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Mehr als Werbung Politische Einflussnahme durch Anzeigenblatt

12. Juni 2024, 11:00 Uhr

Ein Anzeigenblatt mit offenbar klarer politischer Ausrichtung: Der "Kurier" aus Altenburg verbreitet teils rechte und verschwörungstheoretische Inhalte. Vor allem in Kommentaren, Anzeigen und Leserbriefen. Politiker und Experten finden es bedenklich, wenn diese Berichterstattung finanziell unterstützt wird - durch Anzeigenkunden, die EU und den Landkreis Altenburger Land.

Eine Junge Frau lächelt in die Kamera
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Es sei eine weitere "Eskalationsstufe" gewesen, als er im Anzeigenblatt seiner Heimatstadt, im Altenburger "Kurier", Ende Januar 2024 einen versteckten Gewaltaufruf gegen sich selbst und andere Regionalpolitiker gelesen habe, sagt Ralf Plötner. Der Linken-Politiker ist Kreisvorsitzender seiner Partei und sitzt seit 2019 im Thüringer Landtag. Über ihn und seinen Mitarbeiter berichtete die Zeitung schon häufiger mehr als nur kritisch.

Ralf Plötner
Ralf Plötner (Die Linke) spricht von einer "weiteren Eskalationsstufe der Berichterstattung". Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

"Ich halte diese Berichterstattung für sehr gefährlich, denn im Prinzip wird ja die Bevölkerung gegen hauptamtliche und ehrenamtliche Politiker angestachelt." Das habe nichts mehr mit einem demokratischen Diskurs zu tun, sagt Plötner.

Ein Redakteur des "Kurier" hatte Ende Januar dieses Jahres die Abschlussveranstaltung der Bauernproteste in Berlin besucht und berichtete davon auf der Titelseite des Blattes unter der Überschrift: "Wenn das Volk munter wird, geht die Regierung stehend k.o." Im Laufe des Textes greift er lokale Politiker an, unter anderem Altenburgs Oberbürgermeister André Neumann (CDU): "Wenn sich hier die Neumanns, Plötners (DIE LINKE), Zippels (CDU) und Läbes (SPD) nicht zum Volkswillen bekennen, wenn sie sich weiterhin in ihren volksfernen Vorteilen suhlen, werden sie Antworten bekommen, die ihnen nicht gefallen werden." Der weitere Kontext - der hier nicht reproduziert werden soll - lasse die Interpretation zu, dass es sich bei diesen Antworten um Gewalt handeln könnte, findet Plötner.

So sieht es auch der angesprochene CDU-Landtagsabgeordnete Christoph Zippel. "Ich habe diesen Satz definitiv als Gewaltaufruf gelesen." Der "Kurier" äußerte sich dazu auf Anfrage von MDR Investigativ nicht.

Verschwörungstheorien und rechte Inhalte

Schon seit längerem ist bekannt, dass der "Kurier" verschwörungstheoretische und rechte Inhalte verbreitet. Diese erscheinen meist als Anzeige, Kommentar oder als Leserpost – doch zum Teil auch als Berichte von Redakteuren der Zeitung selbst. Vor allem während der Corona-Pandemie bekamen dort Impfgegner und Corona-Leugner eine Plattform. Das ist offenbar immer noch so: In einem Leserbrief in der Ausgabe vom 20. Januar heißt es: "Tausende Menschen im Land (global Millionen) wurden durch ein pharmazeutisches Experiment [freiwillig] ermordet oder gesundheitlich verstümmelt." Das Anzeigenblatt äußerte sich gegenüber MDR Investigativ nicht zur Frage, wie man entscheide, welche Leserbriefe gedruckt würden und wo die Grenzen verliefen.

Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Dr. Benjamin Bigl weist auf die weit gefasste Pressefreiheit hin, die auch Anzeigenblätter genießen. "Aber die endet eben auch an bestimmten Punkten. Das heißt, wenn ich zu Gewalt aufrufe, wenn ich entsprechende Handlungen oder entsprechende Statements zulasse, dann kann auch Anzeige erstattet werden", sagt Bigl.

Doch weder Zippel noch Plötner haben aufgrund des oben genannten Beispiels rechtliche Schritte eingeleitet. Linken-Politiker Plötner begründet das so: "Wir haben das schon des Öfteren versucht - doch leider ohne Aussicht auf Erfolg. Wenn das mehrfach der Fall ist, verliert man irgendwann die Motivation." Sowohl Meinungs- als auch Pressefreiheit würden den Redakteuren ein relativ freies Feld bei der Berichterstattung bieten, weiß Kommunikationswissenschaftler Bigl. Dann bleibe nur noch der Weg zum Presserat: "In jedem Fall kann man sich auch als Leser an den Presserat wenden. Der kann dann immerhin eine Rüge aussprechen", sagt Bigl.

