Das Herz-Katheter-Labor im Weimarer Krankenhaus
Nicht alle Thüringer Krankenhäuser sind mit einem Herzkatheter-Labor ausgestattet, wie dem im Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar. Bildrechte: MDR/Thomas Müller

Volkskrankheit Bundesweit zweithöchste Quote: Warum Thüringer so häufig am Herz erkranken

03. September 2023, 22:34 Uhr

In Thüringen sind einer Analyse der Barmer zufolge besonders viele Menschen herzkrank. Demnach leidet im Freistaat etwa jeder Dritte an einer Herzkrankheit. Ab einem Alter von 50 Jahren sind es sogar 62 Prozent. Damit nimmt Thüringen einen Spitzenplatz im Bundesvergleich ein. Mehr herzkranke Menschen gibt es nur noch in Sachsen-Anhalt (63 Prozent).

Drei Milliarden Mal schlägt das Herz durchschnittlich im Leben eines Menschen. Es pumpt und pumpt und versorgt alle Zellen des Körpers mit sauerstoffreichem Blut, sorgt dafür, dass Organe, Knochen und Muskeln funktionieren. Pro Minute pumpt es etwa fünf Liter Blut durch den Körper. Im Laufe eines Lebens sind das über 200 Millionen Liter.

Doch nicht immer funktioniert das lebenslang. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den großen Volkskrankheiten und sind mit rund 40 Prozent die häufigste Todesursache in Deutschland.

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In Thüringen sind mehr Menschen herzkrank als in fast allen anderen Bundesländern. Warum das so ist und wie man das ändern könnte, versucht Prof. Dr. Bernward Lauer von der Uniklinik Jena zu erklären.

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In Thüringen sind einer Analyse der Barmer-Krankenkasse zufolge besonders viele Menschen herzkrank. Wie aus dem Barmer Morbiditäts- und Sozialatlas hervorgeht, leidet etwa jeder Dritte an einer Herzkrankheit.

Die häufigsten Herz-Erkrankungen Koronare Herzkrankheit (Arteriosklerose)
Herzinfarkt Herzschwäche (Herzinsuffizienz)
Herzklappen-Erkrankung
Herzrhythmus-Störungen
Entzündliche Herzerkrankungen
Angeborene Herzfehler
Vorhofflimmern

Aber nicht nur um die eigentlichen Herzkrankheiten geht es in dem Bericht, auch um Kreislauferkrankungen, die am Ende zu Herzerkrankungen führen können, also zum Beispiel hoher Blutdruck oder auch Zuckererkrankungen.

Zwei Zahlen nennt das Sozialministerium als Beispiele: In Thüringen leiden 367 von 1.000 Menschen an Herzkrankheiten, das sind 41 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Und: 324 von 1.000 Thüringern haben Hypotonie/Bluthochdruck, das sind sogar 48 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt.

Die Gründe sind einer Sprecherin zufolge "die hohe Altersstruktur in Thüringen, das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung sowie ggf. die Sozialstruktur. Sowohl Herzerkrankungen als auch Bluthochdruck betreffen in der Regel eher höhere Alters- und niedrigere Einkommensklassen."

Arme Menschen sind häufiger herzkrank

Der Kardiologe Bernward Lauer arbeitet am Universitätsklinikum Jena, ist leitender Oberarzt für Koronare Interventionen. Vorher war er 17 Jahre lang Chefarzt der Klinik für Kardiologie in Bad Berka. Wie viele Menschen er in dieser Zeit behandelt hat, kann er nicht sagen, zu den Gründen allerdings hat er sich schon viele Gedanken gemacht.

"Natürlich hat das etwas mit der Altersstruktur zu tun. In den 90er-Jahren nach der Wiedervereinigung sind viele junge Leute weggezogen, so dass das Durchschnittsalter im Osten etwas oder höher ist als im Westen. Je älter eine Bevölkerung ist, desto häufiger gibt es auch chronische Erkrankungen."

Außerdem sagt er, dass in Regionen, die einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben, häufiger chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten. "Das hat damit zu tun, dass man sich nicht so gesund ernähren kann, das einem ehrlicherweise andere Dinge als die eigene Gesundheit wichtiger sind. Weil man einfach mal gucken muss, wie man überlebt."

Allerdings ist das für ihn kein reines Ost-West-Phänomen. "Auch in der alten Bundesrepublik gibt es Regionen mit durchschnittlich niedrigem sozioökonomischen Status. Da ist die Inzidenz, also die Häufigkeit von solchen chronischen Erkrankungen, ähnlich groß wie hier." Reiche Großstädte wie Köln oder Düsseldorf drücken aber laut Lauer den Durchschnitt.

Umweltbelastungen waren früher deutlich höher

Ein dritter Faktor liegt in der Geschichte. Die Umweltbelastungen waren aus Sicht des Kardiologen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt deutlich höher als im Westen. "Dazu kommen natürlich noch Vorerkrankungen und familiäre Veranlagungen - alle Faktoren zusammen sorgen am Ende für diese Zahlen."

