Podiumsdiskussion in Jena Warum Demokratie ohne Debatten nicht funktioniert
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15. November 2024, 19:47 Uhr
Der Umgangston in gesellschaftlichen Debatten ist rauer geworden, doch eine Demokratie lebt von Kontroversen. Über die wichtige Rolle von Debatten haben sich der Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber, der Psychologe und Autor Ahmad Mansour und der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal, ausgetauscht. Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Gesprächsreihe "Facetten der Freiheit" an der Universität Jena statt. Eine Torten-Attacke aus dem Publikum gab es in diesem Jahr zum Glück nicht.
- Drei Podiumsgäste haben Donnerstagabend an der Universität Jena über den Umgang mit Kontroversen in der Demokratie diskutiert.
- Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber war erneut zu Gast, obwohl er im Jahr 2023 in Jena bei einer ähnlichen Diskussion attackiert worden war.
- Den Abend hat Deniz Yücel moderiert.
"Ich bin jemand, der Streitkultur sucht. Ich will debattieren und ich will auch andere Meinungen hören und ich will in Austausch gehen. Ich glaube, das ist das Fundament unserer Demokratie", sagt Ahmad Mansour. Der Psychologe und Buchautor, der mit seiner eigenen Stiftung in vielen Bildungsprojekten arbeitet, war einer der Gäste des Podiums in Jena. Als gebürtiger Palästinenser, mit deutscher und israelischer Staatsangehörigkeit, weiß auch er, wie schwer es ist, Debatten zu führen und Kontroversen auszuhalten. Er steht bei öffentlichen Auftritten unter Polizeischutz.
Dass der Ton im Umgang miteinander nicht besser, sondern vermutlich noch rauer geworden ist, war allen Diskutanten bewusst. Jeder müsse bei sich anfangen, hieß es. Man müsse den Austausch suchen, aber "Menschen einzuschüchtern, physisch anzugreifen", sei eben auch ein Tabu, so Mansour.
Tagtäglich würde er überlegen, ob sich das lohne und jeden Tagen würde er aufs Neue entscheiden, Haltung zu zeigen. "Das ist meine Heimat, eine Wahlheimat. Ich kam vor 20 Jahren. Ich habe keine Kraft woanders neu zu starten – und ich möchte für diese Gesellschaft meinen Beitrag leisten, damit wir miteinander in Kontakt gehen und unterschiedliche Perspektiven ermöglichen", sagt Mansour. Das sei sein Verständnis von Demokratie und dafür kämpfe er.
Ich bin jemand, der Streitkultur sucht. Ich will debattieren und ich will auch andere Meinungen hören und ich will in Austausch gehen.
Die Veranstaltung
Zweite Podiumsdiskussion der Vortragsreihe "Facetten der Freiheit" der Universität Jena: "Keine Angst vor Kontroversen. Warum Demokratie ohne Debatten nicht funktioniert"
14. November 2024 | 18 Uhr | Hörsaal 1 | Universität Jena
mit:
* Ahmad Mansour, Psychologe und Autor
* Constantin Schreiber, Tagesschau-Sprecher
* Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber wieder in Jena
An dem Abend war auch Constantin Schreiber zu Gast, ARD-Tagesschau-Sprecher, Autor und Reporter. Er spricht fließend Arabisch, hat für unterschiedliche in- und ausländische Medien gearbeitet und etliche Bücher publiziert, darunter "Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird" oder "Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen".
Dass Schreiber für seine Arbeit und seine Positionen viel Kritik und Hass einstecken musste, wurde im September des vergangenen Jahres klar: Bei einer Lesung aus seinem Buch "Glück im Unglück" auf Einladung der Universität Jena attackierte ihn ein Mann mit einer übel riechenden Torte.
Das habe er weggesteckt. Schlimmer seien die Bemerkungen danach gewesen – auch aus manchem Kollegenkreis: "Da bist du selbst dran schuld." Es habe ihm zu denken gegeben, formulierte Schreiber. Viele hätten seine Bücher gar nicht gelesen, aber dafür behauptet, sie wüßten ja, "was drin steht".
