Endometriose "Der Schmerz hat meinen Körper förmlich überrollt"
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08. Juli 2022, 11:54 Uhr
Endometriose ist eine unheilbare Krankheit, an der allein in Deutschland Millionen Menschen leiden. Sie verursacht extreme Schmerzen und ist einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen ungewollt kinderlos bleiben. Und doch ist sie nur unzureichend erforscht, viele Ärzte kennen sie nicht einmal.
"Es gab Tage, da saß ich weinend und blutend auf meinem Fußboden im Schlafzimmer, habe es nicht mal mehr geschafft, mir den BH auszuziehen, weil ich mich kaum bewegen konnte." Diese Schmerzen, so erzählt Franziska weiter, fühlen sich an, "als wenn dir jemand ein Messer in den Rücken rammt".
Die Krankheit, von der die 29-Jährige betroffen ist, heißt Endometriose. Sie ist die zweithäufigste Krankheit bei Frauen, etwa jede zehnte Frau leidet laut Expertenschätzungen daran - und sie ist nicht heilbar.
Zum Aufklicken: Was ist Endometriose?
Der Name Endometriose ist abgeleitet von der medizinischen Bezeichnung der Gebärmutterschleimhaut, dem Endometrium. Es kleidet die Innenseite der Gebärmutter aus. Kommt es zur Schwangerschaft, nistest sich dort das befruchtete Ei ein. Ohne Befruchtung wird das Endometrium größtenteils mit der Monatsblutung abgestoßen.
Bei der Endometriose kommt es zu Wucherungen gebärmutterschleimhautähnlichem Gewebes außerhalb des Uterus. Solche Endometriose-Herde können sich überall im Körper ansiedeln. Häufig treten sie jedoch an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell auf. Wird dieses Gewebe nicht vom Körper abgebaut, kann es sich zu Zysten oder Entzündungen entwickeln. Diese können unter anderem zu Blutungen in der Bauchhöhle, Organschäden oder Unfruchtbarkeit führen.
Wie bekommt man Endometriose?
Die Endometriose kann sich schon ab der ersten Regelblutung entwickeln. Ursachen können eine frühe erste Menstruation sein, ein kurzer Zyklus oder eine lange Blutungsdauer. Auch nach einem operativen Eingriff an der Gebärmutter oder einer späten Schwangerschaft kann es zu den Wucherungen in der Gebärmutter kommen. Manche vermuten, dass Endometriose auch vererbbar sein könnte.
Welche Symptome können auftreten?
Endometriose kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Manche Betroffene haben gar keine Schmerzen: Bei ihnen ist eine Behandlung normalerweise nicht nötig. Andere leiden unter extremen Regelschmerzen. Zudem kann die Monatsblutung stark und unregelmäßig sein.
Weitere Symptome, die mit den Schmerzen einhergehen können, sind Durchfall, Übelkeit, Erbrechen. Aber auch Unterleibsschmerzen in der Woche vor der Menstruation und Schmerzen beim Wasserlassen, Stuhlgang oder Geschlechtsverkehr können ein Hinweis auf Endometriose sein. Auch Bauch- und Rückenschmerzen oder ein Unwohlsein während des Geschlechtsverkehrs und beim Frauenarztbesuch können auf eine Endometriose hindeuten.
Schon von ihrer ersten Regelblutung an hatte Franziska schlimme Schmerzen. "Das tat so weh - ich bin zeitweise an die Grenze des Bewusstseins gekommen in den Schmerzphasen."
Aber ihr wurde damals gesagt: "Das haben alle Frauen, vielleicht bist du zu empfindlich, aber das ist völlig normal." Sie bekam die Pille verschrieben und tatsächlich ließen die Schmerzen dann etwas nach.
Wie sehr viele Frauen nahm Franziska das so hin. Fragte nicht nach, denn niemand redet gerne über Dinge wie die Menstruation. Jahrelang lebte sie mit den Schmerzen. Sie heiratete, wollte mit ihrem Mann eine Familie gründen, wurde aber nicht schwanger.
Diagnose kam "zufällig"
Nach vielen Untersuchungen, die den Grund für ihre Kinderlosigkeit ergründen sollten, stand schließlich eine Operation an. Die Eileiter sollten gespült werden.
Bei dieser Operation wurde dann zufällig ihre Endometriose entdeckt und auch gleich entfernt. "Ich bin aufgewacht, habe an mir runtergeschaut und gesehen, ich habe da einen Katheter, eine Drainage im Bauch und vier Löcher und wusste gar nicht warum."
Ein Arzt war nicht mehr da, die Schwester durfte sie nicht aufklären und so erfuhr Franziska erst zur Visite am nächsten Tag, was passiert war. Mit der Diagnose bekam sie gleich die Kontaktdaten einer Selbsthilfegruppe. "Das war für mich der absolute Horror, beim Rausgehen hatte ich schon vergessen, wie die Krankheit heißt. Ich habe das dann auch lange von mir weggeschoben. Ich hatte Angst, dass es etwas richtig Schlimmes ist."
Keine Standard-Therapie
Mit der Diagnose ging es Franziska nicht sofort besser. Sie war nur erleichtert, dass endlich klar war, was mit ihr los ist. Aber der Weg, der danach kommt, ist ja noch viel schwieriger als der Weg bis dahin, sagt sie.
