Ungarn Miklós Horthy: Admiral, Reichsverweser, Kollaborateur, Antisemit
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23. März 2020, 09:56 Uhr
Vor 100 Jahren entschieden sich die Ungarn für die Monarchie. Anstelle eines Königs wurde ein "Reichsverweser" ernannt: Admiral Miklós Horthy. Er gilt als eine der umstrittensten Figuren der ungarischen Geschichte. An der Seite Hitlers führte er Ungarn in den Krieg gegen Jugoslawien und die Sowjetunion- Zudem ist er mitverantwortlich für die Ermordung von mehr als 600.000 ungarischen Juden.
Im August 1919 ritt der letzte Befehlshaber der kaiserlichen Flotte, Admiral Miklós Horthy, auf einem weißen Pferd in Budapest ein. Der ehemalige Adjutant des Kaisers Franz Joseph war inzwischen Oberbefehlshaber des Nationalen Heeres und war gekommen, um nach der gescheiterten Räterepublik Ordnung zu schaffen. Heute ist der "Admiral auf dem Schimmel", der sein Land an der Seite Hitlers in den Krieg führte und mitverantwortlich ist für die Ermordung von mehr als einer halben Million ungarischer Juden, eine der umstrittensten Figuren der ungarischen Geschichte.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán provozierte 2017 einen Aufschrei, als er Horthy als "Ausnahmestaatsmann" bezeichnete. Trotz des "Schocks von Trianon" habe man "vom Boden aufstehen und ein erfolgreiches Land aufbauen" können, zitiert Spiegel Online den ungarischen Regierungschef. Das ist angesichts der historischen Ereignisse bestenfalls arg geschönt.
Keine Demokratie, aber auch kein faschistischer Staat
Am 20. März 1920 wurde Horthy vom Budapester Parlament zum "Reichsverweser" gewählt. Ungarn war nun ein Königreich ohne König und hatte einen Admiral als Staatschef, aber keinen Zugang mehr zum Meer.
Das Horthy-Regime war beileibe keine Demokratie, aber eben auch nicht, wie es oft behauptet wird, faschistisch oder gar nationalsozialistisch. Der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos beschreibt es als "parlamentarisch verzierte Autokratie mit vielen feudalen Relikten, aber auch gewissen funktionierenden Institutionen, einander befehdenden Parteien und einer von Zensoren kontrollierten, dennoch nicht gleichgeschalteten Presse".
Das Hauptziel von Horthys Außenpolitik war die Revision der im Vertrag von Trianon festgeschrieben Grenzen, weshalb er heute noch in rechten Kreisen verehrt wird – auch wenn heute nur noch wenige Ungarn eine Verschiebung dieser Grenzen offen fordern. Der Vertrag wurde - und wird von manchen immer noch - in Ungarn als große Schmach empfunden, vor allem, weil das Land laut des Vertrages rund zwei Drittel seines Territoriums abtreten musste. Nun waren die meisten dieser Gebiete nicht von Ungarn besiedelt, dennoch fanden sich durch die Grenzziehungen rund 3,2 Millionen ethnische Ungarn als Minderheit in einem Nachbarland wieder.
Trianon - ein nationales Trauma
Daher herrschte im politischen Ungarn der damaligen Zeit ein breiter revisionistischer Konsens. Die radikalen Revisionisten, zu denen auch Horthy gehörte, wollten alles wiederhaben, die moderateren, pragmatischeren, bemühten sich dagegen nur um die Rückgabe der mehrheitlich von Ungarn bewohnten Gebiete.
Der Vertrag von Trianon wird aber von vielen Ungarn immer noch als "nationales Trauma" beschrieben. Dazu merkt der ungarische Historiker Ferenc Laczó an: "Passender wäre es – um beim psychologischen Vokabular zu bleiben –, von einer Neurose zu sprechen". Inzwischen hat die Regierung Orbán sogar einen jährlichen Trianon-Gedenktag eingeführt.
Auch im Ausland, etwa in Großbritannien, wurde der Vertrag von Trianon damals als zu hart empfunden, doch die Briten konnten sich angesichts der fragilen Nachkriegsordnung nicht dazu durchringen, eine friedliche und moderate Revision der Grenzen zu unterstützen. Das erklärt, rechtfertigt aber nicht die Bemühungen Horthys, sich Nazi-Deutschland anzudienen. Und zunächst brachte das große Erfolge: Im ersten Wiener Schiedsspruch bekam Ungarn aus Hitlers Hand Teile der Slowakei zurück, im zweiten gar Teile Siebenbürgens. Die Ungarn waren euphorisch, Horthy auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Dass der Rückgewinn der Territorien einen hohen Preis haben würde, bedachte man nicht.
Ungarn kämpft an Hitlers Seite
Im April 1941 überfiel Hitler Jugoslawien, mit dem Ungarn kurz zuvor einen Freundschaftsvertrag geschlossen hatte. Doch Horthy ließ die deutschen Truppen nicht nur durchs Land ziehen, er beteiligte sich an dem Angriff, um sich Hitlers Gunst zu sichern – obwohl der das gar nicht gefordert hatte. Als Belohnung erhielt Ungarn auch dort verlorene Territorien zurück.
In dem festen Glauben, Hitler werde den Krieg gewinnen und Ungarn die wiedererhaltenen Gebiete behalten dürfen, erklärte Ungarn als Verbündeter Deutschlands im Juni 1941 der Sowjetunion den Krieg. Knapp drei Jahre später hatte sich das Blatt gewendet: Inzwischen waren 300.000 ungarische Soldaten am Krieg beteiligt, allein in der Schlacht von Woronesch am Don hatten im Januar 1943 rund 150.000 davon ihr Leben gelassen, die alliierten Truppen waren auf dem Vormarsch. In Budapest bemühte sich Horthy verzweifelt, aus dem leichtfertig begonnenen Krieg wieder auszusteigen – vergebens.
