Thüringer Musikradar Zwischen Hullefraan und Fegefeuer: Band Mosaic vertont Thüringer "Heimatspuk"
Hauptinhalt
27. Mai 2022, 05:00 Uhr
Aufgewachsen im Thüringer Schiefergebirge, interessiert sich Martin Falkenstein aus Gotha seit jeher für alles, was da so in Wäldern, auf Bergen und in Tälern lauern mag. Mit seiner Band Mosaic verbindet er Mythen und Folklore mit klirrenden Gitarrenklängen.
Es war in kalten Rauhnächten, als Martin Falkenstein sich in die Gartenhütte verkroch und zu Gitarre, Stift und Schreibblock griff. Es war jene Zeit, als Bandproben nicht möglich waren und der eigene Bewegungsradius begrenzt schien. Nicht aber die Fantasie.
Wenig später war "Unterhulz Zoubar" fertig. Ein Lied, in dem es über Wald und Bergen faucht, in dem es brennt und knistert. Ein Lied, das stumpf und düster scheppert. Falkenstein war zufrieden. Und die Wurzel des nächsten Mosaic-Albums begann zu wachsen.
Im Frühling 2022 ist das Werk erschienen. Unter dem Titel "Heimatspuk" entführt es auf eine musikalische Reise, die nicht jedem zu empfehlen ist, an der manche aber ihre helle Freude haben werden.
Die Hörselberge stehen schwarz | Aus den Bäumen fließt das Harz.
Folk-Melodien treffen auf raue Metal-Sounds
Die Thüringer Band fühlt sich in Schattenwelten wohl - irgendwo zwischen klirrendem Black Metal und düsterem Folk. Selten sind Anleihen des Post-Punk auszumachen. Oft klingt es polternd rau, hin und wieder filigran. Sänger Falkenstein beschwört und rezitiert, er flüstert und schreit. Eingehüllt in ein bewusst reduziertes Soundgewand, wähnt man sich bei Mosaic bisweilen wie im Fieberwahn.
Mosaic, das ist ist erster Linie Martin Falkenstein aus Gotha, der nicht nur komponiert und textet, sondern auch die Gestaltung von Platten- und CD-Hüllen, Videoschnitt und Produktion nur ungern aus den Händen gibt. Die Band ist sein Projekt, bei Konzerten unterstützen ihn seit Jahren befreundete Musiker, die sich ansonsten wiederum in ihren eigenen Formationen austoben. Ideen aber findet Falkenstein oft weit vom Proberaum entfernt.
Lodern Flammen unter den Hörselbergen?
Alte Bräuche, Sagen und regionale Traditionen haben es dem Musiker angetan: "Die Texte genießen bei Mosaic einen hohen Stellenwert. Ihnen wird mindestens ebenso viel Zeit gewidmet wie der Musik."
So basiert das Vorgängeralbum "Secret Ambrosian Fire" auf Legenden, die sich um die Hörselberge ranken. "In manchen Quellen heißt es, dass in einem der Berge das Fegefeuer lodert und dass Frau Holle in dieser Gegend in kalten Nächten der Wilden Jagd voran reitet." Die Volkssage der übernatürlichen Jäger am Winterhimmel ist nur eines der Motive, die immer wieder in den Werken Mosaics zu finden sind.
Inspiration findet Falkenstein nicht nur bei der Lektüre alter Klassiker, sondern auch beim Stöbern in in dicken Kompendien: "Der Bibliothekar und Schriftsteller Ludwig Bechstein hat im 19. Jahrhundert viel über unsere Region aufgeschrieben."
Zudem klappert er gern kleine Heimatmuseen ab, stets auf der Suche nach Handreichungen, in denen lokale Sagen, Traditionen und Geschichten festgehalten sind. "Hin und wieder hat man das Glück und begegnet Senioren, die einem von alten Bräuchen erzählen, die fast verloren gegangen sind."
