Lindewerra Der letzte von 30: Wie ein Stockmacher das alte Handwerk pflegt
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18. März 2023, 19:19 Uhr
Von 30 Stockmachern in Lindewerra ist noch einer übrig: Michael Geyer fertigt in fünfter Generation Wanderstöcke an, etwa auch für die TV-Figur Dr. House oder die frühere Kanzlerin Angela Merkel. Pro Jahr entstehen in seiner Werkstatt 20.000 bis 30.000 Stöcke. Die Corona-Zeit hat ihm viele Aufträge beschert. Doch die steigenden Energiekosten dämpfen die Freude.
30 Arbeitsschritte sind nötig, damit aus einem Stück Kastanienholz ein Wanderstock wird. Das Holz wird geschlagen, geschält, gedämpft, gebogen, gerichtet und verziert. Das sind nur einige der nötigen Schritte. In der Werkstatt von Michael Geyer in Lindewerra im Eichsfeld riecht es nach Holz und gerade ein bisschen angebrannt. Kein Wunder, er sitzt mit einem Brenner in der Hand auf einem alten Drehstuhl und flammt einige Stöcke ab, die nun eine dunkle Farbe bekommen sollen.
Stockmacher und Ranger im Naturpark
Seine Werkstatt ist nachmittags geöffnet. Geyer hat noch einen zweiten Job: Er ist Ranger im Naturpark Eichsfeld-Werratal. Hier hat er vormittags unter anderem mit den Menschen zu tun, für die er auch seine Stöcke herstellt: Wanderer, Naturliebhaber, Leute, die sich gerne draußen bewegen. Er sagt, es sei eine gute Kombination. Denn der typische Wanderstock-Kunde habe noch einen Bezug zur Natur, zu natürlichen Materialien. Es sind die Wanderer, die nicht mit Karbon- oder Aluminium-Stöcken auf ihre Touren gehen, sondern ein "natürliches Unikat aus Holz" als Hilfe schätzen. Ihr Alter ist dabei breit gefächert.
Das hat überhaupt nichts mit dem Alter zu tun. Ein Wanderstock ist ja kein Krückstock.
Der Stock werde "von vielen als Zeichen von Alter und Gebrechlichkeit gesehen", sagt Geyer. Doch "wer wandert, ist fit und gut zu Fuß." Auf Märkten, auf denen er viel verkauft, seien auch durchaus junge Leute unter den Kunden. Daran hatte wohl auch die Corona-Zeit ihren Anteil. Ein regelrechter Wander-Boom brach aus, als sonst fast alles verboten war.
Es ging uns ein bisschen wie den Fahrradhändlern. Die Leute sind einfach sehr viel gewandert in der Zeit und wir haben online gut verkauft.
Geyer verkauft seine Stöcke viel an Wiederverkäufer in Wanderregionen. Gerade war er in Reit im Winkl und hat eine Fuhre Wanderstöcke dort abgeliefert. Seine Stöcke sind auch im Thüringer Wald, im Bayerischen Wald und im Harz zu bekommen. Oder eben vor Ort, etwa wenn man eine Schauvorführung freitags bei ihm in Lindewerra besucht. Wer einen handgemachten (Wander-)Stock aus Deutschland möchte, hat nicht so eine große Auswahl, was die Hersteller angeht. Geyer ist nach eigenen Angaben noch einer von zwei Stockmachern - eine Firma gibt es noch im Nachbarort.
Einst 30 Stockmacher-Betriebe in Lindewerra
Bis 1989 war Stockmacher ein Ausbildungsberuf. In Lindewerra gab es eine eigenständige Innung mit Obermeistern und Meistern. Der Ort wurde zum Stockmacher-Dorf, weil es hier viele Eichen gab. Deren Rinde wurde zum Gerben von Leder gebraucht. Waren die Eichen abgeholzt, wuchsen junge Eichenschößlinge heraus. Die jungen Triebe wurden 1836 erstmals von einem Stockmacher aus dem Raum Göttingen benutzt, um daraus Stöcke zu fertigen. Viele Dorfbewohner schauten sich das ab und begannen, ebenfalls Stöcke herzustellen.
Zur Hoch-Zeit gab es in Lindewerra 30 Stockmacher-Betriebe. Fast jeder Einwohner hatte etwas mit diesem Handwerk zu tun. Inzwischen ist Stockmacher eine "handwerksähnliches Gewerbe" und aus der Handwerksrolle gestrichen. Bei Schauvorführungen am Freitag in seiner Werkstatt erklärt Michael Geyer, wie Stöcke hergestellt werden. Außerdem gibt es im Ort ein Stockmachermuseum. Auch hier finden Vorführungen statt. Seine Eltern betreiben neben der Werkstatt eine Gaststätte, in der ebenfalls viele Stöcke ausgestellt sind und Fotos vom Beruf zu sehen sind. Immer wieder ist Michael Geyer auch auf Märkten zu finden - auch beim MDR-Osterspaziergang in Bad Tabarz hatte er einen Stand - und zeigte sein Handwerk.
