Luftsport Die letzte Option: Wie Jens Massinger Fallschirmspringern das Leben rettet

23. Juli 2023, 09:00 Uhr

Wenn Menschen Fallschirm springen, kommt es immer wieder vor, dass der Schirm nicht aufgeht. Die Springer vertrauen in solchen Momenten darauf, dass Jens Massinger seinen Job ordentlich gemacht hat. Er ist einer von nur zwei sogenannten Riggern in Thüringen - lizenzierten Fachleuten, die als einzige den Reserveschirm packen dürfen. Jenen Schirm, der in einem solchen Fall die letzte Option ist. Wie geht er mit dieser Verantwortung um?

Jens Massinger kniet auf dem Boden in einer kleinen Halle, direkt daneben geht es raus auf den Flugplatz. Es ist das Zuhause von Massingers Fallschirmspringervereins bei Osthausen-Wülfershausen, südlich von Erfurt.

Massinger hat starke Hände, was gleich bei der Begrüßung deutlich wird. Stahlarbeiterhände, die jetzt in ihrer Freizeit den feinen Stoff eines Fallschirms packen: Ruhig und genau arbeitet er sich durch Leinen und Gurte hindurch, unüberschaubar für den Laien - aber Alltag für Massinger.

Eine zweite Chance für die Fallschirmspringer

Der Südthüringer mit dem besonnenen Blick ist einer von nur zwei Riggern im Freistaat. Übersetzen lässt sich Rigger etwas uneleganter mit "Fallschirm-Wart". Massinger sorgt dafür, dass Fallschirmspringer eine zweite Chance haben, wenn irgendetwas an ihrem Hauptschirm nicht ganz ordentlich gepackt ist und er nicht aufgeht. Sprich, wenn sie den ersten Schirm abstoßen und noch einmal ziehen müssen.

Es ist dieses Gefühl von Freiheit.

Jens Massinger

Seit zehn Jahren springt Massinger jetzt schon selbst. Den Kick, wenn man zum ersten Mal aus einem Flugzeug in 4.000 Meter Höhe springt und mit über 200 Kilometer pro Stunde gen Erde rast, den habe er mittlerweile nicht mehr. "Aber es ist dieses Gefühl von Freiheit. Das ist geblieben. Du springst da oben raus und merkst, wie klein du als Mensch bist."

Fallschirmspringen ist für Massinger Sport: Mit seinen Freunden springt er an einem guten Tag bis zu sieben Mal hintereinander. Gleichzeitig verlassen sie das Flugzeug, bilden Formationen in der Luft und verbringen das Wochenende am Flugplatz. "Man lernt einfach nicht aus", sagt Massinger, "weil dieser Sport so breit gefächert ist."

Fallschirm-Ausrüstung wird einmal jährlich überprüft

Als Rigger sei er aber auch anderweitig gut eingespannt, wie er sagt: "Du packst mit den Schülern die Schirme, dann kommt einer, der braucht einen Gummi für die Leinen - irgendein Problem gibt es immer." Zu den Hauptaufgaben seines Nebenjobs gehört dabei die jährliche Durchsicht, die jede Springerin und jeder Springer mit Gurtzeug und Reserveschirm nachweisen muss. Ähnlich dem Tüv beim Auto. "Ich hänge den Reserveschirm dort hinten auf und schaue durch, ob es Risse oder Löcher gibt. Ob die Leinen in Ordnung sind, die Aufhängung am Gurtzeug und die Gurte an sich."

Wenn Massinger den Reserveschirm wieder eingepackt hat, kommt eine Plombe drauf. "Dafür gibt es eine extra Plombe und eine Plombenzange mit deiner Nummer drauf." Sollte es einen Unfall geben, haftet Massinger. Jede Durchsicht wird dokumentiert - jedes Einzelteil mit einer Seriennummer verglichen und registriert. Damit sichert er nicht nur sich selbst ab, sondern erhöht auch die Qualität der Kontrolle.

Er selbst musste in seinem Leben noch nie den Reserveschirm nutzen. Und bislang ist auch den Springern, für die Jens Massinger arbeitet, noch nie etwas passiert. Vereinzelt kommt es vor, dass die die Reserve brauchen und danach an Massinger schicken, um ihn erneut packen zu lassen.

