Hilfe für junge Trauernde Irgendwann fragt niemand mehr: Wie geht es dir mit dem Tod deines Vaters?
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24. November 2024, 05:00 Uhr
Manche sind traurig, weil sie am Totensonntag nicht in die Disco oder zum Autowaschen können. Andere fühlen sich unter Druck: Das Grab muss gepflegt werden, und als Angehörige sollen sie bitte auch traurig sein. Das Trauercafé für junge Menschen in Erfurt bietet Raum für individuelle Trauerbewältigung und zeigt, dass es auch ohne Totensonntag geht.
Lena Kreßmanns Vater starb ganz plötzlich. Vergangenes Jahr, an Weihnachten. Wenn die Koordinatorin des Trauercafés für junge Leute davon erzählt, ist sie einerseits selbst Betroffene. Und andererseits Hilfe für andere.
"Ich bin total dankbar, dass wir hier nun die Möglichkeit haben zu helfen, weil ich selber auch geschaut habe nach Trauerbegleitung. Es gab nichts in Erfurt für junge Menschen", sagt sie.
Trauercafé für Leute unter 30
In der Nähe des Erfuter Angers betreibt der Malteser Hilfsdienst "Mary's Refuge". Zentral gelegen, aber etwas versteckt. Wer am ersten Donnerstag im Monat das Trauercafé besuchen will, muss durch einen Hinterhof in die dritte Etage eines Ärztehauses gehen. Hier steht die Tür jedem offen.
Irgendwann fragt nämlich sonst keiner mehr, wie geht es dir mit dem Tod deines Papas?
Auf Facebook machte Lena Kreßmann mit einer Anzeige darauf aufmerksam. "Es ist schwer, den Kontakt herzustellen", sagt sie. Den Kontakt zu jungen Leuten, die einen wichtigen Menschen verloren haben. Wie sie selbst.
Nachdem das ganze Organisatorische des Todesfalls abgearbeitet war, suchte die 27-Jährige nach Trauerbegleitung für sich. Heute bringt sie sich auch selbst bei den Treffen in Erfurt ein. "Austausch ist wichtig. Zu merken, dass es andere gibt, denen Ähnliches passiert ist - eine Trauernde hier hat auch ihren Vater verloren. Wir haben einen guten Kontakt. Irgendwann fragt nämlich sonst keiner mehr: Wie geht es dir mit dem Tod deines Papas?"
Monatliches Angebot für alle aus Thüringen
Ob die Teilnehmerin heute wieder dabei sein wird? Noch unklar. "Es kann sein, dass heute viele herkommen. Es kann sein, dass es keiner ist oder nur eine. Aber es ist wichtig, dass alle wissen, dass es das Angebot gibt", sagt Lena Kreßmann. Vergangenes Mal saßen hier Teilnehmer aus Nordhausen und Zella-Mehlis. Der Treff ist nicht auf Trauernde aus Erfurt begrenzt.
20 Jahre Erfahrung mit Trauernden
Tom Werner leitet das Trauercafé ehrenamtlich. Seit 20 Jahren begleitet er an verschiedenen Orten verschiedene Trauernde - als Trauerpädagoge, aber auch als Trauerredner. Manche waren 60 Jahre verheiratet, als ihr Partner starb, eine Frau verlor kurz vor der Hochzeit ihren Verlobten bei einem Fahrradunfall.
Bei anderen sind Eltern, Geschwister, Freunde gestorben. Alle fühlen den Schmerz, die Trauer, und jeder geht anders damit um, auch wenn es Muster oder Phasen der Trauer gibt.
In der ersten Zeit müssen viele Dinge erledigt werden nach einem Todesfall. "Man kann die Trauer dadurch etwas wegschieben", sagt Lena Kreßmann. "Deswegen suchen viele erst später Hilfe - die wenigsten kommen direkt nach dem Verlust. Sie warten ab." Meist nach einem Vierteljahr oder halben Jahr suchen die Trauernden Beistand.
