Roger Dötenbier
Roger Dötenbier ist Trainerleiter und stellvertretender Leiter des Fahrsicherheitszentrums Nohra). Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Verkehr "Das ideale Unfallopfer": So vermeiden Motorradfahrer Unfälle

30. August 2024, 05:00 Uhr

Sechs tödliche Motorradunfälle in den vergangenen vier Wochen in Thüringen: Es ist eine traurige Zwischenbilanz. Roger Dötenbier ist beim ADAC-Fahrsicherheitszentrum in Thüringen Trainerleiter und selbst begeisterter Motorradfahrer. Seit 47 Jahren fährt er Motorrad - manachmal mit seinen Töchtern. Wir wollten von ihm wissen, welche Regeln er selbst befolgt und welche Tipps er Bikern geben würde.

Isabelle Fleck
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Als wir uns verabredet haben, sagten Sie zwei Sachen. Erstens: Sie würden kein Blatt vor den Mund nehmen. Und zweitens, ich sei als Rollerfahrerin mit dem B196-Führerschein das "ideale Unfallopfer". Das hat bei mir lange nachgewirkt.

Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr damit getroffen, sondern nur zum Nachdenken motiviert. Bei der Erweiterung des Autoführerscheins auf 125-Kubik-Motorräder hat man nur zehn Fahrstunden auf dem Zweirad.

Ist das also besonders gefährlich?

Man sagt immer, Motorradfahren sei gefährlich. Natürlich hat das Gefährdungspotenzial. Wenn ich mit einem Zweirad unterwegs bin, ist die Gefahr größer, als wenn ich mit dem Auto gut verpackt und angeschnallt mit Airbags unterwegs bin. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, das ist so. Aber per se macht natürlich das Motorrad niemanden kaputt, sondern das ist immer der Mensch, der da draufsitzt, der dieses Fahrzeug möglicherweise nicht zweckbestimmt fährt. Aber wenn Sie da in "Ihrer" Geschwindigkeit fahren, nur in der Stadt, Handschuhe tragen - dann würde ich sagen, dann ist es auch okay, dann sind Sie auf der sicheren Seite.

Das beruhigt mich etwas. Es soll aber ums Motorradfahren gehen und die vielen Unfälle jetzt im Sommer in Thüringen.

Man darf das Motorradfahren nicht per se verteufeln. Es gibt diese Freude beim Fahren. Aber wenn uns die Emotionen überkommen, kann es schwierig werden.

Ich erkläre das: Ein Motorrad ist ein kleines Fahrzeug mit mitunter großer Fahrleistung, wie ein Sportwagen. Überkommen uns die Emotionen, fehlt uns die Perfektion, die wir bräuchten, um das Fahrzeug zu beherrschen. Zum Beispiel, wenn man schnell fährt. Im Real-Verkehr (also nicht auf der Rennstrecke, sondern der Straße), wo so viele andere Faktoren dazu kommen, die wir nicht alle berücksichtigen oder beinflussen können, da beherrschen wir ab einer gewissen Geschwindigkeit nicht mehr alles.

In Thüringen gab es in den vergangenen vier Wochen sechs tödliche Motorradunfälle. Dazu kommen weitere mit schwer verletzten Bikern. Ich habe mal nachgesehen, was als Grund angegeben wurde: Es hieß zum Beispiel mit dem Hinterrad aufs Bankett gekommen, in der Kurve die Kontrolle verloren, gegen einen Streukasten gefahren, mit einem Auto im Gegenverkehr kollidiert, beim Überholen kollidiert. Sind das eher ungewöhnliche oder doch häufige Gründe für Unfälle?

Was Sie aufzählen, das sind nicht die typischen Raser-Unfälle. Das sind Unfälle, wo ein Fahrfehler passiert ist. Ein Fahrfehler passiert aus den unterschiedlichsten Anfängen. Man kann es sich vorstellen, wie beim Erschrecken aus Kindertagen - ein "Buh". Zum Beispiel, weil da Schotter auf der Straße ist, eine Öl-Spur, mir jemand entgegenkommt.

Kurz danach kommen Angst und Panik. Dann verkrampfen Arme und Schulterpartie. Alles wird fest, wie geschweißt und unbeweglich. Und wenn das so ist, können Sie das Motorrad nicht weiter in die eine oder andere Richtung bewegen. Dann kriegen Sie noch mehr Panik, weil das Motorrad nicht mehr macht, was es soll. Aber wie auch, wenn ich es festhalte. Und dann passiert eine schlechte Sache nach der nächsten und das in Millisekunden. Und Sie kriegen nur noch nur Angst, Panik, Angst, Panik, Angst, Panik. Wenn Sie nicht genügend Zeit haben, alles zu lösen und im Realitätsmodus aufzutauchen, dann haben Sie verloren.

