NS-Geschichte Erstes Konzentrationslager entstand vor 90 Jahren in Nohra
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05. März 2023, 14:43 Uhr
Es war vor 90 Jahren das erste Konzentrationslager im damaligen Deutschen Reich - eingerichtet nahe einem ehemaligen Flugplatz in Nohra bei Weimar. Heute sieht man dort nur noch Wiese, Gestrüpp und Bäume. Nichts erinnert mehr daran, dass bei Nohra 1933 die ersten Gefangenen überhaupt in einem Konzentrationslager untergebracht waren.
Es waren die Tage nach dem Reichstagsbrand am 28.02.1933, als eine Welle von Verhaftungen begann. Die Nationalsozialisten nutzten die Situation und behaupteten, ein kommunistischer Aufstand stünde unmittelbar bevor.
Reichspräsident von Hindenburg erließ auf Vorschlag der Hitler-Regierung die sogenannte "Reichstagsbrandverordnung", die alle möglichen Rechte der damaligen Verfassung außer Kraft setzte. Auf Grundlage dieser Verordnung wurde auch das Instrument der "Schutzhaft" angewendet: Vor allem zahlreiche Kommunisten wurde ohne jeglichen richterlichen Beschluss inhaftiert.
Der Standort Nohra
Da die Gefängnisse schnell überfüllt waren, brauchte es weiteren Platz. In Nohra wurde das Innenministerium fündig - der Standort hatte gleich mehrere Vorteile. Bisher befand sich hier die sogenannte Heimatschule Mitteldeutschland, eine Art Wehrsportlager für Jugendliche, die dort zugleich völkisch-deutschnational indoktriniert wurden. Außerdem lag in einem weiteren Gebäude ein Ertüchtigungslager des "Stahlhelms", eines rechtsextremen Veteranenverbands.
"Das heißt, man kam hier in Räumlichkeiten, die für ein KZ einigermaßen geeignet waren, und man kam in ein ideologisch gefestigtes Umfeld", beschreibt Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, die Wahl des Standortes.
Nachdem das Lager am 03.03.1933 errichtet wurde, erhielt es wenige Tage später, am 08.03., auch offiziell den Namen "Konzentrationslager". Es diente damals vor allem der Machtsicherung der Nationalsozialisten, heute gilt Nohra als erste aktenkundliche Erwähnung eines Konzentrationslagers.
Unterschiede zu späteren Konzentrationslagern
Dennoch unterschied sich dieses erste Konzentrationslager von späteren in vielen Punkten. So waren in Nohra ausschließlich politische Häftlinge untergebracht, keine Juden, Sinti und Roma oder homosexuelle Menschen. "Die Insassen waren KPD-Angehörige und zwar vorwiegend leitende KPD-Angehörige. Die Hälfte der KPD-Landtagsfraktion war in Nohra inhaftiert und ansonsten viele Stadtrats-Mitglieder aus den verschiedenen Städten im damaligen Staat Thüringen", sagt Christian Wagner.
Außerdem wurden die Häftlinge nicht gekennzeichnet und trugen keine gestreifte Häftlingsuniform, so Wagner: "Hier wurden sehr improvisiert Häftlinge inhaftiert, es gab keinen Lagerzaun, es gab keine Wachtürme. Das waren drei große Säle, an deren Türen Wachposten standen, es war ein weißer Strich auf die Türschwelle gezeichnet und bei Strafe war es verboten, diese Türschwelle zu überschreiten."
Zwangsarbeit und systematische Folter fanden in dem KZ noch nicht statt, dennoch waren die hygienischen Bedingungen in dem Lager sehr schlecht. In der Spitze waren insgesamt 220 Häftlinge gleichzeitig im Lager inhaftiert.
Die Hälfte der KPD-Landtagsfraktion war in Nohra inhaftiert und ansonsten viele Stadtrats-Mitglieder aus den verschiedenen Städten im damaligen Staat Thüringen.
Bereits ab Ende März wurden die ersten Häftlinge in andere Gefängnisse umverteilt, unter anderem nach Weimar und nach Ichtershausen. Zur gleichen Zeit wurde zentral für ganz Thüringen in Bad Sulza ein neues Konzentrationslager errichtet.
Dieses Lager bestand bis Juli 1937, als dann das KZ Buchenwald zentrales Lager wurde, erklärt Jens-Christian Wagner: "Insofern führt tatsächlich ein direkter Weg von Nohra über das KZ Bad Sulza in das KZ Buchenwald."
Schließung des KZ und der Weg in die Vergessenheit
Im Jahr 1950 ließ die rote Armee das Gebäude abreißen, in dem sich das Konzentrationslager befunden hatte. Jens-Christian Wagner vermutet zudem, dass viel Erde aufgeschüttet worden ist und das damalige Gelände einige Meter tiefer lag als heute.
Doch warum ist das Lager so in Vergessenheit geraten? Laut Wagner steht es eigentlich für den Beginn des NS Terrors und müsste in der Thüringer Erinnerungskultur eine viel größere Rolle spielen.
Tatsächlich gab es im Jahr 1988 eine Gedenktafel - damals durch die SED-Kreisleitung angebracht. Doch diese wurde vom Gemeinderat 1990 wieder entfernt.
Das könnte laut Christian Wagner auch damit zu tun haben, dass Buchenwald samt dem Mahnmal Glockenturm in Sichtweite ist - mit dem der antifaschistische Widerstandskampf als Gründungsmythos der DDR in Stein gemeißelt gewesen sei. "Und dieser Ort hier stand im Schatten von Buchenwald und am Beispiel Nohras konnte man nicht die Erfolgsgeschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes erzählen."
Verein plant Erinnerungsort
Dennoch ist Wagner froh, dass es gesellschaftliches Engagement in Form eines kleinen Vereins gibt, dem "Flugplatz Nohra e.V.". Dieser plant schon seit einigen Jahren, an dem Ort Informationstafeln aufzustellen - zum einen zum ehemaligen Flugplatz, aber auch zur Heimatschule Mitteldeutschland und zum Konzentrationslager. Bisher wurde diese Idee aber noch nicht umgesetzt.
Wagner hofft, dass das ehemalige Konzentrationslager in Nohra wieder mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Aus seiner Sicht müsse man sich stärker als bisher von den vermeintlich großen Lagern wie Buchenwald und Mittelbau-Dora lösen und darauf schauen, was überall in Thüringen vor der eigenen Haustür passiert ist, von Zwangsarbeit über Krankenmord bis hin zu Kriegsgefangenenlagern.
Das begann hier in Nohra und deshalb ist es so wichtig, darauf zu blicken.
Das sei auch deshalb wichtig, weil man damit das Netzwerk des NS-Terrors besser verstehen könne: "Eine NS-Gesellschaft, die auf zwei Säulen stand, nämlich einerseits Integrationsangeboten an die selbst ernannten 'Herrenmenschen' und auf der anderen Seite Ausgrenzung, Verfolgung und Mord all derer, die nicht dazu gehörten. Und das begann hier in Nohra, deshalb ist es so wichtig, darauf zu blicken."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 29. Januar 2023 | 22:20 Uhr