Die Zeit heilt nicht alle Wunden
"Ich habe eine junge Frau begleitet, die kam nach dem Unfalltod ihres Verlobten morgens manchmal nicht aus dem Bett. Sie sagte, da sei eine Mauer, über die sie nicht hinwegkomme. Eine Blockade." Tom Werner versteht, was sie meinte. Er fuhr zu ihr und schaffte es mit seiner herzlichen und warmen Art, dass sie zum verabredeten Termin mit ihm kam.
Manchmal haben die Trauernde einfach keine Kraft.
Bei den Gruppentreffen entscheiden die Trauernden selbst - an dem Tag. "Manchmal reichen kleine Dinge, die schiefgelaufen sind und dann hat derjenige einfach keine Kraft", so Tom Werner.
Er fordert seine Trauernden, aber er hilft ihnen damit auch. Schenkt ihnen kleine weiße Igel, damit sie in schweren Situationen etwas in der Hand haben oder er geht in die Berufsschule und spricht mit der kompletten Klasse über Trauer, wenn es heißt: "Es ist jetzt ein Jahr her, jetzt muss es mal gut sein!" Nein, sagt er, muss es nicht. "Die Zeit heilt alle Wunden - das ist Blödsinn", findet Werner.
An eine Tafel schreibt er die Frage: "Wie gehen die anderen mit meiner Trauer um?" Darum könnte es heute gehen. Ein Angebot. Eine Teilnehmerin sagte noch 'bis Donnerstag' - aber es kann sein, dass sie nicht kommt.
"Das kann am Nebel liegen, daran, dass am Tag etwas blöd gelaufen ist. Es gibt viele Faktoren. Einmal war eine junge Frau auf dem Weg zu unserem Treff und sah jemanden, der sie an den verstorbenen Vater erinnerte. Sie ging weinend nach Hause." Dann fragt Tom Werner nach. Das nächste Mal klappt es vielleicht wieder. Er ist da.
Trauergruppe Das Angebot der Malteser ist für Trauernde kostenfrei. Ehrenamtliche wie Tom Werner gestalten es. Vom Landesverwaltungsamt kommt Fördergeld für die Trauerbegleitung. Auch Bestatter oder andere Anbieter bauen Trauergruppen auf. Ein Vergleich, zum Beispiel der Kosten, lohnt sich.
Trauerpause im Sommer
Draußen ist es inzwischen dunkel. Lena Kreßmann kocht Tee und deckt den Tisch. Sie hat Baguette, Wurst, Käse, Oliven, Aufstriche besorgt. Auf dem Tisch brennt eine Kerze. Die Heizung ist an, doch es zieht kalt durch die offene Tür. Es ist nach 17:30 Uhr, und noch ist niemand gekommen. Erfahrungsgemäß dauert es, bis sich eine Gruppe aufgebaut hat - etwa ein Jahr, sagt Tom Werner.
Im Sommer war eine kleine Trauerpause. Jetzt ist es ungemütlich und grau. Da ist man ansprechbarer für einen Trauertreff.
Lena Kreßmann ist überzeugt, dass zu den anstehenden Treffen wieder mehr Trauernde kommen. Sie begründet das mit der Jahreszeit. "Im Sommer war eine kleine Trauerpause. Das habe ich auch bei mir selbst gemerkt. Das Wetter ist schön, man ist draußen. Es gibt mehr Leichtigkeit. Jetzt im Herbst und Winter hält man sich mehr drinnen auf, ist mehr allein. Es ist ungemütlich und grau. Da ist man ansprechbarer für einen Trauertreff."
Warum nur für junge Leute?
Doch warum richtet sich das Angebot nur an Menschen unter 30? Für die anderen - die, die Jahrzehnte verheiratet waren zum Beispiel, gibt es andere Gruppen. "Junge Leute trauern anders", erklärt Tom Werner. Es sei ein anderer Schmerz, wenn sie plötzlich alleine zurechtkommen müssten.