Wenn Sie nicht genügend Zeit haben im Realitätsmodus aufzutauchen, dann haben Sie verloren.

Roger Dötenbier, ADAC Fahrsicherheitszentrum Thüringen

Dann zieht sich plötzlich eine Kurve zu, und sie zieht sich noch mehr zu, dann mache ich Fehler: Wenn ich mich beim Überholen verschätzt habe und bin dann viel zu schnell geworden und kann anschließend nicht richtig die Kurve fahren. Oder ich habe einfach nicht auf dem Schirm gehabt, dass meine Silhouette als Motorrad so klein ist, dass mich der Gegenverkehr gar nicht sehen konnte, weil ich vielleicht auch bei schwierigen Lichtverhältnissen unterwegs war, die Sonne im Rücken. Manchmal sind auch die anderen Verkehrsteilnehmer "Schuld". All das muss ich als Motorradfahrer auf dem Schirm haben. Ich muss einfach vorsichtiger sein, sonst wird das einfach risikoreich.

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MDR THÜRINGEN - Das Radio Di 27.08.2024 10:33Uhr 01:26 min

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Wie hilft ein Fahrsicherheitstraining dabei und an wen richten sich zum Beispiel die Motorradtrainings?

Bei den ADAC-Fahrsicherheitstrainings wollen wir den Motorradfahrern Handwerkszeug mitgeben -  von der Fahrtechnik her, aber auch von der Gefahrenlehre. In einer Gruppe lernt es sich am besten. Weiter üben kann man dann auch alleine, bei moderater Geschwindigkeit, vielleicht sogar auf einer Strecke, die man gut kennt. Da kann man ganz bewusst die hier geübte Lenk-Schiebe-Technik ausprobieren. Oder sich auch mal reflektieren - was ist da für ein Fehler passiert unterwegs? Was müsste ich mal üben?

Das muss keiner mitkriegen, das mache ich ja für mich selbst. Aber hier beim Training lerne ich zum Beispiel Kniffe, die ich "draußen" gebrauchen kann, wenn Angst und Panik kommen. Damit ich "nicht zumache", sondern mich erinnere, wie muss ich es jetzt machen oder kriege ich hier Tempo raus? Wo sollte ich jetzt hingucken?

Das lernt man so nicht in der Fahrschule?

Ich habe selbst als Fahrlehrer gearbeitet. Und ich will eine Lanze brechen für die Kollegen in der Fahrschule: Deren Aufgabe ist es, dass die Fahrschüler einen Führerschein kriegen. Dafür müssen sie Regeln kennenlernen und das Motorrad auch "er-fahren". Aber moderat.

Danach müssen sich die Motorradfahrer der Realität stellen. Und manches kann man hier besser üben, wenn man weiß: Die Strecke ist frei, es kommt mir keiner entgegen, es ist kein Gullydeckel im Weg. Also ich würde sagen, man sollte nicht mehr grün hinter den Ohren sein, wenn man herkommt - aber doch so früh wie möglich, damit man sich erst gar nicht schlechte Sachen angewöhnt und die verinnerlicht, das wäre ungünstig.

Was für Menschen kommen zu den Trainings? Wir haben es mal unserem Papa geschenkt - obwohl der schon ewig und auch sehr gut Motorrad fährt.

Wir haben ein ganz bunt gemischtes Publikum von Männern und Frauen, von Jung und Alt. Wobei die größte Teilnehmergruppe irgendwo zwischen 40 und 60 Jahre alt ist. Viele haben das Motorrad lange stehen lassen oder sich jetzt ein Motorrad gekauft, vielleicht sogar ein großes, schönes - wo die Menschen zu Hause wachsam sagen, das ist toll mit deinem Motorrad, aber gehe doch bitte zum Training, denn wir wollen, dass du heil wieder nach Hause kommst. Und diese Menschen kommen oft mehrmals wieder. Wir haben sogar Communities, die sich hier zusammentun.

Viele sind vermutlich Saisonfahrer - also fahren von März/April bis September/Oktober. Machen die das als Saisonvorbereitung?

