Populismus in der Gesellschaft Warum wir Greta Thunberg lieben oder hassen
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26. Dezember 2019, 08:00 Uhr
Für die einen ist sie Ikone, für die anderen Hassfigur: Greta Thunberg. Gespräche über die Klimaaktivistin laufen häufig aus dem Ruder. Der Grund sind populistische Positionen, die jede inhaltliche Auseinandersetzung unmöglich machen und Gespräche sprengen. Nicht nur im Internet, sondern auch am Familientisch. Doch woher kommt der Populismus? Der Erfurter Autor Robert Müller nennt in seinem Buch "Ressentiment – Wiege des Populismus" psychologische Gründe.
Herr Müller, der Titel Ihres Buches "Ressentiment – Wiege des Populismus" legt nahe, dass der Aufstieg populistischer Parteien auf Vorurteilen beruht. Ist unsere Gesellschaft weniger offen, als wir denken?
Ja und nein: Je offener eine Gesellschaft ist, desto stärker formieren sich auch jene gesellschaftlichen Kräfte, die gegen diese Offenheit sind. Ich denke, wir sehen hier zwei Seiten derselben Medaille. Dass aber diese Polarisierung zunimmt und zunehmend erbitterter ausgetragen wird, kann man an der Debattenkultur im Internet beobachten. Aber es ist verkürzt, das Ressentiment mit Vorurteil gleichzusetzen.
Wie würden Sie den Begriff des Ressentiments denn erklären?
Hinter dem Ressentiment verbirgt sich ein komplexer psychologischer Mechanismus, der auf der grundlegenden Verunsicherung eines Menschen beruht. Diese Verunsicherung stellt die eigene Identität und das eigene Selbstwertgefühl in Frage. Aus dieser inneren Krise resultiert ein diffuses Bedrohungsgefühl den "Anderen" gegenüber, selbst wenn uns diese gar nicht bedrohen. Das ist das Tragische am Ressentiment: Es schafft Feindschaften, wo häufig gar keine sind. Durch eine vorauseilende Abwehrhaltung sozusagen, die sich unter anderem in Vorurteilen äußert.
Wodurch wird diese "grundlegende Verunsicherung" der eigenen Identität verursacht?
Die Verunsicherung beruht auf nicht überwundenen Verletzungen und Kränkungen. Diese können auf individuellen oder kollektiven Erfahrungen beruhen. Entscheidend ist das durchdringende Gefühl der eigenen Ohnmacht. Die eigene Selbstbehauptung ist einer der größten Antriebe eines Menschen. Scheitert sie, fühlen wir uns gekränkt und Ressentiment ist die Folge.
Ein solches Ohnmachtsgefühl stellte sich für viele Ostdeutsche in der Nachwendezeit ein. Allein zwischen 1989 und 1991 wurden mehr als 2,5 Millionen Menschen arbeitslos. Betriebe wurden geschlossen, Lebenspläne und ganze Erwerbsbiografien zerstört. Ist das der Grund, warum die AfD in den neuen Bundesländern so viel stärker ist als in den alten?
Das ist sicherlich ein Faktor. Zwar bewertet eine deutliche Mehrheit der Ostdeutschen die Wende heute alles in allem positiv - zugleich gibt es nicht Wenige, die die Folgen der Wende als Kränkung, als Nicht-Würdigung ihrer Lebensleistung empfunden haben. Viele ehemalige DDR-Bürger fühlen sich bis heute als "Bürger zweiter Klasse". Genau diese Kränkung, diesen tiefsitzenden Groll versucht die AfD für sich zu nutzen. Die Plakate zu den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit Slogans wie "Wende 2.0", "Vollende die Wende" oder "Damals wie heute: wir sind das Volk", machen das deutlich.
Das Unrechtsempfinden von Bürgern politisch zu kanalisieren, ist typisch für Protestparteien. Die Linke, bzw. früher die PDS, war viele Jahre genau damit im Osten erfolgreich. Doch bei der AfD geht es darüber hinaus: In ihrer Anhängerschaft sind zum Teil offener Rassismus, Hass auf Politiker, Journalisten, Homosexuelle, Klimaschützer und Feministen zu beobachten. Wie wird aus Ressentiment Hass?
Indem genau dieses Unrechtsempfinden vereinnahmt und ideologisiert wird. Es ist ja dieser Frust, diese Empörung, die zuletzt auch viele Nichtwähler wieder an die Wahlurnen gebracht hat. Die AfD benutzt den Frust, zum Beispiel den über die Nachwendezeit, als emotionalen "Rohstoff". Sie lädt ihn mit ganz anderen Inhalten auf, die auf extremen Vereinfachungen und einer kruden Freund-Feind-Logik beruhen. Sie liefert Feindbilder, gegen die sich die angestaute Wut richten kann. So wird beispielsweise das Feindbild "Migrant" systematisch mit dem Attribut "kriminell" verknüpft. In jeder Rede, jedem Interview und jedem Post in den sozialen Netzwerken wird das Thema Migration mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Das geht soweit, dass man "Migrant" irgendwann gar nicht mehr ohne die Assoziation "kriminell" denken kann. Auf diese Weise wird Hass regelrecht konditioniert. Und am Ende hat man ein berechtigtes Unrechtsempfinden über die Folgen der Wende, das sich an einem vollkommen Unbeteiligten entlädt.