Es ist nicht die Trauer um ein langes gemeinsames Leben, sondern um die gemeinsame Zukunft, die verloren ist.
Lena Kreßmann erzählt aus eigener Erfahrung: "Es ist nicht die Trauer um ein gemeinsames Leben, sondern um eine gemeinsame Zukunft, die jetzt verloren gegangen ist."
Andere Trauer-Rituale bei älteren Leuten
Auch die Art, wo und wie getrauert wird, unterscheidet sich bei den jüngeren Hinterbliebenen. "Ältere Menschen pflegen eine andere Trauerkultur", sagt sie. "Wenn manche hören, dass ich kein Grab auf dem Friedhof für meinen Vater gemacht habe - weil er das nicht wollte - ernte ich manchmal schwere Blicke und Unverständnis bei der älteren Generation."
Für diese sei wichtig, einen Ort zum Trauern zu haben oder ein Jahr lang schwarze Kleidung zu tragen. Davon komme die junge Generation immer mehr ab, so ihre Beobachtung. Sie hat zum Beispiel Teelichter mit den Initialen des Vaters verteilt. Jeder, der das Bedürfnis hat, an ihn zu denken, kann eine Kerze für ihn entzünden.
Gruppe ist auch schwierig. Sie müssen nichts erzählen. Sie können.
Online trauern ist anonymer
"Es gibt auch sehr gute Online-Angebote für Trauernde", sagt Kreßmann. Manche drücken sich am liebsten im Chat aus. Es sei anonymer. Aber sie wollte eine Gruppe mit persönlichen Treffen gründen. "Gruppe ist auch manchmal schwierig. Aber wir sagen immer: Sie müssen nichts erzählen. Sie können."
Wer sich für die Gruppe entscheidet, kann so lange kommen, wie er oder sie mag und es braucht. "Es könnte auch passieren, dass jemand sagt: 'Das hier ist nicht meine Trauer.' Das hatten wir jetzt aber noch nicht", so Kreßmann.
Eine Freundin von ihr, deren Mutter gestorben ist, hat für sie einen Baum im Garten gepflanzt. "Ich hatte auf Bildern gesehen, dass sie orange und gelbe Blütenblätter darum verteilt hat, viele Bilder und Kerzen. Das sah so schön aus! Es hat mich begeistert - so traurig und doch so schön."
Das habe Kreßmann der Freundin auch so gesagt, und die erzählte, sie habe viele Fragen darauf bekommen, zum Beispiel: "Muss das sein? Muss man das auch noch im Internet posten?"
Doch jeder trauert anders. "Manche machen das im stillen Kämmerlein mit sich aus, andere zeigen es. Damit auch das Umfeld mitkriegt, dass mir nicht nach Party zumute ist oder ich in einer Phase bin, in der ich nicht fröhlich sein kann. Das kann das Umfeld auch sensibilisieren."
Abstimmung: Ist der Totensonntag noch zeitgemäß?
Das Umfeld erwarte oft, dass man am Totensonntag ein gewisses Programm abspult. Tom Werner etwa erhielt Anrufe aus seiner Hunderte Kilometer entfernten Heimat - das Grab der Eltern sehe nicht schön aus. Ob er das nicht in Ordnung bringen wolle vor dem Totensonntag.
Ich habe meinen Kindern gesagt, stellt ein Bild von mir hin. Das reicht. Ich brauche keine Grabstätte.
Wird er wohl nicht schaffen, wie er sagt. "Das ist irgendwann eine Belastung und hat nichts mehr mit Trauer zu tun", so Tom Werner. Er weiß schon, dass er selbst mal kein Grab auf dem Friedhof haben möchte - obwohl es sehr schöne Friedhöfe in Thüringen gibt, etwa in Weimar, Erfurt und Eisenach. Seiner Familie hat er gesagt, sie sollten ein Bild von ihm aufstellen. Das reiche.