Ich habe meine Ernährung komplett umstellen müssen. Kaffee beispielsweise kann meine Entzündungen verstärken.
"Es wird mit Medikamenten experimentiert. Was hilft dir denn? Hilft dir der Hormon-Blocker oder helfen dir vielleicht Hormone? Nimmst du eine Spirale oder kriegst du eine Wechseljahre-Spritze? Ist es Wärme, die hilft? Ist es Kälte? Ist es Akupunktur? Sind es verschiedene Dehnübungen? Ich habe meine Ernährung komplett umstellen müssen. Kaffee beispielsweise kann meine Entzündungen verstärken."
Nebenwirkungen ohne Alternative
Doch Hormonbehandlungen haben Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Erbrechen, Migräne, Blutungen, Schmerzen, depressive Verstimmungen. Auch die vielen Schmerzmittel können Spuren hinterlassen, von der drohenden Abhängigkeit ganz zu schweigen.
Eine echte Wahl haben die Betroffenen allerdings nicht. Denn es gibt nur diese drei Behandlungswege: Schmerzmittel, OP, Hormone. Heilbar ist Endometriose auch nicht, die Beschwerden enden erst auf natürlichem Weg in den Wechseljahren. Für viele bedeutet das einen Leidensweg von mehr als 20 Jahren.
Franziska hat viele Informationen von der Endometriose-Vereinigung bekommen, wirklich geholfen hat ihr dann die Reha in Bad Schmiedeberg. Allerdings erst, nachdem sie den Schock über das ganze Ausmaß der Erkrankung verdaut hatte.
Tausende Frauen betreut
Der Chefarzt der dortigen Gynäkologie, Dr. med. Claus Peter Cornelius, hat seit 1995 Tausende betroffene Frauen behandelt. "Die größte Erleichterung für die Patientinnen war die Diagnose, oft nach jahrelangem Leiden. Und auch der Kontakt zu anderen Betroffenen hilft. Birgt allerdings auch die Gefahr, dass ihnen klar wird, was noch alles auf sie zukommt."
Der Gynäkologe bezeichnet die Endometriose als "anhängliche" Krankheit, weil sie nach zwölf Monaten bei zwölf Prozent der Frauen wieder da ist, nach 36 Monaten sogar bei 36 Prozent. Er warnt gleichzeitig davor, sie zu ignorieren. "Auch wenn manche Frauen weniger ausgeprägte Symptome haben, können die Herde doch an allen Organen sitzen und Schäden anrichten."
Vom Darmverschluss - der allerdings eher selten ist - bis zur Zerstörung der Niere können die dann reichen. Es kann zu Durchfall kommen, zu Inkontinenz, zu chronischen Kopfschmerzen. Auch ungewollte Kinderlosigkeit kann Folge der Endometriose sein. Schmerzmittel zu nehmen, die Zähne zusammenbeißen und auf die Menopause zu warten, ist also keine Option.
Auch Politik ist gefordert
Besser über die Krankheit aufklären, Frauen nicht alleine lassen damit - das fordert unter anderem eine Petition, die eine nationale Endometriose-Strategie fordert. Unter #EndEndoSilence werden Unterschriften dafür gesammelt. Ihre Forderung: Mehr Geld für die Forschung, um Endometriose besser erkennen und behandeln zu können. Außerdem geht es um mehr Akzeptanz der Endometriose als ernstzunehmende Erkrankung.
Natürlich gibt es in Deutschland Forschung zu Endometriose, inzwischen entstanden beispielsweise die ersten zertifizierten Endometriosezentren. Aber andere europäische Länder sind da deutlich weiter.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte im Januar einen nationalen Kampf gegen Endometriose an. Es soll eine umfassende Versorgung im ganzen Land errichtet werden, ausreichend Geld in die Wissenschaft fließen, um Ursachen und Behandlungen zu erforschen. "Das ist kein Problem der Frauen, das ist ein Problem der Gesellschaft", sagte Macron.
Das ist kein Problem der Frauen, das ist ein Problem der Gesellschaft.
In Spanien hat die Regierung kürzlich zusätzliche bezahlte Krankentage für Frauen mit starken Menstruationsbeschwerden beschlossen. Sollte die Regelung auch vom Parlament abgesegnet werden, wäre es ein Novum in Europa. Solche Extra-Krankentage gibt es bislang nur in einigen wenigen Ländern außerhalb Europas, darunter Südkorea und Indonesien.
Auch Psyche stark belastet
Die ständigen Schmerzen, der lange Weg zur Diagnose, ungewollte Kinderlosigleit - auch psychisch ist die Endometriose sehr belastend. Franziska hilft es, über die Krankheit zu reden. Sie versucht, anderen Betroffenen Mut zu machen.
"Und was mir einfach ein extrem gutes Ventil ist, ist meine Freizeit, mein Sport, mein Katastrophenschutz und all das, was ich habe. Und dann setze ich mich auf mein Fahrrad und wenn ich 25 Kilometer fahre, sind es halt nur 25 Kilometer und wenn ich 120 Kilometer schaffe, steige ich ab und sage: Guckt es euch an, die Endometriose kriegt mich nicht klein!"
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 30. März 2022 | 17:15 Uhr
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