Verschärfte gesellschaftliche Debatten und Antisemitismus
Auf dem Podium in Jena war auch Walter Rosenthal. Einst Präsident der Uni Jena, ist er heute Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Er weiß um die aktuellen polarisierenden Debatten an den Hochschulen, die sich seit dem 7.Oktober 2023 – dem Angriff der Hamas auf Israel – nochmals verschärft haben. Auch mit Mitläufertum und Agitation müsse man sich mehr auseinandersetzen, formuliert Rosenthal.
Ziel müsse sein, dass man offen und furchtlos miteinander reden könne, bekräftigten die Diskutanten, egal ob es um polarisierende Themen wie Klimawandel, Rechtsradikalismus, Islamismus oder Antisemitismus gehe.
Doch Fakt sei auch, formuliert Rosenthal, dass 20 Prozent der Menschen in Deutschland eine antisemitische Einstellungen haben. Und Mansour ergänzt, dass es heute viele jüdische Studierende gebe, die Angst vor Hass, Hetze und vor körperlicher Gewalt hätten – auch an den Hochschulen.
Diese Orte seien wie ein Brennglas, so Rosenthal. Auch er nehme wahr, dass es Menschen gebe, die sagten, man würde sich eher zurückziehen, als frei die Meinung zu äußern, weil die Furcht vor Hasskommentaren real sei.
Deniz Yücel moderiert den Abend
Kritik, Kontroverse, Torten-Attacken – all das gab es an diesem Abend nicht für die Gäste des Podiums, das Deniz Yücel (PEN Berlin und Korrespondent der WELT) moderierte. Nicht alle hätten jedoch Zugang zu den etablierten Diskursräumen, so Yücel. Sei es deshalb nicht auch legitim, wenn sich marginalisierte Gruppen anders Gehör verschafften, fragte er in die Runde.
Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit, betonte Rosenthal, seien nicht nur Dekoration. Hochschulen seien Orte des freien Meinungsaustausches und eben auch öffentliche Räume. Insofern seien sie auch so etwas wie eine Bühne und relativ leicht begehbar im Unterschied zu anderen öffentlichen Räumen. Beim Protest gebe Formen, die zur Meinungsäußerung auch in Ordnung seien – aber es gebe auch Grenzen. Die sieht Rosenthal da, wo Individuen behelligt würden.
Der Tortenwurf auf Schreiber hatte Konsequenzen: Es wurde von Seiten der Universität Strafanzeige erstellt. Bis heute, so hieß es auf dem Podium, allerdings ohne Konsequenzen. Schreiber hatte damals gesagt, er werde sich nicht wieder öffentlich zum Islam äußern. "Hast du das durchgehalten?", fragt an diesem Abend Moderator Yücel nach. "Ja", lautete die Antwort des Gastes.
Viele denken, dass Demokratie einfach nur Konsens und Harmonieherstellung bedeutet. Ich verstehe Demokratie als Austausch von unterschiedlichen Argumenten.
Demokratie bedeutet nicht Harmonieherstellung
Was also passiert mit Debattenräumen, wenn diese verengen? Wenn Meinungsfreiheit geschützt und Kontroversen nur mit viel Kraft ausgetragen werden? "Wir müssen auch da sein, wo es unbequem ist", sagt Mansour. Die Frage sei: Was kann und soll eine Demokratie ermöglichen, damit unterschiedliche Meinungen angehört werden und einen Platz haben? "Das haben wir verlernt in den letzten Jahren. Viele denken, dass Demokratie einfach nur Konsens und Harmonieherstellung bedeutet. Ich verstehe Demokratie als Austausch von unterschiedlichen Argumenten", sagt Mansour.
Quelle: MDR KULTUR (Blanka Weber), Universität Jena
Redaktionelle Bearbeitung: lig, lk, op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. November 2024 | 13:10 Uhr