Stabile Auflage trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten für gedruckte Medien

Mit einer Auflage von rund 54.000 erreicht das Anzeigenblatt "Kurier" im Landkreis Altenburger Land nach eigenen Angaben rund 151.000 Leser. Beachtlich ist, dass die kostenlose Wochenzeitung ganz im Gegensatz zu vielen anderen ihre Auflage über die Corona-Pandemie hinweg stabil halten konnte. Laut Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen (BVDA) halbierte sich die Auflage aller Anzeigenblätter beinahe von 80 Millionen im Jahr 2020 auf rund 48 Millionen im Jahr 2024.

Landkreis Altenburger Land zahlt dem "Kurier" rund 4.000 Euro

Kunden des Anzeigenblattes sind nicht nur Unternehmen, Privatpersonen oder Parteien, sondern auch der Landkreis Altenburger Land: Für die Versendung des Entsorgungskalenders im Jahr 2024 zahlte er dem "Kurier" 4.127,34 Euro. Laut Antwort von Landrat Uwe Melzer (CDU) auf eine Anfrage der Kreistagsfraktion "Die Linke" hätte man sich einerseits aufgrund von "Wirtschaftlichkeit und Auskömmlichkeit" so entschieden. Würde man den Entsorgungskalender mit der Deutschen Post versenden, wäre dies mindestens dreimal so teuer. Andererseits bestünden hinsichtlich "Zuverlässigkeit und Termintreue" keine Bedenken. Auf die Frage der Fraktion "Die Linke", ob dem Landrat bekannt sei, dass der Kurier-Verlag "eine starke Nähe zu Rechten, Rechtsextremen, Verschwörungsideologien und der Querdenker-Szene" habe, antwortet Melzer: Die "sehr kritischen Äußerungen" über die politische Lage in Deutschland würden verfolgt. In Sachen Öffentlichkeitsarbeit gelte jedoch der Gleichbehandlungsgrundsatz, der es verbiete bei presserelevanten Informationen zwischen den Medien zu differenzieren.

EU-Fördermittel von knapp 20.000 Euro im Jahr 2021

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Der "Kurier" wirbt mit der EFRE-Förderung auf seiner Homepage. Bildrechte: Kurier Verlag KG

Der "Kurier" wirbt auf seiner Webseite auch mit einer finanziellen Unterstützung durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Das Thüringer Wirtschaftsministerium bestätigt diese Förderung im Jahr 2021 von knapp 20.000 Euro. Die Entscheidung, wer gefördert werde, würde nach "objektiven wirtschaftlich relevanten Förderkriterien" getroffen. Liegen diese objektiven Fördervoraussetzungen vor, bestehe aus Gründen der Gleichbehandlung aller Antragssteller keine Möglichkeit, eine Förderung zu versagen. "Eine Ausnahme davon wäre selbstverständlich das Vorliegen besonders schwerwiegender rechtlicher Verstöße, die eine sachliche Differenzierung der Antragsteller rechtfertigen." Das Thüringer Wirtschaftsministerium schreibt weiter: "Im Übrigen distanziert sich das Thüringer Wirtschaftsministerium selbstverständlich und ausdrücklich von verfassungsfeindlichen Gesinnungen und Aktivitäten jeder Art."

SPD, Grüne und Linke sind keine Anzeigenkunden mehr

Im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen fiel auf, dass Wahlwerbung vorwiegend vom Bürgerbündnis "Starke Heimat", von der AfD, dem Bürgerbündnis "Pro Altenburg", aber auch von Kandidaten der CDU kam. Auch der Kreisverband der FDP habe zwei kleinere Anzeigen im "Kurier" veröffentlicht, schreibt deren Vorsitzender Marco Thiele. Denn: "Das Blatt hat im Landkreis eine enorme Verbreitung und wird von vielen Menschen gelesen." Wahlwerbung von SPD, Grünen und Linken tauchte dagegen nicht auf. Das hat einen Grund: Die Ortsverbände haben sich bereits 2020 darauf verständigt, keine Anzeigen mehr im "Kurier" zu schalten. "Wir wollen keine Zeitung auch noch finanziell unterstützen, in der permanent zum Teil extrem rechte und demokratiefeindliche Positionen vertreten werden", sagt Ralf Plötner (Die Linke).

Christoph Zippel, MdL Gesundheitspolitischer Sprecher CDU Thüringen:  "Die Freigabe von Cannabis ist eine ideologisch motivierte Entscheidung der Ampelregierung"
Christoph Zippel (CDU) kann sich trotz Zweifel vorstellen, wieder im "Kurier" zu werben. Bildrechte: Christoph Zippel

Auch der Kreisverband der CDU habe mit einer anderen Zeitung eine entsprechende Kooperation im Wahlkampf verhandelt, berichtet Christoph Zippel. "Das Schalten von Wahlwerbung im "Kurier" war die persönliche Entscheidung der einzelnen Kandidaten und wurde auch von diesen bezahlt. Es wurden keine Parteigelder dafür benutzt." Obwohl Zippel vom "Kurier" im Januar persönlich angegriffen wurde, erwägt er, im Vorfeld der Landtagswahl im "Kurier" zu werben. "Es ist definitiv ein Spagat, den ich machen muss, wenn ich dort Werbung schalte: Einerseits erreiche ich damit viele potentielle Wähler, andererseits empfinde ich die Inhalte, egal ob geschaltete Werbung, Artikel oder Leserbriefe häufig als hetzerisch, rechtlich problematisch und oft grundsätzlich unangebracht."

