Grenzöffnung mal anders Polnische Soldaten besetzen tschechische Kapelle

11. Juni 2020, 18:54 Uhr

Was ist hier denn verkehrt? Das dachten sich wohl auch die Bewohner eines Dörfchens in Tschechien, als ihre Kapelle plötzlich von polnischen Soldaten besetzt wurde. Erst auf Druck des tschechischen Außenministeriums verließen die Soldaten das fremde Terrain.

Nach dem europaweiten Lockdown hat Tschechien bekanntlich seine Grenzen geöffnet. So weit so gut. Doch offenbar hat das Militär in Polen da etwas falsch verstanden! Denn kürzlich sind polnische Einheiten in tschechisches Gebiet vorgedrungen und haben eine Kapelle nahe des Dorfes Pelhřimovy besetzt.

Eigentlich waren die Soldaten mit der Sicherung und Abriegelung der polnischen Grenze aufgrund der weltweiten Coronavirus-Pandemie beauftragt. Doch plötzlich haben sie es sich mit einem Lagerfeuer auf der anderen Seite der Grenze gemütlich gemacht und in der Kapelle eine Art Checkpoint eingerichtet - natürlich streng bewacht mit Maschinengewehren.

Zutritt verboten

Wer die kleine denkmalgeschützte Kapelle besuchen wollte, wurde rigoros verjagt: keine Widerrede! Fotografieren - verboten! Dabei liegt das Baudenkmal an einem Radwanderweg - wohlgemerkt auf tschechischem Staatsgebiet. Eigentlich hätten die polnischen Soldaten hier nichts zu suchen.

Als sich nach Beschwerden von Anwohnern und Touristen schließlich das tschechische Innen- und Außenministerium bei den zuständigen Kollegen in Warschau beschwerte, kam endlich Bewegung in die Festung. Allerdings nur ein bisschen. Statt unverzüglich abzuziehen, lockerte die polnische "Besatzertruppe" lediglich ein wenig das "Besatzerregime": Tschechische Touristen durften nun wieder in die kleine Kapelle. Die polnischen Soldaten allerdings blieben noch ein wenig, hieß es in tschechischen Medien.

Spottwelle im Netz

Der Vorfall hat im polnischen Internet eine Welle von Spott-Kommentaren ausgelöst. Viele fragten ungläubig, "ist das wirklich wahr?" Andere spotteten: "Google Maps hat sie wohl fehlgeleitet." Oder: "Grandioser Schachzug, fast genauso grandios wie die Besetzung der Krim durch Russland" und "was macht die tschechische Armee? Sitzt wohl bei Bier und Knödeln in der Dorfkneipe."

In manchen Kommentaren wurden auch schwere historische Geschütze aufgefahren: Sie erinnern an das Jahr 1938, als Polen das Münchner Abkommen nutzte, um das umstrittene Olsa-Gebiet zu besetzen, um das die Tschechoslowakei und Polen seit Jahren stritten. Andere vergleichen den "Einmarsch" in dem kleinen Dorf Pelhřimovy mit der Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Warschauer Pakt 1968.

Was sagt Polen eigentlich?

Erst kürzlich hat das polnische Verteidigungsministerium zu dem Grenzzwischenfall Stellung bezogen: Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, dieses sei jedoch inzwischen wieder korrigiert worden. Wie es zu dem "Missverständnis" kommen konnte, wurde allerdings nicht erklärt. Vielleicht suchten die Soldaten aufgrund des nassen Wetters in den letzten Tagen einfach nur ein Dach überm Kopf...

Kleine Kapelle mit bewegender Geschichte

Die kleine Kapelle steht 30 Meter vom Grenzbach entfernt. Lange Jahre verfiel sie still im Niemandsland. Erst nach dem Schengen-Abkommen, als die Grenze durchlässig wurde, zog hier wieder Leben ein. Vor wenigen Jahren wurde sie von tschechischen und polnischen Freiwilligen restauriert. Seitdem gab es hier immer wieder Gottesdienste, die vor allem von den polnischen Nachbarn besucht wurden. Deren Vorfahren wurden nach 1945 aus den ehemals polnischen Ostgebieten hierher umgesiedelt. Da sie Mitleid mit den ehemaligen deutschen Bewohnern der Gegend hatten, die nach Kriegsende ihre Heimat ebenfalls verlassen mussten, haben sie in der Kapelle eine Figur aufgestellt: eine Mutter Gottes, die als Beschützerin der Aussiedler dargestellt ist.

(baz)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 12. Juni 2020 | 17:45 Uhr

Ein Angebot von

Mehr aus Land und Leute

Mehr aus Osteuropa