Holzindustrie Rodungen gefährden Estlands Wälder
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11. Oktober 2020, 05:00 Uhr
Estland ist einer der am dichtesten bewaldeten Staaten Europas. Doch nicht mehr lange. Denn massenhaft werden dort Wälder gerodet, um aus den Bäumen Holzpellets herzustellen – mit langfristigen Folgen.
Estlands Wälder sind mächtig und vielfältig. Doch sie verändern sich rasant, beobachtet Liina Steinberg. Die ausgebildete Dolmetscherin hat als Freiberuflerin für die EU gearbeitet, doch als in der Coronakrise die Jobs ausblieben zog sie zurück in ihre Heimat Tammiku im Norden Estlands.
"Da entdeckte ich, dass es den Wald rechts und links nicht mehr gibt. Hier habe ich früher Pilze gesammelt. Hier lebten Elche und jetzt sieht es so aus", sagt Steinberg auf einer Autofahrt durch den angrenzenden Wald und deutet mit ihren Händen auf die Umgebung.
Massenhafte Rodungen für Holzpellets
"So", das bedeutet: Eine riesige gerodete Fläche, auf der zwischen Baumstümpfen nur noch vereinzelt Bäume in den Himmel ragen. Liina beobachtet auch, wie die Vielfalt der Natur immer mehr verschwindet. Denn oft werden Laubbäume gerodet und stattdessen nur noch schnell wachsende Fichten nachgepflanzt.
Die Stämme hier sind insbesondere bei den Herstellern von Holzpellets gefragt. Zigtausende gehen allein an den größten Pellet-Hersteller des Landes. Denn Pellets gelten laut EU als Biomasse, ihre Verbrennung als erneuerbare Energie. Ein großer Teil der in Estland produzierten Pellets wird nach Dänemark exportiert.
Holzverarbeitung ist wichtiger Wirtschaftszweig
Die Holzverarbeitung ist für die Wirtschaft des kleinen Landes enorm wichtig. 30.000 Jobs hängen direkt an der Holzindustrie. Dass auch hochwertiges Holz als Biomasse verfeuert wird sei kein Problem, findet Marku Lamp vom estnischen Umweltministerium:
Biomasse ist eine erneuerbare Energieressource. Bäume wachsen nach. Wenn wir die Bäume so aus den Wäldern holen, dass wir das Ökosystem nicht schädigen, ist Holz auf jeden Fall erneuerbares Material.
Wie viele Esten sorgt sich Liina Steiberg hingegen um die langfristigen Auswirkungen der Rodungen. Schon jetzt beobachtet sie in ihrem Wald, dass hier deutlich weniger Vögel leben. Studien geben ihr Recht. Fast ein Viertel weniger als noch vor 40 Jahren sind es in den estnische Wäldern.
Auswirkungen auf die nächste Generation
Für die Dolmetscherin ist das Verhalten ihrer Regierung unverständlich. Die Folgen würden vor allem die Generation ihrer Kinder betreffen, sagt sie: "Praktisch alle Bäume, egal von welchem Alter, hat man gefällt. Meine Kinder werden Rentner sein, wenn hier wieder ein normaler Wald steht."
Statt im Wald sammelt sie mit ihren Kindern die Beeren nun im eigenen Gewächshaus und macht Pläne. Sobald es wieder möglich ist, will Liina Steiberg Proteste organisieren: gegen die Rodungen und für den Erhalt des estnischen Waldes. Damit auch ihre Kinder vor der Haustür eine möglichst unberührte und vielfältige Natur erleben können.
(ahe)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 03. Oktober 2020 | 07:15 Uhr