Ist es dabei irrelevant, ob das empfundene Unrecht tatsächlich mit dem neuen Feindbild in Zusammenhang steht? Das durch die Wende empfundene Unrecht hat ja auffällig wenig mit Migration zu tun.
Nur um das klarzustellen: Das Thema Wiedervereinigung ist extrem vielschichtig – hier gibt es keine einfachen Erklärungen. Was das Ressentiment angeht, das hierbei nur ein Aspekt von vielen ist: Menschen, die in diesen Jahren vermeintliches Unrecht erlitten haben, streben danach, ihr beschädigtes Selbst zu behaupten. Das kann auf Kosten anderer geschehen. Wer diese Anderen sind, ist dabei nicht entscheidend. Adorno spricht von "beweglichen Vorurteilen". Damit meint er, dass Vorurteile weniger mit den tatsächlichen Eigenschaften derjenigen zu tun haben, die sie treffen, sondern mit den Feindbildbedürfnissen derer, die diese Vorurteile haben. Diese inhaltliche Willkür macht das Ressentiment zu einer wirksamen Waffe der Populisten.
Wie wirksam diese Waffe ist, sieht man am Beispiel Greta Thunberg. Im August 2018 begann sie ihren Klimastreik, heute ist sie die Hassfigur für Gegner des Klimaschutzes schlechthin. Können wir erlittene Kränkungen tatsächlich so schlecht verkraften, dass wir sogar bereit sind, ein Kind zu hassen?
Die Kränkungen, die in Ressentiment münden, sind gerade diejenigen, die wir nie verkraftet haben. Sie wirken in uns über Jahre hinweg wie ein Gärstoff, der uns langsam verbittert. Nietzsche bezeichnet das als "seelische Selbstvergiftung". Dieses Gift schleudern wir schließlich anderen entgegen. Der Fall Greta Thunberg ist exemplarisch: "Von einer 16-jährigen Göre muss ich mir ja wohl nicht die Welt erklären lassen. Und schon gar nicht, wie ich zu leben habe!" Solche Gedankengänge sind nicht selten. Denn für jemanden, der insgeheim zutiefst an sich selbst zweifelt, ist eine so grundsätzliche Kritik, wie sie Greta Thunberg vorträgt, nur schwer erträglich. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass sie für viele die Personifizierung von ressentimentalem Groll ist.
Bleibt die Frage nach dem Ausweg: Wie können Kränkungen überwunden und Ressentiments abgebaut werden?
Wie schon gesagt: Ressentiment gründet in scheiternder Selbstbehauptung. Aber nicht das Selbstbehauptungsbedürfnis ist das Problem. Das Ressentiment hat unter Umständen auch eine gesellschaftliche Funktion: Es gleicht einem Aufschrei, nicht aus Bosheit oder Ignoranz, sondern aus der Ohnmacht heraus. Dieser Schrei sollte von der Gesellschaft unbedingt gehört werden. Eine Gesellschaft, die dieses Ressentiment abbauen will, muss zum Fürsprecher von Selbstbehauptung werden. Das hat ganz konkret mit Respekt und Anerkennung zu tun. Ein höherer Mindestlohn oder die Grundrente etwa haben ja nicht bloß eine rein ökonomische Dimension, sondern auch eine psychologische.
Zugleich muss die Gesellschaft klar machen, dass Selbstbehauptung nicht auf Kosten von Anderen erfolgen kann. Der Populismus lebt ja davon, dass die unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen und Interessen gegeneinander ausgespielt werden. Wer gegen Ressentiment ist, muss genau diese Freund-Feind-Logik durchbrechen. Die Gesellschaft muss daher auch misstrauisch gegenüber einfachen Antworten sein. Gerade im Zeitalter der Sozialen Medien hat Medienkompetenz hierbei eine enorme Bedeutung. Und es geht auch darum, den Diskurs zu bestimmen: Dem grassierenden rechten Populismus kann die Gesellschaft zum Beispiel mit einer eigenen Diskussion über Themen wie Heimat oder die deutsche Erinnerungskultur begegnen. Wann immer sämtliche Probleme pauschal auf eine Ursache oder einige wenige Schuldige reduziert werden, gründet dies in einem zwar bequemen aber letztlich doch naiven Schwarz/Weiß-Denken. Hass differenziert nicht. Gegen Hass hilft nur unablässiges Differenzieren.
Vielen Dank für das Interview!
Zum Autor: Dr. Robert Müller lebt seit 2002 in Erfurt. Seine Doktorarbeit schrieb er 2015 zum Thema "Vom Verlust der Bedeutungsschwere. Eine Zeitdiagnose des Nihilismus". Robert Müller arbeitet als freier Autor und Privatdozent an der theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Quelle: MDR THÜRINGEN/ask
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