Migration "Betreibe keine Hotellerie": Wie Thüringer Kommunen mit der Unterbringung von Flüchtlingen kämpfen
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21. Oktober 2023, 18:25 Uhr
Seit Monat klagen die Thüringer Kommunen über große Probleme, weitere Flüchtlinge unterzubringen. Wie das Eichsfeld und Jena versuchen, die Situationen zu meistern - und wo es die größten Sorgen gibt.
Eichsfeld setzt auf dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge
"Ich betreibe hier keine Hotellerie!" Mit dieser provokanten Aussage möchte der Eichsfelder Landrat Werner Henning (CDU) wohl ausdrücken, dass der Bestand an Wohnungen für Geflüchtete derzeit aufgebraucht sei. "Wir setzen niemanden auf die Straße", sagt er weiter. Aber "wir sind überfordert, indem wir immer neue Flüchtlinge dazubekommen", ohne dass der Landkreis Bürgergeld-Empfänger wieder aus der Betreuung entlassen kann.
Flüchtlinge in großen Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen, war im Eichsfeld immer die zweite Wahl. Stattdessen bevorzugt der Landkreis die dezentrale Unterbringung - also verteilt in Wohnungen über den Landkreis. Damit will der Kreis sowohl Probleme zwischen Geflüchteten verschiedener Nationalitäten und Religionen als auch mit den Anwohnern vermeiden.
300 Wohnungen hatte der Landkreis Eichsfeld dafür angemietet. Doch damit war es nicht getan. Viele der Wohnungen mussten zunächst hergerichtet und "zweckmäßig" eingerichtet werden.
Drei Gemeinschaftsunterkünfte unterhält der Nordthüringer Landkreis daneben noch, doch die Belegungszahlen dort seien im Vergleich zu ein paar Monaten zuvor deutlich gesunken.
Jede zweite neuvermietete Wohnung für Geflüchtete
Größter Wohnungsvermieter ist die Kowo in Heilbad Heiligenstadt. 2.000 Wohnungen hat sie insgesamt im Bestand. Jedes Jahr werden zehn Prozent davon, also 200 Wohnungen, neu vermietet. Dabei steigt der Anteil der Wohnungen, in die Geflüchtete einziehen. Dieses Jahr sind es bereits mehr als 100 Wohnungen - also 50 Prozent der Neuvermietungen.
Über die eigene Tochtergesellschaft konnte das Wohnungsunternehmen hier zügig die leer stehenden Wohnungen herrichten. Die dafür zugesagten Fördermittel des Bundes wurden laut Landrat Henning auch relativ zügig und unbürokratisch bereitgestellt, sodass schnell Wohnraum angeboten werden konnte. Derzeit sei der Kreis stark damit beschäftigt, die Nachweise für die erfolgten Maßnahmen mit der Thüringer Aufbaubank abzurechnen.
Großer Teil der Wohnungen mit Ukrainern belegt
In einem großen Teil der Wohnungen leben Ukrainer. Zum Beispiel Valentina, die aus Kiew kommt. Zusammen mit ihren vier Kindern lebt die Zahnärztin nun in Heiligenstadt. Derzeit wartet sie darauf, dass ihre Abschlüsse anerkannt werden und absolviert einen Sprachkurs. Sie erzählt, wie unglaublich dankbar sie sei, dass die Kinder sich jetzt jeweils zu zweit ein Zimmer teilen könnten. Dadurch gebe es viel weniger Stress unter ihnen und alle könnten etwas zur Ruhe kommen. Jetzt nicht arbeiten zu können, ist für sie mehr als schwierig. Denn zu Hause in Kiew war sie selbstständig. Deshalb wartet sie ungeduldig darauf, dass ihre Anerkennung im Briefkasten steckt.
Eichsfelder Landrat kritisiert, dass zu wenige Flüchtlinge arbeiten
Laut Landrat Werner Henning ist aber der Anteil der Geflüchteten, die im Landkreis einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, viel zu gering. Die Beschäftigungszahlen der Bundesregierung nennt er Augenwischerei, denn darin wären auch alle möglichen Arten von Integrationszeiten wie Sprachkurse inbegriffen. Letztlich ginge es aber darum, dass jeder für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkomme.
Jena: Gemeinschaftsunterkünfte weitgehend belegt
Ortswechsel: Die Stadt Jena betreibt mehrere Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete. Sie sind über die ganze Stadt verteilt und sie sind belegt. Würde morgen ein Bus kommen, könnte man die Menschen nicht mehr unterbringen, sagt Eberhard Hertzsch, Sozialdezernent in Jena. Vergangene Woche habe die Stadt noch 35 untergebracht, jetzt könne man nicht mehr helfen: Die Gemeinschaftsunterkünfte seien voll.
Dort leben auch anerkannte Flüchtlinge, die eigentlich in eine Wohnung ziehen könnten. Doch das sei schwierig, der Wohnungsleerstand in Jena liegt bei unter einem Prozent, heißt es aus der Stadtverwaltung. Teilweise blieben die Menschen auch in der Gemeinschaftsunterkunft, weil sie unter Landsleuten sind und die Umgebung schätzen. Das führe dazu, dass Plätze für Neuankömmlinge fehlen, sagt Hertzsch. Turnhallen wolle die Stadt nicht mehr nutzen, um geflüchtete Menschen unterzubringen.
Probleme beim Wach- und Cateringpersonal
Zudem falle es sowohl der Stadt als auch den Wohlfahrtsverbänden immer schwerer, Personal zu gewinnen. Die Kapazitäten von Bewachungsunternehmen und Caterern seien weitestgehend ausgeschöpft, "so dass wir Menschen in Größenordnungen kaum noch verpflegen, betreuen und unterbringen können", berichtet Hertzsch.
Menschen in Größenordnungen können wir kaum noch verpflegen, betreuen und unterbringen.
Die offizielle Verteilung der Flüchtlinge funktioniert laut Hertzsch weiter. Aber es sei deutlich erkennbar, dass die Menschen gern in einer Stadt leben wollen. Das gelte nicht nur für Jena, sondern für alle Thüringer Städte - vor allem, wenn sie an der A4 liegen.
Krebskranke Flüchtlinge werden weiter aufgenommen
Jenas Sozialdezernent weist schließlich auf eine Besonderheit in der Stadt hin. Diese nimmt schon länger krebskranke Flüchtlinge auf, die im Universitätsklinikum behandelt werden. Nachsorge und Betreuung - auch die der Familien - werden von der Stadt organisiert. Wer diese Behandlung und Betreuung braucht, werde auch weiterhin aufgenommen.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 20. Oktober 2023 | 19:00 Uhr