Stockmacher ist aussterbender Handwerksberuf
Der gelernte Tischler kennt das Stockmacherhandwerk von Kindesbeinen an. Sein Vater war Stockmacher, sein Großvater, dessen Vater und auch der Vater zuvor. Er ist nun die fünfte Generation, die dieses Handwerk ausübt. Fortsetzung ungewiss. Denn die nächste Generation steht bereit, habe aber andere berufliche Interessen, erzählt Geyer. Er liebt an seinem Job, dass er nicht eintönig ist. Viele Arbeitsgänge sind nötig, um aus dem, "was uns die Natur gegeben hat, etwas Schönes zu machen", sagt er.
Holz- und Energiepreise gestiegen, Lack ist doppelt so teuer
Allerdings sind seine Stöcke in den vergangenen Monaten teurer geworden. Die gestiegenen Holzpreise haben sich bemerkbar gemacht, der Lack ist doppelt so teuer, die Energiepreise sind deutlich gestiegen.
Es ist alles sehr energieaufwendig. Die Stöcke müssen gedämpft werden - der Dampf macht sie weich und geschmeidig.
Heute kostet ein Wanderstock zwischen 15 und 25 Euro. Es gibt auch günstigere für Kinder, Scherzartikel wie einen Vatertagsstock mit Glocke aus dem Thüringer Wald, einem kleinen Blumensträußchen und einer Halterung für kleine Schnäpse. Und es gibt auch Stöcke, die zum Beispiel durch einen Silbergriff schnell mal 300 bis 400 Euro kosten.
In Werkstatt entstehen pro Jahr mehr als 20.000 Stöcke
Aus den 30 Betrieben, die in den 1960er- und 70er-Jahren einst 500.000 Wanderstöcke produzierten, ist praktisch eine One-Man-Show geworden. Im Nebenerwerb stellt Michael Geyer zusammen mit seinem Vater und einem weiteren Kollegen pro Jahr noch 20.000 bis 30.000 Stöcke her. Das ist immer noch beachtlich. Wer dann aber einen Wanderstock hat, braucht in der Regel nicht noch einen.
Da ist kein Vergang dran. Bei guter Pflege hält so ein Stock ein Leben lang.
Verschiedene Stöcke Der Stockmacher stellt Stütz- und Spazierstöcke her. Herrenstöcke sind dabei meist länger und dicker als Damenstöcke. Bei einem "normalen" Wanderstock oder Stützstock entscheidet die Körpergröße über das passende Modell. Mit herunterhängenden Armen soll der Stock vom Erdboden zum Handgelenk reichen. Wanderstäbe sind in der Regel brusthoch, damit der Arm im rechten Winkel gebeugt ist, wenn er den Stab trägt. Bei den Wanderstöcken aus Holz wird einer benutzt, die andere Hand bleibt frei. Das ist ein Unterschied zu Wanderstöcken aus Aluminium oder Karbon.
Ab und an muss vielleicht die Spitze getauscht werden. Es kommen aber auch Stütz-Stöcke zum Aufarbeiten in die Werkstatt, Erbstücke. Geyer erinnert sich an eine "extravagante" Geschichte: Ein Künstler, der eine künstliche Hüfte brauchte und sich aus seinem entnommenen Oberschenkelknochen einen Griff für seinen Gehstock habe machen lassen. "Der Hund hat sich auch sehr für den Knochen interessiert", scherzt Geyer. Der Mann sagte, er habe sich ein Leben lang auf diesen Knochen gestützt und wolle es auch weiterhin tun - auch wenn der Knochen nun nicht mehr im Körper sei. Auch die Serienfigur Dr. House soll einen Stock von Geyer benutzen - allerdings hat er ihn nicht selbst in Lindewerra abgeholt.
In der Werkstatt liegt einer zum Aufarbeiten, der stark an die Harry-Potter-Filme erinnert. Auch so ein Erbstück. Manchmal haben sie Silberköpfe, Köpfe aus Elfenbein oder sind aus Ebenholz. Es sind wertvolle Erinnerungen. Jeder Ministerpräsident aus Thüringen habe einen Wanderstock aus Lindewerra, sagt Geyer. Und auch Angela Merkel. "Herren mit speziellen Ansprüchen" hätten ihn in Lindewerra für sie bestellt, erinnert sich Geyer.
Der Wanderstock von Angela Merkel ist nicht so groß. Wir haben etwas Schönes gefunden. Ob sie ihn benutzt, weiß ich nicht. Aber sie wandert ja viel.
Die ehemalige Bundeskanzlerin hat jetzt sicher wieder mehr Zeit fürs Wandern. Und auch in Thüringen lockt das Frühlingswetter jetzt wieder viele Wanderer ins Freie. Seit der Corona-Pandemie sind es noch ein paar mehr.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 18. März 2023 | 05:00 Uhr
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