Theaterstreit Ein Jahr nach der Abberufung von Guy Montavon: Stadträte kritisieren Aufarbeitung
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14. Januar 2025, 06:00 Uhr
Vor einem Jahr ist der Erfurter Theater-Intendant Guy Montavon von der Stadtspitze beurlaubt worden. Die Vorwürfe rund um vermeintlichen Machtmissbrauch und MeToo waren am Haus unter seiner Leitung einfach zu groß geworden. Mittlerweile ist Montavon von Seiten der Stadt ganze dreimal gekündigt worden. Hinter verschlossenen Türen streitet man sich nun vor Gericht. Mehrere Stadträte vermissen jedoch eine öffentliche Aufarbeitung des Skandals.
- Ein Gutachten, das im Auftrag der Stadt Erfurt erstellt worden ist, fasst die Vorwürfe gegen Montavon und weitere Angehörige des Theaters zusammen.
- Mehrere Stadträtinnen und Stadträte kritisieren die mangelnde Aufklärung der Theater-Affäre.
- Eine Forderung: Die Rolle von Gleichstellungsbeauftragten müsse in Thüringen gestärkt werden.
Derzeit steht sein Name auf dem Spielplan des Slowenischen National Theaters in Maribor: Guy Montavon führt Regie in der Verdi-Oper "Otello". Im vergangenen Jahr war er im italienischen Verona mit Verdis "Stiffelio" ebenfalls als Regisseur aktiv.
Doch was ist aus den Vorwürfen rund um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt im Umgang mit Sängerinnen und Darstellerinnen während seiner Zeit in Erfurt geworden? Nicht nur ihm, auch anderen Personen des Theaters wurden Verstöße in mehreren Fällen vorgeworfen, so belegt es das Gutachten einer externen Kanzlei im Auftrag der Stadt Erfurt. Das wurde MDR KULTUR von mehreren Personen, die das Dokument einsehen durften, unabhängig voneinander bestätigt.
Gutachten nicht öffentlich
Das Gutachten durften bislang nur wenige Stadträte einsehen. Es war mehrfach von der Stadtspitze versprochen worden, der Öffentlichkeit wenigstens in Teilen Einsicht zu gewähren. Das ist bis heute nicht geschehen. Dagegen soll der ehemalige Intendant selbst angeblich die Chance gehabt haben, als einer der ersten Einsicht zu nehmen, berichten mehrere Erfurter Stadträte.
Ende Juli machte der Stadtrat den Weg für eine Kündigung Montavons frei. Mittlerweile wurde dem Langzeitintendanten drei Mal gekündigt. Die Kündigungsgründe haben aber mit den ursprünglichen Themen nichts zu tun. Vielmehr wird Montavon unter anderem vorgeworfen, Leistungen der Theaterwerkstätten privat in Anspruch genommen zu haben.
Kritik aus Lokalpolitik: Mangelnde Aufarbeitung
Um die Aufarbeitung der Vorwürfe rund um den Machtmissbrauch ist es allerdings still geworden. Die Stadt will sich mit Blick auf die laufenden Verfahren aktuell nicht öffentlich äußern. Auch der Ex-Intendant schweigt zu den Vorwürfen – auf eine Anfrage von MDR KULTUR reagierte er bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht.
Die Bürgerinnen und Bürger spüren eine große Ungerechtigkeit.
"Die Aufklärung, die bislang in der Öffentlichkeit stattfand, ist dürftig, das bekommen wir zurückgemeldet aus der Bevölkerung", so das Resümee von Tina Morgenroth von der Fraktion Mehrwertstadt. Sie wisse als Stadträtin natürlich ein bisschen mehr, aber die verschiedenen Berichte würden nach wie vor nicht freigegeben: "Die Bürgerinnen und Bürger spüren eine große Ungerechtigkeit. Und sie beobachten natürlich auch, dass der Intendant weiterhin tätig ist und äußern Unverständnis."
