Drei Generationen von Augenprothetikern Opa, Sohn, Neffe und Enkel
Drei Generationen von Augenprothetikern: Opa Frank, Sohn Tobias, Neffe beziehungsweise Enkel Louis Müller-Uri. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Augenprothesen Arbeit im Verborgenen: Wie in Lauscha Glasaugen hergestellt werden

19. März 2024, 05:00 Uhr

Die geheimnisvolle Welt der Glasaugen: Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen einer jahrhundertealten Tradition in Lauscha und zeigen, wie ein Familienunternehmen seit Generationen künstliche Augen aus Glas herstellt und damit Schicksale verändert. Es sind Einblicke in die faszinierende Arbeit der Augenprothetiker und die individuellen Geschichten ihrer Patienten. Seit März 2024 gehört ihr Handwerk zum immateriellen Kulturerbe Thüringens.

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Frank Müller-Uri schaut mir tief in die Augen. Dann nimmt er ein Kästchen zur Hand, in dem 50 Augen aus Glas liegen. Er holt ein Auge mit blauer Iris heraus. In der dritten Reihe von unten findet er genau meine Augenfarbe.

Es ist faszinierend. Wäre ich Patientin, würde er damit nun weiterarbeiten. Aber ich bin sehr froh, dass ich seine Hilfe nicht brauche - sondern, dass er und seine Nachfolger mir nur zeigen, wie sie arbeiten. Sie stellen in Lauscha künstliche Augen aus Glas her und das seit vielen Generationen.

Glasaugen - Farbe auswählen
Aus einer kleinen Kiste mit 50 Glasaugen ist schnell "mein" Blau gefunden. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Vorfahre erfindet Glasauge vor 190 Jahren

Ein Vorfahre der Familie, Ludwig Müller-Uri, hat vor fast 190 Jahren das Glasauge erfunden. Ein Augenarzt aus Würzburg hatte die Idee dazu, als er eine Puppe aus der Spielzeugregion Sonneberg und ihre Puppenaugen aus Lauscha genauer betrachtete. 190 Jahre später hat sich an der Herstellung der künstlichen Augen aus Glas kaum etwas geändert. Die Entwicklung ist laut Familienbetrieb "am Ende" angekommen - perfektioniert.

Los geht alles mit ein paar farbigen Spezialglasstäben aus der Farbglashütte in Lauscha. Einige werden zu sogenannten Farbstängeln verschmolzen. Damit wird die blaue, braune, grüne oder graue Regenbogenhaut des Auges (Iris) "gezeichnet". Andere Glasstäbe werden zu kleinen Kugeln geblasen, bekommen Iris und Pupille, Adern und individuelle Augenflecken.

Rohstoffe für Glasaugen
Rohstoffe für Glasaugen: Aus farbigen Glasröhren werden die Prothesen hergestellt. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

An neue Arbeitsweisen durch Künstliche Intelligenz glaubt zum Beispiel der jüngste Müller-Uri in diesem Beruf und seinem beginnenden Berufsleben nicht. Denn, auch wenn ein Computer den genauen Raum im Auge errechnen könne, so brauche die Augenprothese immer etwas Spiel, damit sie sich bewegen kann und nicht stört. Dazu gehöre Fingerspitzengefühl und Erfahrung mehr als neueste Technik, so seine Einschätzung.

Louis Müller-Uri, angehender Augenprothetiker
Der angehende Augenprothetiker Louis Müller-Uri glaubt für seine Branche an Handarbeit statt an KI. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Louis Müller-Uri ist 20 Jahre alt und lernt seit fünfeinhalb Jahren den Beruf des Augenprothetikers. Noch anderthalb Jahre sind es bis zur Prüfung. Eine unglaublich lange Ausbildung von sechs bis sieben Jahren, die an der Berufsfachschule Glas in Lauscha beginnt. Drei Jahre Theorie werden in der Schule unterrichtet. Im Betrieb, den sein Opa gegründet hat und den sein Onkel nun führt, wird er praktisch ausgebildet. Der Opa, der selbst 50 Jahre Berufserfahrung hat, übernimmt das. Er ist froh, dass die Tradition fortgeführt wird und dass es hier keine Nachwuchssorgen gibt.

Ein Augenprothetiker muss sehr genau arbeiten können - auf den Millimeter genau. Er muss Ruhe haben und Ruhe ausstrahlen, damit alles gelingt und er muss ein guter Psychologe sein.

Frank Müller-Uri Firmengründer

Firmengründer Frank Müller-Uri
Freut sich, dass er keine Nachwuchssorgen hat und seinen Enkel ausbilden kann: Firmengründer Frank Müller-Uri. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Louis sitzt in der ersten Etage des alten Hauses und stellt mit zwei weiteren Kollegen die "Halbfertigen" her. Darunter verstehen die Mitarbeiter die kugelförmigen, milchigen Glasaugen mit bunter Iris. So werden die Augen später aber nicht eingesetzt.

Auswahl von Glasaugen
Aus diesen halbfertigen Glasaugen, die auch im Betrieb hergestellt werden, suchen die Prothetiker die passende Farbe aus - dann wird damit weitergearbeitet. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Babys, junge Leute, Senioren, Männer, Frauen als Kunden

Es ist eine Art Fundus an Augen, aus denen der Augenprothetiker die passende Farbe für seinen Patienten auswählt und dann die Kugel so an seinem Brenner bearbeitet, dass eine Art Kontaktlinse übrig bleibt - eine Halbschale, die dem Patienten angepasst wird. Jedes Auge ist anders, jede Prothese auch. Das sieht man an der Auswahl, die auf dem Tisch liegt. Mehr als 1.000 Patienten haben die Müller-Uris. Es sind Babys darunter, junge Leute, Senioren, Männer, Frauen.

