Glaskunst aus Lauscha Der Attaché und der Augapfel
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08. Januar 2018, 12:53 Uhr
Wie ein ganz spezieller Exportschlager aus Lauscha dem jungen Handelsattaché Harald Nestler einen Freund im Libanon bescherte …
In den Fünfzigerjahren hatte Harald Nestler bereits einen Ausbildungsplatz als Schriftsetzer sicher. Ein Klassenlehrer redete seiner Mutter aber mit Erfolg ins Gewissen, dass ein so schlaues Kerlchen wie der Harald zu Höherem bestimmt sei. Während des Abiturs veränderte sich Nestlers Berufswunsch allmählich. Er möchte ans Theater oder einen Beruf, bei dem er viel reisen kann, erlernen. Nach dem Schulabschluss hatte er dann die Wahl - er hatte Zusagen von der Theaterhochschule sowie von der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Schließlich entschied er sich für die Ökonomie und studierte Außenhandel. "Das war kein Traumberuf, aber gut mit meinen Zielen vereinbar", sagt er heute. Das Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen und der Wunsch "ein Manager" zu sein, machten den Außenhandel für ihn letztlich interessanter als die Theaterwelt. Und dann war da ja noch der Wunsch, die Welt zu sehen ...
In die weite Welt
Mitte der Sechzigerjahre war Harald Nestler der jüngste Handelsattaché der DDR und lebte auch einige Zeit im Libanon. Sein Beruf wurde ihm mit den Jahren zur Berufung. Es ging ihm nicht ausschließlich darum, Waren an den Mann zu bringen und an das Geld seines Gegenübers zu kommen. Nein, die besonderen Momente, an die er sich noch heute gern erinnert, hatten immer damit zu tun, dass er eine persönliche Beziehung zu seinen Handelspartnern aufbauen konnte – über den eigentlichen Vertragsabschluss hinaus.
So sprach ihn einmal ein Beamter der libanesischen Außenhandelsbank auf der Leipziger Messe vertrauensvoll an. Bei einem Unfall hatte der Libanese ein Auge verloren und war seither durch eine leere Augenhöhle entstellt. Der Ruhm der Thüringer Glasbläser sei ihm zu Ohren gekommen. Ob diese auch Glasaugen fertigen würden, fragte er Nestler. Ja, natürlich, entgegnete dieser, Glasaugen seien schließlich ein Exportschlager der VEB Glaswerke Lauscha. Bereits 1835 wurde hier das erste Modell hergestellt.
Eine Werkstatt der besonderen Art
Nestler fuhr mit dem libanesischen Beamten in eine Werkstatt in Lauscha, ahnte aber nicht, was ihn dort erwarten würde. Männer in weißen Kitteln und Regale, voll mit gläsernen Augäpfeln in allen erdenklichen Farben, Größen und Ausführungen: mit Adern, ohne Adern, hell, dunkel. Eine unheimliche Atmosphäre, erinnert sich Nestler. Sein libanesischer Handelspartner aber war fasziniert von der großen Auswahl und der hohen Qualität der Glasaugen. Er probierte eins nach dem anderen, nach mehreren Stunden war der passende Augapfel endlich gefunden und wurde nun von den Männern in den weißen Kitteln individuell angepasst. Das Strahlen des Libanesen beim Verlassen der geisterhaften Werkstatt wird Nestler nie vergessen. Der Beamte hatte wieder ein Gesicht, mit einem starren Auge zwar, aber durch die meisterhafte Kunst der Thüringer Glasbläser war das erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Nestler hatte einen Freund gewonnen. Wann immer er selbst ein Problem hatte, konnte er getrost auf Hilfe aus dem Libanon hoffen.
(Zuerst veröffentlicht am 07.05.2013)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV, am: 14.05.2013 | 22:05 Uhr