1933: Konzentrationslager Nohra Nohra: Das erste KZ in Thüringen und im Deutschen Reich
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03. März 2023, 05:00 Uhr
Inhalt des Artikels:
- Vorgeschichte des KZ Nohra
- Deutsches Reich: Zehntausende "Schutzhäftlinge" im Frühling 1933
- Haftstätte zur Machtsicherung der Nationalsozialisten
- Das KZ Nohra unterschied sich von späteren Konzentrationslagern
- KZ-Häftlinge dürfen bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 wählen
- Das einstige KZ in Nohra heute
Eingerichtet wurde das Lager am 3. März 1933 auf dem Flugplatz Nohra in einem Funktionsbau aus dem Ersten Weltkrieg, bestehend aus zwei mehrgeschossigen Kasernengebäuden, die durch eine flache Flugzeughalle miteinander verbunden waren. Im zweiten Obergeschoss des westlichen Gebäudes befand sich, völlig improvisiert eingerichtet, das Konzentrationslager. Unterteilt war das Stockwerk in drei große Säle, deren Böden mit Stroh ausgelegt waren. Betten gab es nicht. Hilfspolizisten bewachten die Saaltüren. Auf weitere Sicherungsmaßnahmen, etwa Zäune oder Mauern, verzichteten die Bewacher; das Gelände war mehr oder weniger frei zugänglich.
Vorgeschichte des KZ Nohra
Bevor in dem Gebäude ein KZ eingerichtet wurde, hatte es bereits einige Jahre, seit 1928, als Unterkunft für die "Heimatschule Mitteldeutschland" gedient, die Lehrgänge für männliche Jugendliche mit Wehrsport und völkisch-deutschnationaler Indoktrination anbot. Zudem waren in dem Komplex auch ein Arbeitslager des freiwilligen Arbeitsdienstes sowie ein Wehrsportlager des Stahlhelm-Verbandes untergebracht. Bereits vor 1933 war die Nutzung des Areals also schon von der zunehmend rechtsextremen Ausrichtung der Politik in Thüringen geprägt.
Wahrscheinlich war Nohra nicht nur das erste Konzentrationslager in Thüringen, sondern sogar im Deutschen Reich. Anfangs wurde es noch als "Sammellager" bezeichnet, ab dem 8. März 1933 wird in den Quellen jedoch bereits der Begriff "Konzentrationslager" verwendet. Anlass für die Einrichtung des Lagers war die Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand in der Nacht auf den 28. Februar 1933, in dessen Folge einige Hundert Kommunistinnen und Kommunisten sowie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Deutschen Reich in "Schutzhaft" oder polizeiliche Sicherheitsverwahrung genommen wurden. Eine zweite Verhaftungswelle folgte unmittelbar nach den Reichstagswahlen am 5. März, als die regierenden Nationalsozialisten keine Rücksicht mehr auf ihre deutschnationalen Koalitionspartner nehmen mussten.
Deutsches Reich: Zehntausende "Schutzhäftlinge" im Frühling 1933
Mehr als 45.000 Personen befanden sich reichsweit zwischen März und April 1933 in Schutzhaft oder polizeilicher Sicherheitsverwahrung, in Thüringen (ohne die preußischen Landesteile) sind es etwa 1.000 gewesen. Die Schutzhaft war eine zeitlich nicht befristete außergerichtliche Haft auf der Grundlage einer Polizeianordnung ohne Strafverfahren und Urteil. Die meisten Schutzhäftlinge wurden anfangs in SA-Kellern, Polizeigefängnissen und teilweise auch in regulären Justizgefängnissen festgehalten und oftmals brutal misshandelt. Doch schnell waren diese Haftstätten vollkommen überfüllt. Deshalb richteten die Behörden ab März 1933 überall im Reich improvisierte Konzentrationslager ein. Diese wurden häufig von der NSDAP bzw. der SA oder der SS betrieben, bisweilen auch von privaten Trägern der Wohlfahrtspflege (etwa in Arbeitshäusern), teilweise befanden sie sich in staatlicher Trägerschaft. [1]
Haftstätte zur Machtsicherung der Nationalsozialisten
In Nohra wurde das Lager durch das Thüringer Innenministerium eingerichtet und war damit ein staatliches KZ. [2] Es nutzte die Heimatschule, die als Verein organisiert war, sowie private Strukturen. So wurden Mitarbeiter der Heimschule neben SA- und Stahlhelm-Angehörigen als Wachpersonal eingesetzt. Die Wachmannschaft stand unter dem Kommando der Schutzpolizei in Weimar, die in Nohra eine Dienststelle eingerichtet hatte. Dazu waren dauerhaft mehrere Beamte nach Nohra abgeordnet.
Das KZ Nohra diente wie alle anderen Schutzhaftstätten im Reich der Machtsicherung des noch jungen NS-Regimes. In dem Lager waren ausschließlich Kommunisten aus Thüringen inhaftiert (Gefangene aus den preußischen Gebieten kamen in das Lager Feldstraße in Erfurt), darunter fünf der zehn kommunistischen Landtagsabgeordneten. Hinzu kamen zahlreiche KPD-Stadträte sowie Funktionäre der KPD, darunter etliche Ortsvorsitzende. Auch einige Frauen waren anfangs in Nohra inhaftiert; ihre Aufenthaltsdauer war aber wohl nur kurz. Seine Höchstbelegung erreiche das Lager Mitte März 1933 mit rund 220 Männern. Bis Ende April 1933 sank die Zahl wegen vieler Entlassungen auf etwa 60 Häftlinge.