Grüne: Gleichstellungsgesetz von Thüringen überarbeiten
Auch für die Grünen-Stadträtin Laura Wahl ist das Vorgefallene noch lange nicht aufgearbeitet. Sie wünscht sich, dass das Thema auf Landesebene besprochen wird, aus ihrer Sicht wäre ein Untersuchungsausschuss hier ein geeignetes Instrument.
Zudem, so Wahl, habe der Erfurter Theaterskandal gezeigt, dass das Gleichstellungsgesetz in Thüringen dringend geschärft werden müsse: "Hier muss man vor allem auf einen Punkt schauen: Was dürfen Gleichstellungsbeauftragte? Und wie stark ist ihr Schutz gegenüber dem eigenen Arbeitgeber? Da braucht es eine Nachschärfung!"
Wahl spielt auf die frühere Gleichstellungsbeauftragte von Erfurt, Mary-Ellen Witzmann, an. Sie hatte die Vorwürfe gegen das Theater Erfurt publik gemacht und war daraufhin im Herbst 2023 von der Stadtspitze entlassen worden. Auch sie befindet sich in juristischem Streit mit der Stadt. Nach einem Richterwechsel wird hier kein baldiges Urteil erwartet. Stadträtin Wahl stößt Witzmanns Schicksal bis heute bitter auf: Die "Unterschiede in der Behandlung von Herrn Montavon und der ehemaligen Gleichstellungsbeauftragten sind das größte Ungleichgewicht, was nach einem Jahr bestehen bleibt."
Kritik an ungleicher Behandlung
Während Witzmann binnen weniger Tage komplett vor die Tür gesetzt worden sei, habe sich alles rund um den Intendanten sehr lange hingezogen. Aus Sicht Wahls hat der frühere Kulturbeigeordnete Tobias Knoblich in der Sache keine gute Figur gemacht. Dass er mittlerweile zum Staatssekretär in der neuen Thüringer Landesregierung befördert wurde, nennt sie "frappierend".
Auch bei anderen Stadträten hinterlässt das Ganze einen bitteren Nachgeschmack. Katja Maurer (Die Linke) ärgert sich darüber, dass offenbar in keinem der dokumentierten Fälle, in denen Frauen sich über den Umgang am Theater beschwert haben, eine Aufarbeitung erfolgt ist: "Es scheint, dass man ein Verfahren nach hinten ziehen und weiter seinen Weg gehen kann, wenn man sich teure Anwälte leisten kann. Und genau das macht Guy Montavon ja beruflich, er inszeniert ja weiterhin."
Theater Erfurt kommt nicht zur Ruhe
Fest steht: Wer sich im Erfurter Theaterskandal in den Medien äußert, muss damit rechnen, Post vom Anwalt zu bekommen. So flatterte zum Beispiel beim Orchestervorstand des Theaters vor Monaten eine Abmahnung mit finanzieller Strafandrohung auf den Tisch, nachdem man in einer internen Sitzung beschlossen hatte, sich in einem offenen Brief kritisch zu äußern.
Stadträte seien von solchen Androhungen nicht verschont geblieben, schildert Niklas Waßmann von der CDU. Für ihn bleibt das bittere Fazit: "Selbstverständlich hat jeder das Recht, seine staatsbürgerschaftlichen Rechte wahrzunehmen – aber ich glaube, manchmal sind die Munitionen ein bisschen unterschiedlich verteilt."
Während ein Jahr nach seiner Beurlaubung Montavon weiter an verschiedenen Theatern inszeniert, herrscht in seiner einstigen Wirkungsstätte viel Unmut. Denn von einer Aufklärung der ursprünglichen Vorwürfe ist man in Erfurt noch weit entfernt.
Quelle: MDR KULTUR (Blanka Weber); redaktionelle Bearbeitung: bh, mw, tis, lk
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. Januar 2025 | 08:40 Uhr