Polizeibeamter vor Gebäude bei Drogenrazzia
Die Verdächtigen wurden bei einer groß angelegten Razzia im Anfang Mai 2021 festgenommen. Bildrechte: MDR/Marcus Scheidel

Verfahren um Kryptohandys Kein Raum gefunden: Drogenprozess in Erfurt abgeblasen

14. Januar 2022, 19:00 Uhr

Einer der größten Drogenprozesse in Thüringen ist kurz vor seinem ersten Verhandlungstag vorerst geplatzt. In dem spektakulären Verfahren sollte es erstmals um den Einsatz sogenannter Kryptohandys der Firma Encrochat gehen. Eine Art WhatsApp für Gangster, die weltweit genutzt wurden. Doch die Thüringer Justizverwaltung hat es offenbar über Wochen nicht geschafft, einen Raum für das Mammutverfahren unter Coronabedingungen zu finden.

In den vergangenen 48 Stunden glühten die Drähte zwischen allen Beteiligten. Ein Krisentelefonat jagte das nächste. Doch am Ende nützten alle hektischen Bemühung nichts mehr. Das erste wichtige Verfahren um dem Einsatz von sogenannten Encrochat-Handys in Thüringen ist geplatzt - vorerst. Das Landgericht Erfurt bestätigte MDR THÜRINGEN, dass die zuständige Richterin alle Termine ab kommender Woche bis zum Mai aufgehoben hat. Grund: Die Thüringer Justizverwaltung habe keinen geeigneten Sitzungssaal für das Verfahren bereitgestellt. Geplant sei nun, dass der Prozess Anfang November dieses Jahres starten soll, heißt es.

Die Haftbefehle gegen die fünf Angeklagten sind nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft Gera aufgehoben worden. Damit wären alle theoretisch auf freien Fuß. Allerdings müssen die beiden mutmaßlichen Rädelsführer im Gefängnis bleiben: Sie sitzen wegen einer anderen Verurteilung Haftstrafen ab.

Anklage wegen des Verkaufs von 240 Kilogramm Drogen

In dem Encrochat-Prozess geht es um einiges. Angeklagt ist eine Gruppe um den schwerkriminellen Martin U. und seinen Bruder Christian. Gemeinsam mit drei weiteren Angeklagten wurden sie Anfang Mai 2021 festgenommen. Der Vorwurf lautet: Handel mit Betäubungsmitteln in besonders schwerem Fall. Ingesamt soll die Bande zwischen Januar und Mai 2020 rund 240 Kilogramm Drogen bestellt und verkauft haben. Wert dieser gesamten Geschäfte: über 1,1 Millionen Euro. Drogenhandel in dieser Größenordnung ist in Thüringen bisher so noch nicht bekannt gewesen. Doch Ermittler warnen, das dieses Verfahren kein Einzelfall sein könnte.

Aufgeflogen war das Ganze, weil es Fahndern gelungen war, in den geheimen Server der Firma Encrochat in den Niederlanden 2020 einzudringen. Encrochat hatte bis dahin eine besondere Dienstleistung für Gangster weltweit angeboten. Verschlüsselte Handys, die für die Polizei nicht zu knacken waren und deshalb auch nicht abgehört werden konnten. Doch die Daten aus dem Server versetzten die Fahnder weltweit in die Lage, den Kriminellen auf die Schliche zu kommen. Tausende von Verfahren wurden in Europa eingeleitete. Allein in Deutschland sind es 2.250.

Richterin wollte größeren Saal

Nach komplizierten Ermittlungen sollte nun auch der erste Fall in Thüringen verhandelt werden. Die für Organisierte Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Gera hatte die fünf Männer Ende September angeklagt. Seit diesem Zeitpunkt war klar, dass es ein personell umfangreiches Verfahren werden würde. Da sich alle Angeklagten in Untersuchungshaft befanden, musste durch das Landgericht Erfurt rasch ein Termin für den Start gefunden werden. Die zuständige Kammer am Landgericht setzte Termine zwischen dem 18. Januar und 25. Mai dieses Jahres fest.

