Patienten und Dr. Hanzl in Oderwitz im Stich lassen? Sie kennen den Landarztmangel in Deutschland und wissen, wie dringend Dr. Hanzl sie in der Praxis braucht. Und werden sie in Tschechien ähnlich arbeiten können wie in Deutschland? Petr, ihr Sohn, kommt im Juli in Zittau zur Welt. Zum Glück ist gerade Sommer, die Grenzen zeitweilig offen. Doch es ist klar: Das ist nicht von langer Dauer.

Neustart in Tschechien

Eva und Pavel entscheiden sich nach langem Ringen für die Familie und wagen "einen großen Sprung ins eiskalte Wasse". Sie verlassen Deutschland und ziehen zurück nach Tschechien. Pavel eröffnet am 1. September 2020 eine Praxis für Allgemeinmedizin in einer tschechischen Gemeinde mit 8.500 Seelen - ähnlich groß wie Oderwitz in der Oberlausitz. Die Praxis ist 12 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. Er startet mit der Patientenanzahl "Null". Pavel meint, er habe große Angst wegen Corona gehabt, dass die Patienten die Praxis meiden würden. Auch Kollegen warnen ihn, dass der Zeitpunkt für eine Praxiseröffnung denkbar schlecht sei.

Der Vorteil der Familie ist für Eva und Pavel schnell offensichtlich: Sie ziehen mit Petr zu Evas Eltern ins Haus, in das während der Pandemie auch Evas Brüder zurückgekehrt sind. Hier gibt es einen Garten und Eva ist sich sicher: In der Stadt, in Zittau, wäre ihr schon längst die Decke auf den Kopf gefallen, da all das, was für sie wichtig war - wie Kultur und Einkaufen - in Lockdown Zeiten erschwert ist. In dem kleinen tschechischen Dorf ist immer einer da, mit dem sie reden kann, der mit ihr einen Kaffee trinkt, der mit erlebt, wie der kleine Petr sich von Tag zu Tag entwickelt.

Neue Praxis und Lehrauftrag in Prag

Auch in Pavels Praxis fügt sich alles zum Guten. Heute - nur zweieinhalb Monate nach Beginn - haben 400 Patienten den Weg zu ihm gefunden. Und: Er bekommt einen Lehrauftrag in Prag an der Karls Universität. Hier haben Eva und er studiert. An der Universität wird ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin aufgebaut. Ein Kollege fragt Pavel, ob er nicht Lust hätte zu lehren und ob er seine Erfahrungen, die er im deutschen Gesundheitssystem gesammelt hat, an Studierende weitergeben kann? Für Pavel ist das eine große Freude und Ehre. Am 28.09.2020 startete das Semester.

Junge tschechische Ärztin in der Oberlausitz

Und auch für Dr. Hanzl in der Landarztpraxis in Oderwitz wendet sich alles zum Guten: In der Zeit, als Pavel und Eva mit ihrer Entscheidung ringen, nach Tschechien zurückzukehren, fragt eine Freundin die beiden - ebenfalls Ärztin - ob sie nicht eine Landarztpraxis in Deutschland wüssten, bei der sie sich bewerben könne. Eva und Pavel sind sich sicher: Sie ist ein würdiger Ersatz für sie beide. Und so arbeitet in Oderwitz eine neue tschechische Kollegin an der Seite von Dr. Gottfried Hanzl.

Dr. Gottfried Hanzl aus Oderwitz
Dr. Gottfried Hanzl konnte für seine Praxis erneut Verstärkung aus Tschechien bekommen Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Eva und Pavel sind nun wieder in ihrer alten Heimat zu Hause. Mit den Erfahrungen, die sie in Deutschland sammeln konnten und die sie jetzt an ihre tschechischen Kollegen weitergeben werden tragen sie ein gutes Stück dazu bei, dass Europa trotz der Grenzen, die aufgrund dieser Pandemie ab und an wieder geschlossen werden müssen, weiter zusammenwachsen kann.


Die Reportage "Weitermachen in der Krise – Leben mit geschlossenen Grenzen", der u.a. den jungen Arzt aus Tschechien Pawel Martinek porträtiert, hat den Deutsch-Tschechischen Journalistenpreis in der Kategorie "Multimedia" gewonnen. - Die Preisverleihung vom 14.11.2020 können Sie sich hier noch einmal ansehen.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | MDR Sachsen | 19. Oktober 2020 | 14:00 Uhr

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