Glasaugen
Fertige Prothesen - jede sieht anders aus. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Jede Geschichte ist anders. Jeder geht anders damit um, wenn er ein Glasauge braucht - der eine ein bisschen leichter, der andere hat psychische Schwierigkeiten, wie Tobias Müller-Uri berichtet. "Ich habe Patienten, die gehen sehr offen damit um. Die sehen ihr künstliches Auge als Schmuck und suchen sich jedes Jahr eine neue Farbe aus. Und es gibt natürlich die Patienten, die unbedingt wollen, dass es überhaupt nicht auffällt."

Ich habe sogar Patienten, die sagen: Ich bin seit 40 Jahren verheiratet und mein Mann weiß nicht, dass ich ein künstliches Auge habe.

Tobias Müller-Uri Firmenchef
Glasaugen - Arbeit an Prothese 3 min
Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck
3 min

Drei Generationen von Augenprothetikern stellen in Lauscha Glasaugen für Patienten her, die wegen Krankheit oder Unfall ihr Auge verloren haben. MDR THÜRINGEN-Reporterin Isabelle Fleck hat sich das angesehen.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Sa 24.02.2024 05:00Uhr 02:30 min

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Sein Neffe Louis sagt, man schaue einem Menschen nun mal als erstes in die Augen. "Und da kommt es schon sehr drauf an, dass es wirklich gescheit und gut aussieht."

Man sollte das Auge aus Glas nicht sehen, man soll es übersehen.

Louis Müller-Uri Angehender Augenprothetiker

Nicht immer gelingt das, etwa wenn durch einen Unfall oder eine Krankheit große Teile des Gesichts operiert werden müssen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die Augenprothetiker wieder an die Unfälle zum Jahreswechsel erinnert. Einige Monate nach Jahreswechsel, wenn die Wunden versorgt, operiert und verheilt sind, stellen sich die Patienten mit Silvesterverletzungen vor.

Letztes Jahr hatten wir fünf bis sechs meist junge Leute mit sehr schwerwiegenden Verletzungen durch Feuerwerk, wo teilweise das Gesicht rekonstruiert werden muss.

Tobias Müller-Uri Firmenchef

Zehntausende Menschen mit Glasauge

Selbst ein Tischfeuerwerk für Kinder könne zum Verlust des Augenlichts führen. Tobias Müller-Uri und seine Kollegen haben schon viele Menschen mit schweren Schicksalen geholfen. Das alles geschieht aber im Verborgenen in der Praxis in Lauscha oder bei den Reisesprechtagen in Meiningen, Gera, Halle, Chemnitz, Wettin-Löbejün und Teutschenthal. Dann packen die Augenprothetiker viele verschiedene Glasaugen ein und formen vor Ort mit ihrem Brenner und viel Geschick und Erfahrung eine passende Halbschale. Tobias Müller-Uri schätzt, dass etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung ein Glasauge trägt - etwas mehr als 80.000 Menschen in Deutschland.

Glasauge muss einmal pro Tag gereinigt werden

Einmal am Tag wird es vom Patienten selbst herausgenommen und gereinigt. Ansonsten tragen die Patienten es gewöhnlich ununterbrochen - auch nachts. Einmal im Jahr bekommen seine Kunden in der Regel ein neues Auge. Denn durch Tränen oder Staub wird die Oberfläche rau und die Prothese fängt an zu stören. Bei kleinen Kindern wird das Glasauge öfter erneuert, denn sie wachsen noch und wenn es mal beim Reinigen herunterfällt und zerbricht, muss es ebenfalls erneuert werden.

Handwerk als Kulturerbe

In einem Glasauge steckt etwa eine Woche Arbeit. Diese Arbeit passiert weitgehend im Verborgenen und ist dann am besten gelungen, wenn sie niemandem auffällt. Ein Kulturerbe-Titel der Unesco könnte das vielleicht ändern. Alle Unterlagen dafür sind eingereicht. Im Jahr 2025 will eine Jury über den Titel entscheiden.

Auf eine andere Liste haben es die Lauschaer Glasaugen bereits geschafft. Seit Mitte März 2024 sind sie Teil des Landesverzeichnisses Immaterielles Kulturerbe Thüringens. Zusammen mit vier weiteren Kulturformen wurden sie auf Empfehlung der Landesjury in die seit 2022 bestehende Liste aufgenommen. Dazu gehören das Büchsenmacher- und Graveurhandwerk in der Region Suhl/Zella-Mehlis, der Sütterlin-Klub im Eichsfeld, der Osterpfad Vogtland und die Flurnamenforschung in Thüringen. Die Landesliste soll laut Staatskanzlei regional bedeutende Kultur abbilden und so die Vielfalt Thüringens sichtbar machen.

Zum Aufklappen: Wer gehört zur Landesjury?

Mitglieder der Landesjury sind in diesem Jahr:

  • Prof. em. Dr. Christel Köhle-Hezinger, bis 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Volkskunde (Empirische Kulturwissenschaft) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
  • Dr. Burkhardt Kolbmüller, Kulturwissenschaftler und Regionalentwickler, Vorsitzender Heimatbund Thüringen e.V.
  • Dr. Kathrin Pöge-Alder, Erzählforscherin, Musikpädagogin, Lehrbeauftragte an der HTWK Leipzig


Beratende Mitglieder (ohne Stimmrecht):

  • Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto, Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, UNESCO-Chair für Transkulturelle Musikforschung
  • Dr. Juliane Stückrad, Volkskundliche Beratungs- und Dokumentationsstelle Thüringen


Quelle: thueringen.de/immaterielles-kulturerbe

MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 24. Februar 2024 | 05:00 Uhr

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