Versteckte Werbung für Bürgerbündnis "Starke Heimat"?

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Nicht als Anzeige gekennzeichnet: Der "Kandidatencheck" vom 18.5.2024. Bildrechte: Kurier Verlag KG

Vor den Kommunalwahlen am 26. Mai 2024 war eine starke Präsenz des Bürgerbündnisses "Starke Heimat" zu erkennen. Wöchentlich veröffentlichte der "Kurier" längere Beiträge einiger Kandidaten. Darin wurden unter anderem der Klimawandel sowie die Corona-Pandemie angezweifelt. In einem Text Ende Mai wurde von einer "drohenden WHO-Diktator" gesprochen. Am 18. Mai 2024, eine Woche vor der Kommunalwahl, veröffentlichte die Zeitung einen "Kandidatencheck", in der der beste Landratskandidat mit der meisten Punktzahl gekürt wurde: Der Kandidat des Bürgerbündnisses "Starke Heimat".

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Der Kurier-Verlag veröffentlichte eine Woche nach dem "Kandidatencheck" eine Berichtigung. Bildrechte: Kurier Verlag KG

Auf Anfrage von MDR Investigativ, warum das Medium nicht objektiv im Vorfeld von Wahlen berichte und weshalb hier eine Wahlempfehlung abgegeben werde, antwortete der "Kurier" nicht. Allerdings erschien in der darauffolgenden Ausgabe eine "Berichtigung": Der "Kandidatencheck" sei nicht eindeutig als Anzeige gekennzeichnet gewesen. "Bedauerlicherweise" sei der Fehler bei der Qualitätsprüfung übersehen worden. Der Verlag bitte um Entschuldigung.

Verantwortung der Anzeigenkunden

"Eine Verantwortung tragen auch die Anzeigenkunden", findet Dr. Jörg Eggers, Hauptgeschäftsführer des BVDA. Er vertritt knapp die Hälfte aller in Deutschland erscheinenden kostenlosen Wochenzeitungen. Der "Kurier" aus Altenburg zähle nicht dazu. Eggers sieht es kritisch, wenn Anzeigenkunden mit finanziellen Mitteln eine Berichterstattung unterstützten, mit der rechte Hetze oder Verschwörungstheorien verbreitet würden. "Damit normalisieren sich diese Inhalte." Eggers betont jedoch, dass solche Anzeigenblätter zur absoluten Ausnahme gehörten. Ihm seien maximal zehn solcher auffälligen Medien in Deutschland bekannt.

Eine von zahlreichen Anzeigenkundinnen und Kunden ist die Sparkasse Altenburger Land, die regelmäßig im "Kurier" wirbt. Auf Anfrage von MDR Investigativ betont die Sparkasse, dass sie alle im Landkreis zur Verfügung stehenden Zeitungsmedien für Werbung nutze – auch den "Kurier". Denn dieser erreiche alle Bürger des Landkreises. Außerdem würde eine „Vielzahl von Privatpersonen und Unternehmen“ Anzeigen schalten. Die Sparkasse antwortet weiter: "Die Sparkasse nutzt die Werbe- und Informationsflächen des Kuriers für rein unternehmerische Belange, ohne politische Wertung und ohne sich die einzelnen Artikelinhalte des Kuriers zu eigen zu machen."

So einfach könne man dies jedoch nicht voneinander trennen, sagt Kommunikationswissenschaftler Bigl. "In der Medienwirkungsforschung wissen wir das recht genau, dass es zwischen den einzelnen Inhalten Wechselwirkungen gibt. Aus unternehmerischer Perspektive sollte man sich ganz genau überlegen, ob es denn überhaupt im Sinne des Produktes zielführend ist, dass es mit entsprechend extremeren Anzeigen oder extremeren Positionen in Verbindung gebracht wird." Die VR-Bank, die ebenfalls im "Kurier" wirbt, antwortete im Übrigen auf MDR-Anfrage nicht.

Konkurrenz durch Magazin "Günther" ab Mitte August

Susann Seifert Foto Virginie Glawion
Susann Seifert will dem "Kurier" ab Mitte August Konkurrenz machen. Bildrechte: Virginie Glawion

Einen Gegenentwurf zum "Kurier" soll ab Mitte August ein neues Medium im Altenburger Land bieten. In dem zunächst quartalsweise erscheinenden Magazin "Günther" will Initiatorin und Sozialunternehmerin Susann Seifert "die guten Geschichten erzählen, die es im Altenburger Land gibt." Seifert will mithilfe von Bürgerjournalisten eine Vielfalt an Meinungen und Standpunkten abbilden. "Mir ist es wichtig, dass wir zu einem informierten Diskurs kommen", sagt Seifert. Finanziert wird das Projekt zunächst durch Fördermittel und könne dem "Kurier" in Sachen Auflage erstmal noch keine Konkurrenz machen.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Juni 2024 | 13:17 Uhr

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