Diese sollen bereits vor der offiziellen Zulassung der Anklage intern bekannt gewesen sein. Gleichzeitig, so wurde es MDR THÜRINGEN aus Justizkreisen bestätigt, wies die zuständige Vorsitzende Richterin frühzeitig daraufhin, dass sie einen größeren Saal brauche. Der Schwurgerichtssaal im Landgericht Erfurt sei für die Anzahl von Angeklagten, jeder mit zwei bis drei Verteidigern, den Staatsanwälten, den bewachenden Polizeibeamten und den Zuschauern nicht groß genug. Besonders unter Corona-Bedingungen.

Langwierige Gespräche in Justizverwaltung

Doch die Bitte verhallte offenbar bei der Thüringer Justizverwaltung. Das Justizministerium erklärte auf Anfrage, von dem Raumproblem erstmals Ende vergangenen Jahres im Rahmen eines Mail-Wechsels erfahren zu haben. In der Antwort an MDR THÜRINGEN heißt es: "Noch im Jahr 2021 hat das Ministerium darum gebeten, mitzuteilen, ob es sich bei der Weiterleitung des E-Mail-Verkehrs (…) um ein Ersuchen handelt, bei der Suche nach einem geeigneten Sitzungssaal Unterstützung zu leisten."

Offenbar musste erst geklärt werden, ob es ein "Ersuchen" oder nur eine "Information" über die Problematik war. Diese Klärung schien wieder einige Zeit zu dauern. Die Mühlen der Verwaltung mahlten offenbar so langsam, dass bis Mitte dieser Woche kein geeigneter Raum mehr gefunden werden konnte. Damit kann dieses millionenschwerer Drogenverfahren nicht anlaufen.

Ministerium fürchtet Corona-Ausbruch

Das Justizministerium verweist in seiner Antwort vor allem auf die Corona-Lage. So heißt es in der Antwort an MDR THÜRINGEN: "Am 10.01.22 stellte der insoweit beauftragte fachmedizinische Dienst fest, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs im Rahmen der geplanten Verhandlungstermine […] als hoch einzuschätzen sei." In der Folge gab es die Empfehlung, dass ein Raum gefunden werden müsse, in dem die Abstände von anderthalb Metern eingehalten und eine ausreichende Belüftung möglich sei. Das war acht Tage vor dem geplanten Start des Verfahrens.

Seit Donnerstag liegt nun eine Anforderung aus der Justizverwaltung für einen größeren Saal vor. Laut Justizministerium soll jetzt ein entsprechender Antrag beim Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr gestellt werden, einen geeigneten Raum anzumieten. Auf die Frage, ob es Planungen gab, die Erfurter Messe wie im Ballstädt-Verfahren anzumieten, antwortete das Ministerium nicht.

Genauso nicht, warum es der Verwaltung nicht gelungen ist, einen entsprechend anderen großen Raum zu finden, der den Pandemie-Vorgaben entsprochen hätte. Zumal die Termine seit Spätherbst vergangenen Jahres intern bekannt gewesen sein sollen und sich auch die Corona-Lage in Thüringen dramatisch verschärfte hatte.

Ein Handy mit dem Text Anom auf einem Laptop 49 min
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MDR AKTUELL Fr 18.06.2021 06:00Uhr 48:54 min

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Fahnder sprechen von Rückschlag

Damit ist der erste große Prozess um den Einsatz von Encrochat-Handys vorerst geplatzt. Was für die Ermittler, die monatelang an dem komplexen Fall gearbeitet hatten, ein schwerer Schlag ist. "Was setzten wir damit für ein Zeichen an Kriminelle da draußen", sagte ein erfahrener, sichtlich frustrierter Fahnder. Dabei ist seit zwei Jahren durch die Thüringer Strafverfolgungsbehörden immer wieder gewarnt worden, dass durch die Daten aus dem geknackten Server eine Welle an großen und komplexen Ermittlungsverfahren auch auf die Thüringer Gerichte zukommen werde.

Nach MDR THÜRINGEN-Informationen liegen sowohl dem Thüringer Justiz- wie auch dem Innenministerium interne Lagebilder vor, in denen auf die enormen Anforderungen an Ermittlungskapazitäten im Zusammenhang mit Kryptohandys hingewiesen wird. Das ein solches Verfahren unter diesen Umständen vorerst geplatzt ist, könnte ein Hinweis sein, dass diese Informationen an den zuständigen Stellen bisher nicht mit dem nötigen Ernst behandelt wurden.

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Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 14. Januar 2022 | 19:00 Uhr

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