Die Trainings laufen die gesamte Saison über. Vorm Ski-Urlaub macht man ja zum Beispiel auch Ski-Gymnastik. Das ist beim Motorrad schon auch sinnvoll. Wenn wir ein halbes Jahr lang kein Motorrad gefahren sind im Winter, dann ist es ja nicht so, dass wir im Frühjahr, wenn wir wieder anfangen, das Motorradfahren verlernt hätten. Sondern wir setzen uns drauf und dann kommen die Glücksgefühle und die machen was mit uns. Und dann lassen wir uns manchmal steuern von diesem Glücksgefühl. Und das ist manchmal größer als die Vernunft. Und da geht es vielleicht auch nur um ein Quäntchen. Und das sorgt dafür, dass wir uns auf die Nase legen. Und das Drama ist dann groß. Diese Fähigkeiten, die wir uns angeeignet haben über die Saison hinweg, die stumpfen im Winter ab. Die müssen wir erst wieder erwecken.

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Ich möchte noch mit Ihnen über Schutzbekleidung sprechen. Gerade ist es ja schön heiß in Thüringen. Bis zu 35 Grad - und dann eine Lederkombi …

Ich kann es verstehen, wenn man das aktuell nicht anziehen will. Natürlich ist die komplette Schutzbekleidung das beste. Alles, was Sie davon reduzieren, sind Abstriche. Minimum: natürlich Schuhe, Handschuhe, Helm. Aber jegliches Teil, womit Sie auf dem Boden aufkommen, sieht anschließend nicht gut aus.

Speziell der Helm sollte nicht zu alt werden. Wichtig ist auch, den Helm nie in die Sonne zu legen, und ihn vor Frost zu schützen. Wenn ein Helm mal runtergefallen ist, kann es schon bedeuten, dass er "durch" ist. Also auf offensichtliche Verletzungen am Helm achten, Dellen und so weiter. Und nicht bei so Billig-Shops bestellen, wie es viele bei anderen Sachen machen.

Minimum: Schuhe, Handschuhe, Helm. Alles womit Sie auf dem Boden aufkommen, sieht nicht gut aus.

Roger Dötenbier, ADAC Fahrsicherheitszentrum Thüringen

Sie brauchen für die Motorradkleidung eine sogenannte ECE-Kennzeichnung. Das sind so kleine Schildchen, da steht irgendetwas mit ECE und dann eine Nummer dahinter. Das wird inzwischen auch von der Polizei kontrolliert. Dann sind die Produkte regelkonform. Das heißt jetzt nicht, dass Sie alles auf links drehen und wegschmeißen müssen, was das nicht hat. Aber wenn ich mir heute etwas Neues kaufe, muss ein ECE-Prüfschildchen drin sein. Das ist beim Helm wichtig und Handschuhe sind auch nicht nur Lappen, die man über die Hände zieht - sie haben eine Schutzfunktion!

Eine Motorradjeans ist in der Regel okay, aber häufig nur dann als Schutzbekleidung geeignet, wenn Sie auch die nötigen Protektoren da reinstecken, die muss man aber manchmal separat kaufen - und je enger eine Kleidung sitzt, desto besser ist es, weil dann die Protektoren im Falle eines Falles nicht verrutschen können. Ist Ihr Knieprotektor hinten in der Kniekehle, hilft er wenig.

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Haben Sie denn für sich selber so ein paar "goldene Regeln"?

Ich fahre bewusst, ich fahre flott. Ich gehe auch mit meinen Töchtern ein, zweimal im Jahr auf die Rennstrecke. Die sollen dort sich austoben, damit sie das eben Realverkehr nicht machen müssen. Sie müssen sich nichts beweisen. Sie müssen anderen nichts beweisen. Und sie sind weit davon entfernt, sich mit anderen zu messen. Im Realverkehr. Das ist das Wichtigste. Außerdem weiß ich: Es gibt Leute, die fahren besser. Es gibt Leute, die fahren schneller. Mit den Leuten bin ich auf der Rennstrecke unterwegs. Sie lasse ich gern vorbei und freue mich daran, wenn wir gemeinsam abends viel Spaß haben.

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Ich war immer eine Beifahrerin mit Angst ab einer bestimmten Geschwindigkeit. Haben Sie vielleicht noch Tipps für die Beifahrer?

Mitfahren hat immer mit Vertrauen zu tun. Ich gebe mein Handeln, Tun, meine Möglichkeiten ab. Kinder haben in der Regel keine Angst. Die vertrauen demjenigen völlig, bei dem sie mitfahren. Und wenn der Beifahrer das nicht tut, wird er vielleicht schon wissen, warum. Wenn nämlich der Fahrer da vorne das völlig anders macht als ich es machen würde, dann werden Sie immer Angst haben.

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 29. August 2024 | 19:05 Uhr

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