Was für Lauer besonders erschreckend ist: "Wenn man herzkrank ist und dann zum Beispiel einen Herzinfarkt erleidet, ist das Risiko, daran zu versterben, in Thüringen höher als in anderen Bundesländern."

Wenn man herzkrank ist und dann zum Beispiel einen Herzinfarkt erleidet, ist das Risiko, daran zu versterben, in Thüringen höher als in anderen Bundesländern.

Prof. Dr. Bernward Lauer Kardiologe

Anders klingt das im Thüringer Krankenhausspiegel von 2020. Demnach verfügt der Freistaat über "eine sehr gute Qualität und eine flächendeckende Versorgungsstruktur für Herzpatienten". Auch die Sterblichkeitsrate sei in Thüringen niedriger als in ganz Deutschland. Das bezieht sich allerdings auf Patienten, die in einem passenden Krankenhaus landen.

Zum Aufklappen: Der Thüringer Krankenhausspiegel

Rund 30 Krankenhaus-Standorte in Thüringen behandeln Herzkrankheiten, 20 davon veröffentlichen ihre Qualitätsergebnisse und medizinischen Angebote im Krankenhausspiegel.

Auch der Deutsche Herzbericht 2021 registriert, dass die Todesrate in den östlichen Bundesländern deutlich höher ist. Demnach sterben in Thüringen fast doppelt so viele Menschen an Herzinsuffizienz wie in Hamburg.

Ein Mann sitzt im Herz-Labor vor einem Monitor.
Die Herzkatheter-Untersuchung ist laut Lauer das einzige und beste Therapeutikum für einen Herzinfarkt. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Einer der Gründe könnte die geringere Dichte von Kardiologen sein. "Auffällig ist, dass auch die geringste Versorgungsdichte mit zugelassenen Kardiologen in den östlichen Bundesländern Thüringen mit 36.556, in Mecklenburg-Vorpommern mit 30.392, in Sachsen-Anhalt mit 26.922 und in Brandenburg mit 26.643 EW pro Kardiologe liegt" hieß es in einer Mitteilung der Deutschen Herzstiftung vom September 2022.

Herzinfarkt-Netzwerk soll Versorgung verbessern

Die Landesärztekammer Thüringen arbeitet seit einiger Zeit an einem Projekt, das die flächendeckende Versorgung deutlich verbessern soll. Laut Bernward Lauer handelt es sich dabei um ein Herzinfarkt-Netzwerk, das in anderen Bundesländern schon gut funktioniert.

Dabei geht es im Grunde darum, so der Kardiologe, dass "Patienten, bei denen ein Herz-Notfall auftritt, dann auch ins richtige Krankenhaus kommen". Derzeit, so Lauer, kommen diese Patienten ins nächstgelegene Krankenhaus, egal, ob es dort ein Herzkatheter-Labor gibt oder nicht.

"Eine sofortige Katheter-Untersuchung ist aber das einzige und beste Therapeutikum für einen Herzinfarkt." Wenn dann festgestellt würde, dass es sich tatsächlich um einen Herzinfarkt handelt, müsse der Patient aufwändig verlegt werden.

Eine sofortige Katheter-Untersuchung ist aber das einzige und beste Therapeutikum für einen Herzinfarkt.

Bernward Lauer Kardiologe

"Wir wollen versuchen, in Thüringen ein Netzwerk zu etablieren, wo der Notarzt vor Ort direkt Kontakt hat mit einem Herzkatheter-Zentrum. Er kann dann das EKG übermitteln und gemeinsam mit einem erfahrenen Kardiologen in dem Katheter-Zentrum gemeinsam beurteilen und diskutieren, wo die beste Anlaufstelle für den Patienten ist" erklärt Lauer.

Arbeitsgruppe kommt gut voran

Krankenhäuser, die Landesärztekammer, die Kassen und das Gesundheitsministerium sind in das Projekt eingebunden, Lauer leitet die entsprechende Arbeitsgruppe gemeinsam mit Prof. Dr. Reinhard Fünfstück vom Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar.

"Zehn, zwölf Ärzte aus verschiedenen Krankenhäusern in Thüringen, die den Rettungsdienst kennen, die die Situation vor Ort kennen haben ein Papier entwickelt, wo wir Ursachen aufzeigen, warum das so schwierig ist mit der Herzinfarktversorgung in Thüringen. Dazu kamen die leitenden Notärzte im Rettungswesen, die da für die Rettungsdienste zuständig sind. Schließlich sind wir dann mit der Landesregierung ins Gespräch gekommen, mit den Krankenkassen ins Gespräch gekommen und auch mir der Krankenhausgesellschaft", erklärt Lauer.

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Was sind die Symptome beim Herzinfarkt? Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Was ist im Fall der Fälle zu tun? Prof. Dr. Bernward Lauer von der Uniklinik Jena erklärt das.