An den Totensonntag hat Lena Kreßmann bisher noch nicht gedacht. "Ich persönlich brauche das für meine Trauer nicht. Mir ist der Geburtstag sehr wichtig und der Todestag. Aber ich kann mir vorstellen, wenn beides eher am Jahresanfang liegt, ist das ein Anker am Jahresende. Gerade im Hinblick auf die Weihnachtszeit - das ist für viele die schwerste Zeit im Jahr", so Lena Kreßmann.
Doch wer religiös verwurzelt ist, dem kann der Totensonntag auch heute helfen. Sie glaubt aber, dass der Tag vor allem für die "ältere Generation" wichtig ist. "Ich glaube, in unserer Generation ist das gar nicht mehr so präsent", sagt sie. Und der Tag kann auch Druck aufbauen, nach dem Motto: "Da muss ich auf den Friedhof, da muss ich Blumen hinbringen, da muss ich traurig sein und daran denken", dieser Druck könne massiv sein.
Ein Ruhepool in aufwühlenden Zeiten
Tom Werner hat viele Menschen begleitet, die in jüngeren Jahren den Totensonntag und andere Tage verdrängt haben. Je länger der Verlust aber zurückliegt, desto besser finden sie solche Gedenktage. "Es ist eine gute Idee, auf den Friedhof zu gehen und sich zu besinnen und in sich zu gehen."
Totensonntag hat auch etwas mit Ruhe zu tun, so Werner. Man darf nicht in die Disco oder die Waschanlage - auch manche Fastfood-Ketten haben geschlossen.
"Ich bin ein Befürworter des Totensonntags. Wir sind umgeben von schlimmen Nachrichten. Man braucht auch mal Ruhe - die kann man da finden", so Werner.
Aber er hat auch beobachtet, dass die Trauernden häufig in eine Phase kommen, in der sie nicht auf Friedhöfe gehen können: "Nach einer gewissen Zeit können sie nicht mehr auf den Friedhof. Sie haben eine Sperre, eine Blockade. Das hat vermutlich mit der Abnabelung zu tun - ein innerer Zwiespalt. Man merkt, es geht einem besser, man hat (wieder) ein gutes Leben und sollte doch trauer - irgendwann geht es wieder", so seine Beobachtung.
Aus der Dunkelheit ans Licht
Die Trauernden auf dem Weg zu unterstützen, das ist die Aufgabe von Tom Werner. Wenn sie anrufen und sagen, sie hätten jetzt Lust auf Skiurlaub oder Fasching, dann freut er sich mit ihnen und nimmt ihnen die Zweifel.
"Du darfst fröhlich sein. Deine Freunde sind froh, wenn du wieder lächelst", sagt er dann. Und weiß, dass manche Tage zum Kraftakt werden können. "Das kostet den Hinterbliebenen extrem viel Kraft und auch Mut. Und ich bin aber ganz stolz, wenn sie das machen", so Werner.
Du darfst fröhlich sein.
Mit einer anderen Trauergruppe fuhr er vergangenen Winter nach Berlin zu einem besonderen Weihnachtsmarkt - vergleichbar mit der Glitzerwelt am Stausee Hohenfelden. In diesem Jahr soll es hierhin gehen. Entweder als Gruppe oder auch nur zu zweit - er mit jeweils einem Trauernden.
"Ich kann die Magie nicht ganz erklären", sagt er "aber dieses Licht, diese Helligkeit in der Dunkelheit - das schafft Fröhlichkeit. Das ist sehr befreiend", so Werner.
Diese Helligkeit in der Dunkelheit - das schafft Fröhlichkeit.
Es ist nach 18 Uhr. Eine Schülerin kommt ins Trauercafé. Sie ist das erste Mal da an diesem Abend. Auch sie hat einen wichtigen Menschen verloren. Ob sie heute schon drüber sprechen wird? Sie muss nicht. Sie kann. Lena und Tom sind da.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Sonntagmorgen | 24. November 2024 | 07:40 Uhr
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