Tschechien Die längste Fußgänger-Hängebrücke der Welt sorgt für Streit
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20. August 2022, 05:16 Uhr
Niedermähren war lange Zeit eine vergessene Region in Tschechien – bis ein Unternehmen für acht Millionen Euro die längste Fußgänger-Hängebrücke der Welt dort baute. Seitdem kommen die Touristen in Scharen. Doch es fehlt an Infrastruktur und auch die Natur könnte Schaden nehmen.
Fast 100 Meter über dem Boden bietet die neue Touristenattraktion spektakuläre Ausblicke auf die Täler und Hügel im Nordosten Tschechiens. Seit der Eröffnung der Hängebrücke am 13. Mai 2022 haben bereits Zehntausende Besucher den Weg hierher gefunden – viele von ihnen aus dem Ausland, vor allem aus dem nahe gelegenen Polen, aber auch Deutsch, Englisch und Niederländisch sind zu hören.
Dolní Morava: eine Hängebrücke im Rampenlicht
Das eindrucksvolle Bauwerk wurde sogar von den Redakteuren des amerikanischen Time-Magazins bemerkt und in die Liste der 50 schönsten Orte der Welt im Jahr 2022 aufgenommen. Mehr noch: Es durfte die Titelseite des renommierten Magazins schmücken.
Petr Vrzal, stellvertretender Bürgermeister des Dorfes Dolní Morava, in dem sich die Hängebrücke befindet, freut sich über den Ruhm. Kein Wunder, denn die touristische Erschließung der Region begann hier später als anderswo in den tschechischen Gebirgen. Die Gegend wurde früher "das Land der Stille" genannt.
Nun ist es mit der Stille vorbei, und das obwohl die Sehenswürdigkeit recht abgelegen und eigentlich nur mit dem Auto zu erreichen ist. Und damit beginnen die Probleme. Denn es fehlt an grundlegender Infrastruktur, wie Vrzal einräumt: "Alle Besucher müssen mit ihren Autos durch das Dorf zum Ressort fahren und dort parken." An Wochenenden sind die Parkplätze oft schon um die Mittagszeit voll.
Die Gemeinde mit rund 400 Einwohnern bräuchte eine Umgehungsstraße, damit sie von den Autos der Touristen nicht verstopft wird, aber auch einen Rad- und Fußgängerweg, so Vrzal. "Es fehlt an Restaurants, Kneipen und Cafés sowie anderen Dienstleistungen, um die Besucher zeitlich und räumlich zu verteilen", erklärt der Kommunalpolitiker.
Umweltschützer kritisieren Massentourismus
Vor allem Naturschützer sehen den plötzlichen Ruhm von Dolní Morava kritisch. Der Ort mit der längsten Fußgänger-Hängebrücke der Welt liegt zwar "nur" in einem Naturpark, was eine der niedrigeren Formen von Naturschutz in Tschechien darstellt, in der Nähe befindet sich jedoch der Berg Glatzer Schneeberg (Kralický Sněžník), der aufgrund seiner besonderen Wälder und Feuchtgebiete streng geschützt ist.
Die Verwaltung des Landschaftsschutzgebiets habe betreits Zäune aufgestellt, weil das Gebiet durch die vielen Menschen, die sich abseits der Wege aufhielten, zerstört werde, beklagt Anna Kárníková, die Vorsitzende der Umweltschutzorganisation "Hnutí Duha" (Regenbogen-Bewegung).
Laut Kárníková wäre es besser, diese wertvollen Schutzgebiete mit einer anderen Art von Touristenattraktionen zu verbinden – solchen, die auch Aufklärung über die Umwelt, ihren Wert und die Notwendigkeit ihres Schutzes bieten. "Im Böhmerwald zum Beispiel konzentrieren sich die touristischen Attraktionen thematisch auf wertvolle Pflanzen und Tiere", so Kárníková. Die Umweltaktivistin weist außerdem darauf hin, dass der Bau von Ressorts wie Dolní Morava im Ausland oft mit der Bereitstellung von emissionsfreien öffentlichen Verkehrsmitteln einhergehe – dies sei hier nicht der Fall.
