Schlotheim Beim Großvater in der Lehre: Enkel rettet altes Handwerk vor dem Aussterben

26. Dezember 2023, 21:23 Uhr

In der Seiler-Werkstatt von Andreas Montag in Schlotheim im Unstrut-Hainich-Kreis gibt es Handwerkernachwuchs. Enkel Noah (19) hat im September eine Seiler-Ausbildung begonnen. Damit geht in der Seilerstadt Schlotheim eine jahrhundertealte Tradition weiter.

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Musik oder Handwerk? Diese Frage hat sich Noah Nöthling nach dem Abitur in diesem Sommer gestellt. Entschieden hat er sich für eine Ausbildung in der Werkstatt von Andreas Montag. Der 65-Jährige ist nicht nur sein Ausbilder, sondern auch sein Großvater. Noah ist aktuell einer von zwei Seiler-Azubis in Thüringen. In Triebes im Kreis Greiz erlernt ebenfalls ein junger Thüringer das Handwerk; deutschlandweit sind es noch 36.

Schlotheim als Seilerstadt: Bis zu 1.000 Beschäftigte in der DDR

Der Ruf Schlotheims als Seilerstadt war geprägt von der Vielzahl der ortsansässigen Seilermeister. Im 19. Jahrhundert hat es mehr als 50 gegeben. Daraus entstand in dem Ort im Unstrut-Hainich-Kreis ein Industriezweig mit bis zu 19 Industriebetrieben der Seilerei und Weberei an einem Standort. Zu DDR-Zeiten arbeiteten mehr als 1.000 Menschen in der Branche. Seile aus Schlotheim waren damals ein Export-Schlager.

In den 1990er-Jahren änderte sich das schlagartig. Es gab zu wenig Absatz und Nachwuchs. Viele alte Seilermeister sind inzwischen gestorben. Von denen habe er viel gelernt, sagt Montag. Der Handwerksbetrieb des 65-Jährigen ist als einziger übriggeblieben.

Enkel als Hoffnungsträger

In der Werkstatt von Andreas Montag stehen zehn Spulmaschinen. Aus Natur- oder Kunst-Fasern können sie Seile in allen Dicken und Längen produzieren. Dieses alte Handwerk will der 19-jährige Noah Nöthling lernen. Der Abiturient hat im September eine dreijährige Lehre als Seiler begonnen. Die Werkstatt kennt er seit seiner Kindheit.

Seitdem schlafe ich besser.

Andreas Montag über die Entscheidung seines Enkels, das Seilerhandwerk zu lernen

Mit zwölf, 13 Jahren hatte er seinen Großvater auf Märkte begleitet und weiß seitdem, wie dicke und dünne Seile entstehen. Er durfte auch seine ersten Stricke machen. Sein Großvater hatte sich gefreut, als ihm der Enkel von seinen Plänen erzählt. Seitdem schlafe er besser, sagt Andreas Montag.

Nach der Wende eigene Firma gegründet

Andreas Montag hat zu DDR-Zeiten in einem Seilerbetrieb gearbeitet und sich nach der Wende 1989/1990 selbstständig gemacht. Der studierte Textilingenieur kam nach einer Lehre als Stricker in Mühlhausen in einen Schlotheimer Seilerbetrieb. Dass er Noah ausbilden darf, bedurfte einer Sondergenehmigung der Handwerkskammer.

Montag hat sich neben der klassischen Seilerei auf das Konfektionieren von Anschlagketten aus Metall für Kräne spezialisiert, strickt aber weiterhin Sicherheitsnetze für Spielplätze und Zoos - und sogar Seile für Erotik-Shops.

Wo Seile überall gebraucht werden

Das Seiler-Handwerk an sich werde nie aussterben, ist Montag sicher - weil bestimmte Techniken nur per Hand umgesetzt werden könnten. Es würden auch weiterhin aus Seilen und Schnüren dicke Taue produziert.

Nur von Laufkundschaft könne sein Geschäft nicht existieren, er habe aber Stammkunden, sagt Montag. Pro Jahr werden viele Tonnen Seile hergestellt. Sie bestehen zum Beispiel aus Polyamid, Baumwolle und Polyester. Die Produktpalette ist vielfältig: dünne Schnüre für Maurer zum Markieren und Anreißen zum Beispiel. Seile werden auch für "technische Anwendungen" wie Lastenheben oder -sichern benötigt. Auch als Schutzausrüstung für Bergsteiger oder für Boote werden Seile gebraucht. Nicht zuletzt auf Spielplätzen sind Kletternetze der Schlotheimer zu finden - und in Zoos als Schutz für die Käfige.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Nachmittag | 25. Dezember 2023 | 17:15 Uhr

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