Kommunalpolitik Demokratie erlebbar machen: Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte im Erfurter Stadtrat
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31. August 2023, 16:09 Uhr
Mit einem neuen Projekt will das muslimische Bildungswerk das demokratische Engagement von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte stärken. Bei einer Exkursion in den Stadtrat zeigt sich: Die Teilnehmer haben großen Redebedarf.
Im Sitzungssaal des Erfurter Rathauses füllen diesmal andere Gesichter die Reihen. Normalerweise tagt hier der Stadtrat, jetzt sitzen hier Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 bis 27, allesamt mit einer Einwanderungsgeschichte. Heute sind sie es, die im Sitzungssaal Fragen stellen und Anliegen formulieren können.
Das Projekt "Jung demokratisch aktiv" will Jugendlichen und jungen Erwachsenen Demokratie und Kommunalpolitik näherbringen. Rede und Antwort stehen ihnen dafür heute die Stadträte Michael Panse (CDU), Luise Schönemann (Linke), Stefan Schade (SPD) und David Maicher (Grüne). Das Bildungswerk hatte alle Stadtratsfraktionen für den Termin angeschrieben - außer die AfD.
Probleme aus dem Alltag
An Fragen mangelt es nicht. Eine Teilnehmerin will wissen, warum es für sie und ihre sechs Kinder so schwierig ist, eine Wohnung zu finden, die groß genug und trotzdem bezahlbar ist. Warum Menschen mit Migrationsgeschichte kaum im Stadtrat vertreten sind, fragt ein weiterer Teilnehmer. Prompt folgt darauf die Einladung, sich zu den Kommunalwahlen im nächsten Jahr als Kandidat aufstellen zu lassen.
Wenn es um muslimisches Engagement geht, wird den Menschen oft mit Misstrauen begegnet.
Im Saal bricht Gelächter aus. Ganz so einfach ist es eben nicht. "Wenn es um muslimisches Engagement geht, wird den Menschen oft mit Misstrauen begegnet", sagt Thaer Issa, Projektleiter und Gründer des Muslimischen Bildungswerkes. Das wolle er ändern. In ganz Deutschland geben er und sein Team Workshops, in denen sie über die muslimische Kultur aufklären. Vereinzelt besuchen sie dafür sogar Wirtschaftsunternehmen, erzählt Issa.
Spielerisch und praxisnah
Das muslimische Bildungswerk ist in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die einzige Organisation dieser Art. Die größte Säule des Vereins ist die Jugendarbeit. Spielerisch und möglichst praxisnah sollen die Jugendlichen erfahren, wie demokratische Prozesse ablaufen und Entscheidungen getroffen werden. Zum Beispiel bei dem professionell angeleiteten Planspiel "Quararo". Darin können die Teilnehmer auch persönliche Fälle oder Probleme aus ihrem Alltag einbringen. Gemeinschaftlich wird dann nach einer demokratischen Lösung gesucht.
Demokratie braucht Zeit
Dass sowas manchmal ganz schön lange dauern kann, realisiert Anis (22) auch beim Gespräch im Stadtrat. Er kam vor fünf Jahren aus Syrien. "Ich habe gelernt, dass man manchmal einfach Geduld haben muss, weil es nicht so einfach ist, eine Lösung zu finden. Man muss sich immer erst hinsetzen und gemeinsam entscheiden, was gut oder schlecht ist." Anis will auch weiterhin zu den Workshops und Projekttagen gehen. Für ihn sind noch immer viele Fragen unbeantwortet. Wenn Demokratie seine Zeit dauert, dann kann es eben auch dauern, bis man Demokratie verstanden hat.
Ich wünsche mir, dass wir einen Unterschied im Leben dieser Jugendlichen machen und ihnen dabei helfen, ihre Meinung zu vertreten.
Noch bis Ende des Jahres sollen Veranstaltungen im Rahmen des Projekts stattfinden. Gefördert wird es durch das Bundesprogramm "Denk bunt!". Koordinatorin Shymaa Hammad hofft, dass die Laufzeit von sechs Monaten auf insgesamt zwei Jahre verlängert wird. Das hängt auch davon ab, wie erfolgreich das Projekt nun anläuft. "Ich wünsche mir, dass wir einen Unterschied im Leben dieser Jugendlichen machen und ihnen dabei helfen, ihre Meinung zu vertreten", sagt Hammad. Und das gelte nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern für alle, egal welche ethnische, kulturelle oder religiöse Herkunft.
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 31. August 2023 | 18:00 Uhr