Der Kralický Sněžník ist übrigens nicht der einzige tschechische Berg, der mit Zäunen und Schutznetzen vor den Massen geschützt werden musste. Vor zwei Jahren wurden sie auf dem höchsten tschechischen Gipfel, der Schneekoppe, aufgestellt. Schon seit längerem müssen Naturschützer die Straße zu den wertvollen Adršpach-Teplice-Felsen regelmäßig sperren, und auch an den Seen des Nationalparks Böhmerwald kommt es immer häufiger zu Auseinandersetzungen mit undisziplinierten Touristen. Unter den Städten versuchen das äußerst pittoreske Český Krumlov oder Karlštejn mit seiner berühmten Burg dem Massentourismus Herr zu werden.
Martin Palán, kaufmännischer Direktor der Betreibergesellschaft der Hängebrücke in Dolní Morava, weist die Kritik der Umweltschützer zurück. "Ich sage es mal so: Einkaufszentren beanspruchen zum Beispiel auch Tausende von Quadratmetern Ackerland", so Palán in einem Interview mit der Tageszeitung "Aktuálně". Auf die vom MDR geschickten Fragen reagierte das Unternehmen nicht.
Für Einheimische bald unerschwinglich?
Vize-Bürgermeister Vrzal lobt die Zusammenarbeit mit dem Investor, der bei weitem das meiste Geld zu dem Haushalt der Gemeinde beisteuert – vor der Hängebrücke hatte er hier bereits ein ganzes Ferienressort mit Skipisten, Radwegen, Hotels und einem ebenfalls recht spektakulären Aussichtsturm errichtet.
Dem Ort brachte das eine Trendwende, berichtet Vrzal: Jahrelang seien die Einwohner weggezogen, jetzt kämen Menschen hierher, um in dem Ressort zu arbeiten. Allerdings räumt er ein: "Aufgrund des Anstiegs der Grundstückspreise ist es im Grunde unmöglich, im Dorf ein Einfamilienhaus zu bauen".
Ferienressort Dolní Morava
Die neue Fußgänger-Hängebrücke ist Teil eines größeren Ferienressorts in Dolní Morava. Bisherige Hauptattraktion war dort ein riesiger, ausladender Aussichtsturm mit dem Namen Wolkenpfad, der vor der Corona-Pandemie zuletzt etwa 300.000 Besucher jährlich anzog. Außerdem gehören mehrere Winterskipisten, eine Bobbahn, Seilbahnen, einen Waldseilgarten, ein Netz von Radwegen mit Fahrradverleih sowie Hotels und Pensionen dazu. Betrieben wird das Ressort von der Aktiengesellschaft Sněžník.
Ein weiterer Wermutstropfen: Der Besuch der Hängebrücke und der anderen nahegelegenen Touristenattraktionen ist für tschechische Verhältnisse recht teuer und die Einheimischen dürfen sie nur einmal im Jahr kostenlos besuchen. Wenn man mit der Seilbahn zum Fuß der Brücke fahren möchte, zahlt ein Erwachsener 36 Euro. Zum Vergleich: Die teuerste Führung durch die Prager Burg kostet nur zehn Euro pro Person.
Solche "Mondpreise" sind schon aus anderen tschechischen Urlaubsorten Orten bekannt, die seit Jahren angesagt sind. Die Kosten fürs Wohnen und die Preise von Dienstleistungen steigen in gleichem Maße, wie die Touristenströme zunehmen – in Fachkreisen ist diese Erscheinung unter dem Namen "touristische Inflation" bekannt. Im schlimmsten Fall verdrängen Urlauber und Ausflügler die Einheimischen – so wie es in der historischen Altstadt von Český Krumlov geschehen ist. Droht das auch Dolní Morava?
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR Sachsenspiegel | 22. Mai 2022 | 19:00 Uhr