Ich habe eine Riesenverantwortung.

Jens Massinger

Aber wie geht er mit der Verantwortung um, die auf ihm lastet? Mit dem Wissen, dass er seinen Job perfekt machen muss? "Ja, ich habe eine Riesenverantwortung. Ich muss mich natürlich auf mich verlassen können. Und man darf keine Routine reinbringen lassen. Es geht nicht, wenn man selber Bedenken hat. Du kannst nicht sagen, das wird schon so gehen. Nein, dann musst du alles noch einmal von vorn machen."

Statistisch ziemlich ungefährlich

Ein Mensch, der mit einem Affenzahn im freien Fall zur Erde rast, wird von ein bisschen Stoff und ein paar Schnüren aufgefangen. Die Meldungen, die es jedes Jahr zu Unfallopfern und -toten gibt, bleiben im Kopf. Viel eher als die Meldungen über verstorbene Motorradfahrer, die es oftmals gar nicht bis zur Veröffentlichung schaffen.

Wie zuverlässig ist daher das Zusammenspiel aus einwandfreiem Equipment und kurzer, höchster menschlicher Konzentration? "Der Mensch ist die häufigste Fehlerquelle", sagt Jens Massinger. "Man kann falsch liegen, zu tief ziehen oder die Öffnungsautomatik nicht einschalten, die auslöst, falls man bewusstlos wird. Die meisten Verletzungen gibt es bei der Landung." Aber, so betont der Rigger, das Fallschirmspringen sei eine der sichersten Sportarten.

Mit gerade einmal 0,026 Prozent beziffert der Deutsche Fallschirmsport Verband e.V. die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls, die eines Todesfalls bei einem missglückten Sprung mit 0,0013 Prozent. Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Autounfalls viel höher ein.

Der Mensch ist die häufigste Fehlerquelle.

Jens Massinger

Massinger selbst verlasse sich vollkommen auf die Technik, wie er sagt. Und wenn eben mal ein Fehler beim Hauptschirm unterlaufen sei, müsse schnell gehandelt werden. "Man hat schon eine gewisse Zeit. Aber ab einer gewissen Höhe, so ab 500 Meter, sollte man sich dann auch schon mal entschieden haben - ansonsten wird es knapp." Und: Massinger ist es wichtig, das Fallschirmspringen vom Basejumping abzugrenzen - einem Sport, der ihm zu gefährlich ist und an den er bereits Bekannte verloren hat.

Kurz erklärt: Was ist der Unterschied zum Basejumping?

Mit dem Fallschirm springen die Sportlerinnen und Sportler im Schnitt aus einer Höhe von 4.000 Metern aus einem Flugzeug - manchmal auch aus einem Helikopter. Sie tragen dabei einen Reserveschirm mit sich.

Beim Base Jumping wird aus weit geringerer Höhe gesprungen: Von Hochhäusern, Brücken oder Windrädern - dabei mit einem größeren Schirm und ohne Reserve. In vielen Ländern ist es nur mit einer Genehmigung erlaubt.

Ich bin halt versessen in die Technik.

Jens Massinger

Seit drei Jahren ist Massinger jetzt schon Rigger und verbringt neben seiner Arbeit im Stahlwerk viel Zeit am Flugplatz. Seine Familie, so sagt er, lasse ihm den Freiraum. "Es ist halt mein Hobby und das macht man gerne. Meine Familie versteht das." Jedes Mal, wenn er von einem Sprungwochenende zurückkomme, sei der Kopf wieder total leer und klar.

Von seinem Nebenjob als Rigger kann Jens Massinger zwar nicht leben. Doch, so sagt er, trage das Hobby auch finanziell komplett übers Jahr. "Ich bin halt versessen in die Technik. Und als Rigger und Techniker musst du es wollen. Es ist zu 95 Prozent Handarbeit und ich habe einfach diesen Wissensdurst: Warum wurde das so gebaut und wieso funktioniert das so und nicht anders?"

In Zukunft will Massinger auch noch den Techniker-Schein absolvieren. Dann kann er auch beispielsweise mit der Nähmaschine Gurte reparieren und sich noch mehr dem Springen widmen.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 13. Juli 2023 | 17:13 Uhr

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