Hitler war indes von Horthys Bemühungen bestens unterrichtet. Zudem waren die Nazis unzufrieden mit der "Lösung der Judenfrage" in Ungarn. Am 19. März 1944 rückten deutsche Truppen in Ungarn ein, Widerstand gegen die Besetzung gab es nicht, es fiel kein einziger Schuss. Ungarn blieb auch während der Okkupation formal unabhängig und Horthy zunächst im Amt. Am 14. Oktober 1944 unternahm der Reichsverweser einen letzten Versuch, den Krieg für sein Land zu beenden. Doch Hitler war auch diesmal vorher informiert, ließ Horthy und seine Familie verhaften und zwang ihn, abzudanken. Die Macht übernahmen die Pfeilkreuzler unter Ferenc Szallási, Horthy wurde nach Deutschland gebracht, wo er bis Kriegsende blieb.
Erklärter Antisemit
Horthy war ein erklärter Antisemit, wie wir aus seiner eigenen Feder wissen. In einem Brief an seinen Freund – und späteren Premier – Graf Pál Teleki schreibt er: "Was die Judenfrage anbelangt, war ich mein ganzes Leben lang Antisemit, verkehrte nie mit Juden. (…) Da ich aber als eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung die Erhöhung des Lebensstandards betrachte, also wir müssen reicher werden, ist es unmöglich, die Juden, die alles in Ihrer Hand haben, in ein, zwei Jahren auszuschalten. (…) Dazu braucht man ein Menschenalter."
Dennoch teilte er weder den Fanatismus noch den Sadismus der Nazis oder ihres ungarisches Pendants, der Pfeilkreuzler. Letztere hielt er für eine wesentlich größere Bedrohung für Ungarn als die Juden, denn er schreibt in demselben Brief: "Vielleicht verkündete ich als erster den Antisemitismus, aber ich kann nicht Unmenschlichkeit, sadistischen, sinnlosen Demütigungen zusehen, jetzt, wo wir sie noch brauchen. Außerdem halte ich die Pfeilkreuzler für viel gefährlicher für meine Heimat als die Juden. Diese sind durch Interesse an ihr Adoptivland gebunden, während die Pfeilkreuzler mit ihrem verwirrten Sinn unser Land in die Hände der Deutschen spielen wollen."
Und während er mit seiner Einschätzung der Pfeilkreuzler durchaus richtig lag, hat er ihnen nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch den Weg geebnet: Bereits 1920 – also noch weit bevor solche Gesetze im modernen Europa üblich wurden – verabschiedete das ungarische Parlament ein Hochschulgesetz, das die Zahl der Juden an ungarischen Hochschulen massiv beschränkte. In den Jahren 1938, 1939 und 1941 wurden immer radikalere Judengesetze verabschiedet, die die Juden stufenweise aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben drängten und ihren Besitz "arisierten", und die zuletzt ihrem Nürnberger Vorbild sehr nahekamen.
Verantwortlich für den Tod von 600.000 ungarischen Juden
Obwohl die meisten Juden vor der Besatzung durch die Deutschen an Leib und Leben relativ sicher waren, kam es vereinzelt zu Massakern und Deportationen: Im Juli 1941 lieferte Ungarn in Kameniec-Podolsk rund 20.000 Juden an die Deutschen aus, die sie anschließend ermordeten. Anfang 1942 wurden in Novi Sad zahlreiche Menschen, die Angaben schwanken zwischen 1.200 und 4.000, von ungarischen Gendarmen getötet. Die Opfer waren vor allem Serben und Juden. Im Krieg galten Juden als zu "unzuverlässig", um Waffen zu tragen, und wurden zu Arbeitsdiensten abkommandiert. Dort und auf den sogenannten "Todesmärschen" kamen viele ums Leben.
Doch erst nach der Besetzung durch die Deutschen begann Mitte Mai 1944 die systematische Deportation der ungarischen Juden in die Vernichtungslager. Horthy missbilligte dies zwar, sah sich aber zunächst nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Erst nach massivem Druck aus dem Ausland – unter anderem durch den Papst – konnte er sich dazu durchringen, die Züge nach Auschwitz am 7. Juli 1944 stoppen zu lassen - was aber auch zeigt, dass er die Macht dazu hatte. Seine Entscheidung rettete den Budapester Juden das Leben, doch für viele andere kam sie zu spät: Bis dahin waren bereits über 400.000 ungarische Juden deportiert und ermordet worden.
Und: Der Antisemitismus, den Horthy und seine wechselnden Regierungschefs in den Jahren zuvor ganz freiwillig und ohne Not geschürt hatte, war eine giftige Saat, die nun aufging: Adolf Eichmann, der für die "Lösung der Judenfrage" in Ungarn zuständig war, benötigte dazu lediglich 60 Mann, den Rest erledigten ungarische Behörden und Amtsträger. Sie waren nur allzu bereit, den Willen Hitlers zur Vernichtung der Juden zu vollstrecken.
Der größte jüdische Verband in Ungarn, Mazsihisz (und mit ihm die meisten seriösen Historiker), ist daher nicht bereit, Horthy als "Retter der Budapester Juden" zu feiern und ihn aus seiner Mitverantwortung für den Holocaust zu entlassen. In einer Stellungnahme in Bezug auf Orbáns "Verherrlichung eines Hitler-Verbündeten" heißt es: "Horthys Verantwortung am Tod von 600.000 ungarischen Juden steht für uns außer Frage."
(zuerst veröffentlicht am 24.07.2017)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Radio: MDR aktuell | 13.10.2019 | 23:30 Uhr