Gerten-Schläge auf den Buckel
Viele dieser Traditionen stammen laut Falkenstein aus dem Südthüringer Raum - gern verbunden mit Winterspuk und Kinderschreck. "Da gibt's etwa den Herrscheklas in Schmalkalden - eine Art Knecht Ruprecht, der im Dezember die Kinder besucht. Ebenso faszinierend ist natürlich die Tradition um die Hulleweiber aus Schnett bei Masserberg."
Klirre, klirre Wind, so klirre - vom Simmersberg spukts herre!
Über die Hulleweiber stolperte der Musiker auf der Suche nach einem Pendant zum alpinen Perchten-Kult um Berggeister und Winterdämonen. "Neben den unheimlichen Hullefraan, die zum Jahresbeginn vom Berg runterziehen und die sich oft nur mit einem Schnaps aus dem Haus vertreiben lassen, gehört auch eine besondere Figur dazu: die Ströherne. Ihre Strohhalme bringen Glück fürs kommende Jahr. Aber Vorsicht: Zuvor gibt's drei Gerten-Schläge auf den Buckel", berichtet Falkenstein.
Die archetypischen Motive hinter solchen Bräuchen interessieren ihn. Oft scheinen Traditionen einzigartig, weisen aber Ähnlichkeiten zu Erzählungen aus ganz anderen Regionen auf. "Manches ist unheimlich, aber einige Figuren sind Heilsbringer, sie schützen die Heiligen Nächte, läuten das neue Jahr ein und bringen Segenswünsche."
Um all dies in seine Musik einfließen zu lassen, bedient sich Martin Falkenstein mehr als dem gewöhnlichen Instrumentarium einer Rockband. So nutzte er beim Lied "Hullefraansnacht" als Trommel den Korpus einer über 100 Jahre alten Waldzither aus dem Suhler Raum, die ihm seine Frau geschenkt hat. Gezupft wird das Instrument natürlich auch. Darüber geistert in einem repetitiven Mundart-Kauderwelsch die Stimme - und erinnert an Kinder- und Zauberreime.
Für die Aufnahme eines anderen "Heimatspuk"-Lieds wanderte der Musiker in den Wald und hämmerte dort mit einer Art Hillebille den Rhythmus ein. "Das ist im Grund genommen nur ein Schlagbrett mit einem Klöppel", erklärt Falkenstein. "Damit verständigten sich einst die Köhler und riefen zum Beispiel zum Mittag."
Die Meise piept, es klopft der Specht, die Finken lustig schlagen | Im Schatten liegt der Köhlerknecht und träumt von alten Tagen.
Diese Liebe zum Detail schätzen auch die Fans der düsteren Nischen-Musik - etwa 6.000 Mosaic-Follower gibt es auf Facebook, weitere 1.700 bei Instagram. "Es ist keine Musik zum Nebenbeihören", sagt Falkenstein. "Zuschriften zeigen, dass manche Leute die unorthodoxe, eher monoton gehaltene Musik fasziniert, andere beschäftigen sich mit gleichen Themen." Dass sein aktuelles Werk im Vergleich zu den ersten Alben laut eigenen Angaben "verhältnismäßig poppig" geraten ist und Rammstein-Einflüsse hörbar sein sollen, dürfte indes nur wahren Genre-Experten auffallen.
Wenn der Musiker erschreckt wird
Liebhaber dieser Klänge kamen kürzlich in Spanien auf ihre Kosten. Anfang Mai flog Falkenstein nach Barcelona, um seine Lieder in noch ungewöhnlicherem Stil darzubieten - allein, mit Trommel, Gitarre und einem sogenannten Loop-Pedal, das ihm ermöglicht, live mehrere Spuren aufzunehmen und übereinander abzuspielen. Weitere Auftritte in Bandbesetzung sind für 2022 geplant.
Und was sagen eigentlich Frau und Kind zu Mosaic und dem Faible des Gatten und Vaters für teils gruselige Sagen? "Beide sind sogar auf manchen Mosaic-Liedern zu hören", berichtet Martin Falkenstein. "Aber meiner Tochter bereitet es vor allem großen Spaß, mit einer Maske ins Zimmer getanzt zu kommen und mich plötzlich zu erschrecken."
MDR (mm)