Das KZ Nohra unterschied sich von späteren Konzentrationslagern
Das Lager unterschied sich grundlegend von späteren Konzentrationslagern. Es gab keine unterschiedlichen Häftlingsgruppen und keine entsprechende Kennzeichnung (etwa wie später mit dem roten Winkel der politischen Häftlinge), die Häftlinge mussten keine Zwangsarbeit leisten, und Misshandlungen durch das Wachpersonal fanden noch nicht systematisch statt. Dennoch waren die Bedingungen schlecht, allein schon wegen der drangvollen Enge in den Sälen und der katastrophalen hygienischen Bedingungen. Bei mindestens einem Gefangenen hatte das tödliche Folgen: Fritz Koch, Funktionär des Roten Frontkämpferbundes aus Gotha, erkrankte an einer Zahnentzündung und starb Mitte März in einem Weimarer Krankenhaus.
KZ-Häftlinge dürfen bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 wählen
Als Polizeihäftlinge konnten die Insassen des KZ Nohra bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Alle Lagerinsassen stimmten für die KPD – mit der Folge, dass die KPD in Nohra ihren Stimmenzahl von zehn auf 172 steigern konnte. "172 Kommunisten! Unerhört! Der alte, gute Ruf Nohras dahin", berichtete die "Weimarische Zeitung" empört, gab sich dann aber erleichtert: "Indes die Aufklärung folgte bald. In der Heimschule hatte man 200 Kommunisten inhaftiert, denen der Wahlausschuss auch Gelegenheit zu wählen gegeben hatte. Die Wahlangelegenheit ist also hinreichend geklärt und Nohra erstrahlt wieder in einem reinen, alten vaterländischen Licht". [3]
Noch schneller als in anderen Regionen stabilisierten sich die Verhältnisse für die Nationalsozialisten in Thüringen. Am 10. Mai 1933 löste das Innenministerium mit der Überstellung der letzten 38 Häftlinge in die Schutzhaft-Abteilung des Strafgefängnisses Ichtershausen das KZ Nohra wieder auf – als eines der ersten Konzentrationslager im Reich. Einige der nach Ichtershausen überstellten Häftlinge kamen später in das im Oktober 1933 eingerichtete KZ Bad Sulza, darunter die beiden früheren Landtagsabgeordneten der KPD Richard Eyermann und Leander Kröber. Beide wurden währen des Zweiten Weltkrieges in das KZ Buchenwald bei Weimar verschleppt, welches das KZ Bad Sulza 1937 als zentrales Konzentrationslager für Thüringen und Mitteldeutschland abgelöst hatte. Mit Buchenwald und dem 1943 eingerichteten KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen wurde Thüringen im Krieg eine Schwerpunktregion des NS-Terrors. In den beiden Hauptlagern und ihren zahlreichen Außenlagern waren Anfang 1945 auf dem Gebiet des heutigen Freistaates Thüringen rund 90.000 Häftlinge gefangen und mussten Zwangsarbeit für die heimische Rüstungsindustrie leisten. Mehr als 75.000 Häftlinge überlebten die beiden Konzentrationslager nicht.
Das einstige KZ in Nohra heute
Nachdem im Oktober 1933 auch die Heimatschule geschlossen worden war, nutzte ab 1935 die Luftwaffe das Gelände in Nohra und baute zusätzliche Flugzeughallen und Kasernengebäude. Nach dem Krieg übernahm die Rote Armee die Kaserne und baute sie weiter aus. Um 1950 ließ sie das Gebäude, in dem sich 1933 das Konzentrationslager befunden hatte, abreißen. Erst 1988 ließ die SED-Kreisleitung Weimar in Nohra eine Gedenktafel anbringen, die an das frühe KZ in der Gemeinde erinnerte. Sie wurde 1990 auf Beschluss des Gemeinderates entfernt. Seither erinnert vor Ort nichts mehr an das wohl erste Konzentrationslager im nationalsozialistischen Deutschland, obwohl es nicht zuletzt durch die gründlichen Forschungen des Lokalhistorikers Udo Wohlfeld als gut dokumentiert gelten kann. Die vom Verein Flugplatz Nohra e.V. geplante Aufstellung einer Infotafel am Standort des früheren Konzentrationslagers wurde bislang noch nicht verwirklicht.
Autor
Professor Jens-Christian Wagner (* 1966 in Göttingen) leitet seit 2020 die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Quellen
[1] Vgl. Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Organisationsgeschichte und Funktion der "Inspektion der Konzentrationslager" 1943-1938, Boppard 1991; Nikolaus Wachsmann: KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, München 2016, S. 33-98.
[2] Vgl. auch im Folgenden Udo Wohlfeld: Das Konzentrationslager Nohra in Thüringen, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Terror ohne System. Die ersten Konzentrationslager im Nationalsozialismus, Berlin 2001, S. 105-121.
[3] Zit. nach ebd., S. 118.
Der Beitrag erschien 2022 zuerst im Buch:
Michael Grisko (Hg.): Moderne und Provinz. Weimarer Republik in Thüringen 1918–1933.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 29. Januar 2023 | 22:20 Uhr