Schlamm aus der Leitung Russland: Wenn der Zugang zu sauberem Wasser fehlt
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03. Juli 2021, 05:00 Uhr
Weltweit hat jeder vierte Mensch keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser - und das auch in vielen Ländern Europas. Die russische Region Krasnodar liegt am Schwarzen Meer. Weiter im Landesinneren bezieht die Siedlung Mitschurinskij ihr Leitungswasser aus dem Fluss Kuban. Hier kommt nur noch graubraune Brühe aus den Leitungen. Die Menschen fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.
"Cola oder Kaffee? Ist doch egal, wenn's aus dem Wasserhahn kommt!" - scherzen die Menschen in Mitschurinskij, einem Dorf im äußersten Südwesten Russlands. Und sie werden nicht müde, über die braune Brühe, die sie seit Jahren aus der Leitung kriegen, zu staunen. Dort, wo eigentlich klares Wasser kommen sollte. Einwohnerin Ljubow Andrejewa klagt: "Das kannst du weder zum Waschen noch zum Trinken nutzen. Wir haben keine Wahl. Also müssen wir es zu Hause erst stehen lassen und dann abkochen."
Eine Technik, die Menschen überall auf der Welt anwenden, um verschmutztes wenigstens etwas sauberer zu machen. Weltweit hat jeder vierte Mensch keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dazu kommt, dass sich drei von zehn Menschen nicht zu Hause die Hände waschen können. Gerade in einer Pandemie sei das ein unhaltbarer Zustand, kritisierten das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 1. Juli. "Händewaschen ist eine der wirksamsten Methoden, um die Ausbreitung von Covid-19 und anderen Infektionskrankheiten zu verhindern", sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. "Investitionen in Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene müssen weltweit Priorität haben, wenn wir die Pandemie beenden und widerstandsfähigere Gesundheitssysteme aufbauen wollen."
Die meisten Menschen, die unter dem Wassermangel leiden, leben im sogenannten Globalen Süden. Aber auch in Asien und Europa können viele Betroffene das Wasser aus der Leitung nicht nutzen. Wenn es denn überhaupt fließt.
Für die Einwohnerinnen und Einwohner der Lermontow-Straße in Mitschurinskij sind eimerweise braune Brühe von der Straßenpumpe längst Alltag. Sie haben zwar eine Wasserleitung in ihrem zweistöckigen Haus, aber dort ist der Druck oft so schwach, dass sie das Wasser lieber selbst pumpen. Und es spielt ja auch keine Rolle, wo man es herholt. Denn das Wasser im Dorf - sowohl auf der Straße als auch zu Hause - kommt aus einem großen Fluss, aus dem Kuban.
90 Prozent der Leitungen mit Schlamm verstopft
Laut einem Gutachten der staatlichen Naturschutzbehörde sind manche Wasserleitungen in Mitschurinskij mittlerweile bis zu 90 Prozent mit Schlamm aus dem Fluss verstopft. Auch das Wasser im Kuban gilt als verdreckt. Umweltschützer fordern, es dringend von Bakterien und Chemikalien zu reinigen. Auf Nachfragen zur Wasserqualität und den Maßnahmen der Wasserreinigung in der Region reagierten die lokalen Behörden nicht. Und so fühlen sich die Menschen in Mitschurinskij allein gelassen mit ihrem dreckigen braunen Wasser.
Das Problem bleibt nicht lokal
Und sie sind nicht die einzigen, die unter verschmutztem Trinkwasser leiden. Auch in den großen Städten, wie Moskau oder Jekaterinburg werden die Leitungen nur langsam erneuert. Und je kleiner die Orte, desto mehr fühlen sich die Menschen von der Regierung im Stich gelassen.
In Mitschurinskij gab es zu Sowjetzeiten eine Sowchose, einen staatseigenen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit einer Konservenfabrik. Der Staat kontrollierte nicht nur die Produktion von Lebensmitteln, sondern sorgte auch dafür, dass das Wasser für den Betrieb der Sowchose wenigstens rudimentär gereinigt wurde, erinnern sich die Alteingesessenen.
Aber dann brach die Sowjetunion zusammen. Und mit ihr das alte Reinigungssystem. Ljubow Andrejewa erzählt: "Früher standen am Ortsausgang große Behälter, in denen das Wasser aus dem Fluss aufbereitet wurde, bevor es weiter ins Dorf geleitet wurde. Aber dann kamen neue Machthaber, das Ganze wurde geplündert." Seitdem sind die Behälter marode. Sie schaffen es schon lange nicht mehr, das Wasser aus dem Fluss zu reinigen.
Warten, bis der Dreck sich absetzt
Im Frühjahr, wenn es Überschwemmungen gibt, verwandelt sich das Wasser des Kuban in eine graubraune Brühe und der Schlamm läuft fast ungefiltert in die Leitungen des Dorfs Mitschurinskij. Zu Hause muss das Wasser deshalb erstmal stundenlang in der Küche in Plastikbehältern abstehen, damit sich der Dreck auf den Boden absetzt. Dieses abgestandene Wasser ist dann ein bisschen sauberer. Aber auch nur ein bisschen.
Er wisse gar nicht mehr, wann er das letzte Mal richtig sauberes Wasser aus der Leitung getrunken habe, klagt der Rentner Iwan Rybalkin: "Seit 1975 lebe ich hier. Und so lange quälen wir uns damit. Manche kochen es ab. Ich tu's aber nicht mehr. Ich lasse es einfach stehen und koche dann später direkt mit diesem Wasser. Nur manchmal, wenn es richtig eklig wird, trinke ich sauberes Trinkwasser aus einem handelsüblichen Wasserspender."
Aber das Wasser aus dem Wasserspender kostet Geld. Bis zu 3.000 Rubel, umgerechnet 35 Euro im Monat muss Iwan Rybalkin für solches gekauftes Trinkwasser ausgeben. Geld, das der Rentner nicht hat. Das ist ein Drittel seiner Rente, die kaum zum Überleben reicht.
Eine Besserung der Wasserversorgung ist nicht in Sicht, weder in Mitschurinskij, noch weltweit. UNICEF und WHO warnen daher: Sollten sich die Trends fortsetzen, werden auch in Zukunft Milliarden Menschen keinen Zugang zu Wasser- und Sanitärversorgung haben.
Der Klimawandel verschärft das Problem des globalen Wassermangels umso mehr. Extremwetterereignisse wie Dürreperioden, aber auch Überschwemmungen, die zum Beispiel auch den Kuban immer wieder verunreinigen, nehmen zu. Dieses Jahr soll der Sommer im russischen Süden heiß werden. Der Wasserverbrauch im Dorf Mitschurinskij wird steigen - und mit ihm die Probleme mit dem Trinkwasser aus dem Kuban.
Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL TV | 18. Juni 2021 | 17:45 Uhr