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Gerade bei einem Herzinfarkt zählt zwar jede Minute, doch Lauer meint, es lohnt sich, für größere Expertise etwas längere Transportwege in Kauf zu nehmen. "Normalerweise heißt es beim Herzinfarkt, Zeit ist Herzmuskel. Aber man muss halt auch in ein Krankenhaus kommen, wo man richtig behandelt werden kann. Sonst nutzen zehn Minuten Zeitvorsprung bis zur Krankenhaustür nichts, sondern das Langzeit-Ergebnis der Behandlung ist schlechter."

Laut Lauer gibt es in Thüringen inzwischen 17 Standorte mit Herzkatheter-Laboren. "Aber nicht alle davon sind 24 Stunden, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr besetzt. Das ist eigentlich eine Grundvoraussetzung."

Zum Aufklappen: Statistik der Herzkrankheiten in Thüringen

In Thüringen wurden 2021 insgesamt 75.924 Patientinnen und Patienten wegen einer Krankheit des Kreislaufsystems vollstationär in einem Krankenhaus behandelt. Das waren 15,5 Prozent aller vollstationären Behandlungsfälle. Von allen gestellten Diagnosen in den Thüringer Krankenhäusern war 2021 die Herzinsuffizienz (ICD I50) mit 14.850 Aufnahmen in eine stationäre Behandlung die am häufigsten gestellte Diagnose. Betroffen waren hiervon 7.305 Frauen und 7.545 Männer. Die Hälfte dieser Patientinnen und Patienten war im Alter von 70 bis unter 85 Jahren. Wegen einer ischämischen Herzkrankheit wurden 2021 in den 44 Thüringer Krankenhäusern 14.828 Patientinnen und Patienten vollstationär behandelt. Darunter erlitten 37,6 Prozent (5.579 Fälle) einen Herzinfarkt. Von einem Herzinfarkt am häufigsten betroffen waren mit 65,7 Prozent (3.666 Fälle) Männer. Das Durchschnittsalter für einen Herzinfarkt lag bei den Thüringer Patientinnen und Patienten im Jahr 2021 bei 70,6 Jahren.

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik

Grundsätzlich kann natürlich jede und jeder selber etwas tun, um Herzkrankheiten zu vermeiden und rechtzeitig zu erkennen. Lauer empfiehlt beispielsweise, bereits in jungen Jahren einmal den Cholesterin-Wert bestimmen zu lassen, da der bei jedem Menschen etwas anders ist und man dann später auf diesen Wert zurückgreifen kann.

Auch den Blutdruck sollte man regelmäßig messen. "Aber das ist sicherlich erst sinnvoll nach dem fünfzigsten Lebensjahr. Auch diese Geräte, die 24 Stunden den Blutdruck messen und das über Jahre, weil man halt diese Uhr am Arm hat, sind übertrieben."

Prophylaxe ist unverzichtbar

Die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen sollte man aber aus seiner Sicht auf jeden Fall wahrnehmen. Und auch im Alltag kann man viel für die Herzgesundheit tun, indem man die Risikofaktoren nicht nur im Kopf behält, sondern auch vermeidet. Zu wenig Bewegung, Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck, Stress, zu hohe Blutfette, erhöhter Blutzucker, einseitige, fettreiche Ernährung - all das ist schlecht fürs Herz.

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Lauer stellt immer wieder fest, dass das zwar den meisten Menschen bewusst ist, dass aber gezielte Info-Kampagnen wichtig sind, um immer wieder daran zu erinnern. "Wir wissen, wenn man damit irgendwann wieder aufhört, dann ist innerhalb von einem halben Jahr das Bewusstsein und das Wissen in der Bevölkerung im Schnitt wieder auf dem Stand, wie wenn man es nie gemacht hätte. Da muss man ständig am Ball bleiben."

Für seine Patienten wünscht Lauer sich, dass die administrativen Hürden etwas aufgebrochen würden. Denn momentan dürfen beispielsweise Krankenhäuser keine ambulante Behandlung anbieten. Eine zweite Meinung von einem Kardiologen einzuholen, ist für Hausärzte deshalb schwierig.

Das Gebäude der Jenaer Uniklinik
Als Uniklinik darf das Jenaer Krankenhaus auch ambulante Behandlungen anbieten. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Lauer wünscht sich da eine bessere Verzahnung: "Etwa so wie in der Poliklinik zu DDR-Zeiten. Das würde sicherlich für die Versorgung der Bevölkerung einen großen Schritt bedeuten. Es würde nicht alle Probleme lösen, aber einiges etwas leichter machen."

Ob die bevorstehende Krankenhausreform derartige Veränderungen mit sich bringt, weiß der Kardiologe noch nicht. Aber ein bisschen Hoffnung hat er schon. Vor allem für die herzkranken Menschen in Thüringen.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 22. August 2023 | 14:00 Uhr

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