Tschechien Warum Prager Radfahrern der Angstschweiß ausbricht

10. Mai 2021, 12:38 Uhr

Während der Corona-Pandemie haben viele Prager das Rad für sich entdeckt. Doch in den Berufsverkehr trauen sich nur wenige. Das hat einen handfesten Grund. In Tschechien regieren die Autofahrer.

Die Prager Journalistin Helena Truchlá
Bildrechte: Helena Truchlá | MDR

Radfahrer vor Prager Kulisse
So idyllisch ist Radfahren in Prag im wirklichen Leben nicht. Bildrechte: imago images/ZUMA Press

Deutlich wird das an der Reaktion auf einen Vorstoß, der das Radfahren in Tschechien ein wenig sicherer machen soll. Nachdem das Unterhaus des tschechischen Parlaments beschlossen hatte, dass Autos künftig beim Überholen mindestens 1,5 Meter Abstand zu Radfahrern halten müssen, pöbelte die Autofahrer-Fraktion. Eine solche Regel zu überwachen sei unmöglich, meldete sich beispielsweise der Chef der tschechischen Verkehrspolizei, Jiří Zlý, zu Wort. Die Radfahrer sollten stattdessen zu mehr Disziplin erzogen werden, findet Zlý. Er verwies auf eine Statistik über schwere Unfälle von Radfahrern, die zeigt, dass die meisten Crashs von Radfahrern verursacht worden waren. In diese Statistik fließen allerdings auch all jene Fälle ein, in denen Radfahrer ohne Fremdverschulden vom Rad gestürzt waren. Zur Wahrheit gehört in jedem Fall, dass in Prag und in der zweitgrößten Stadt Tschechiens, in Brünn, Jahr für Jahr weitaus mehr Fahrradfahrer zu Tode kommen, als in vergleichbar großen europäischen Städten wie Oslo oder Helsinki. 

In Brünn wird der Kampf Auto- gegen Radfahrer politisch ausgefochten. Die Bewegung "Brünn mit dem Auto", seit 2018 mit drei Mandatsträgern in den Stadt- und Bezirksräten vertreten, kämpft gegen autofreie Zonen, Geschwindigkeitsbegrenzungen und gebührenpflichtige Parkplätze.

Fahrradverkehr in Prag
Fahrradfahren in Prag: Da braucht man Mut und gute Nerven. Bildrechte: imago/CTK Photo

Radfahren in Tschechien: Die Angst fährt mit

Prager, die sich gerne aufs Rad schwingen, geben zu, dass sie die Angst vor rücksichtslosen Autofahrern davon abhält, öfter mit dem Fahrrad in der Stadt zu fahren. "Eigentlich habe ich die meiste Zeit Angst," sagt Lianca Lipanska, eine Pragerin, die manchmal mit dem Rad zur Arbeit fährt. "Ich hatte noch nie so viel Stress beim Radfahren wie in Prag", ergänzt Jolana Kubátová. Auch diejenigen, die zu dem einen Prozent der Bevölkerung der Hauptstadt gehören, die täglich Radfahren, geben zu, Angst vor Autos, Straßenbahnen oder dem sehr rutschigen historischen Pflaster zu haben, wenn das nass sei. 

Und auch in Brünn muss man Nerven zeigen, wenn man mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt. "Ich habe ein paar Routen gelernt, von denen ich weiß, dass mich niemand umbringen wird, wenn ich aufpasse", sagt Magdalena Selingerova, eine junge Mutter aus Brünn. Sie hat im Ausland gelebt und ist dort viel geradelt. "Leider sind wir irgendwie ein halbes Jahrhundert im Rückstand", sagt sie dem MDR. 

Fahrradstreifen-Straßenschild in Prag.
Im Abseits: Radfahren in Tschechien Bildrechte: imago images/CTK Photo

Prag will Fahrradfahren sicherer machen

Die Stadtregierung in Prag freut sich in jedem Fall über das während der Corona-Pandemie gestiegene Interesse am Radfahren und hat die Investitionen in die Verbesserung des Radwegenetzes erhöht. Das sei auch bitter nötig, meint Vratislav Filler vom Verein AutoMat, der das Radfahren in Städten fördert. "Die Wege, die es gibt, sind nicht miteinander verbunden, vor allem im Stadtzentrum", erklärt er. Es komme zu oft vor, dass der Weg plötzlich mitten auf einer Kreuzung oder in einem Graben endet. 

Prague Mayor Zdenek Hrib (front) and Ambassador of Denmark Ole Henrik Frijs-Madsen (centre) in action during the campaign Do prace na kole (Bike 2 Work) in Prague, Czech Republic, May 2, 2019.
Der Prager Bürgermeister Zdeněk Hřib (vorne) und der dänische Botschafter Ole Henrik Frijs-Madsen (zweiter Fahrer) warben im Mai 2019 dafür, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Bildrechte: imago images / CTK Photo

Auch hier will die Stadt nachbessern, vor allem bei den beiden Hauptverkehrs-Routen entlang des Moldauufers. Einige ihrer Abschnitte waren bis vor kurzem Feldwege, und immer noch teilen sich Radfahrer eine schmale Straße oft mit zwei Autospuren und zwei S-Bahn Trassen. 

Anders als beispielsweise in Kopenhagen, wo der Radverkehr seit fast 30 Jahren gefördert wird, sind die Möglichkeiten der Gemeinden in Tschechien jedoch begrenzt. "Es gibt keine Regeln für die Einrichtung autofreier Straßen," so Filler. Das macht selbst Maßnahmen wie Pop-up-Radwege auf Zeit, wie man sie aus Berlin kennt, unmöglich. In Tschechien fürchtet man sich davor, dass solche Radwege Bestand haben könnten. Kritiker warnen davor, dass es den Bürgern das Recht nehmen könnte, einen freien Parkplatz zu finden. Auch Fußgänger sind besorgt, dass sich mehr Radfahrer in öffentlichen Parks oder Fußgängerzonen ausbreiten. 

Ein Teil des sogenannten  Backbone-Radweges im Prager Stadtzentrum.
Ein Teil des sogenannten Backbone-Radweges im Prager Stadtzentrum. Hier soll sich die Lage für Radfahrer bald deutlich verbessern. Bildrechte: Helena Truchla

Die tschechischen Radfahrer geben nicht auf

Doch die Fahrradfahrer in Tschechien versuchen trotz des Gegenwindes der Autofraktion optimistisch in die Zukunft zu schauen. Und so klammern sie sich an Statistiken wie diese: Mehr als jeder dritte Tscheche steigt in seiner Freizeit aufs Rad. Und tschechische Familien besitzen im Durchschnitt weniger als ein Auto, jedoch 1,23 Fahrräder. Viele von denen, mit denen der MDR für diesen Artikel sprach, sind fest davon überzeugt, dass mit mehr Radwegen und Fahrradständern automatisch auch mehr Menschen aufs Rad umsteigen werden.

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Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. April 2021 | 23:00 Uhr

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