Proteste und Demonstrationen Warum die Angst vor Flüchtlingen in Schleusingen? Was die Organisatoren der Demonstrationen umtreibt
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11. Mai 2023, 22:45 Uhr
Seit mehreren Wochen wird in Schleusingen gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft protestiert. Doch was treibt die Menschen auf die Straße? MDR THÜRINGEN hat mit der "Freien Initiative Schleusingen" gesprochen - über ihre Motivation, ihre Ängste und auch über das Verhältnis zu rechtsextremen Teilnehmern auf den Demonstrationen.
- Demonstranten fürchten Konflikte und Probleme wie in Suhler Erstaufnahmeeinrichtung
- ein Protest-Organisator würde gern auf Teilnahme von Neonazi Frenck verzichten
- Verfassungsschutz sieht Instrumentalisierung des Protests durch Rechtsextremisten
- Eklat bei vergangenem Protest - ein Organisator will nicht erneut Demo anmelden
- Wie auf Demos eine Abgrenzung zu Rechts möglich ist
- Schleusinger Kirchgemeinde plant Bürgerdialog am Montag
Anke Waitz und René Stubenrauch sind die Gesichter der "Initiative Freies Schleusingen“. Die beiden leben schon recht lange in der Südthüringer Kleinstadt, sind politisch aber noch nie groß in Erscheinung getreten. Das änderte sich, als im Frühjahr bekannt wurde, dass aus dem ehemaligen Krankenhaus eine Flüchtlingsunterkunft werden soll.
"Da muss man was machen"
"Ich habe mich da im Freundeskreis unterhalten und alle haben gesagt, da muss man doch was machen", erinnert sich Stubenrauch. "Und ich habe dann eben was gemacht." Stubenrauch startete eine Online-Petition, die innerhalb kurzer Zeit mehrere Tausend Menschen unterschrieben. Inzwischen ist die Petition von der Plattform genommen worden. Laut Stubenrauch nur, weil er in einem Kommentar die Frage aufgeworfen hat: "Ist der Landrat ein Diktator?" Das habe schon gereicht, um die Petition von der Seite zu werfen.
Zustände in der Suhler Erstaufnahme machen Angst
Anke Waitz ist Physiotherapeutin und hat über 20 Jahre in dem Krankenhaus gearbeitet. "Ich hänge sehr an dem Haus und war auch damals vor zehn Jahren traurig, als es plötzlich kein Krankenhaus mehr war." Der Hauptgrund, warum sie gegen die Flüchtlingsunterkunft ist, liegt etwa zehn Kilometer entfernt auf dem Suhler Friedberg. "Dort steht die Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge. Seit Monaten ist sie überbelegt und fast jeden Tag gibt es dort Einsätze von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst", so Waitz. "Das spricht sich natürlich rum und ist echt sehr präsent bei uns."
Vor allem die zentrale Lage des Krankenhauses macht Waitz Sorgen: "Hier führt der Schulweg lang und die Eltern haben Angst, dass sie ihre Kinder nie selbstständig bekommen, weil sie immer mitlaufen müssen". Auch für Stubenrauch ist die Lage direkt am Schulweg ein großes Problem und auch er fürchtet Zustände wie in Suhl.
Erstaufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft?
Die Unterkunft in Schleusingen kann man jedoch allein schon wegen der Größe nicht mit der Erstaufnahme in Suhl vergleichen. In Suhl kommen alle Flüchtlinge an, die nach Thüringen kommen. Dort werden sie registriert und dann in die Landkreise verteilt. Im Landkreis Hildburghausen gibt es bereits mehrere Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge. Und zwar drei in Hildburghausen, zwei weitere in dem kleinen Dorf Schnett, je eine in Streufdorf, Einsiedel und Römhild.
Wir haben wirklich nichts gegen Flüchtlinge. Aber in so einer Sammelunterkunft kann Integration nicht funktionieren.
Bisher hat es nach Angaben eines Sprechers im Landratsamt noch keinen einzigen gravierenden Vorfall gegeben. Und das obwohl die anderen Unterkünfte, bis auf die ehemalige Jugendherberge in Schnett, alle direkt in den Dörfern beziehungsweise der Stadt liegen. Waitz und Stubenrauch bleiben dennoch bei ihrer Meinung, dass eine Gemeinschaftsunterkunft in Schleusingen an dieser zentralen Lage nicht geht. Wenn Flüchtlinge aufgenommen werden, dann nur in kleineren Unterkünften. "Wir haben wirklich nichts gegen Flüchtlinge", so Stubenrauch. "Aber in so einer Sammelunterkunft kann Integration nicht funktionieren."
Protest-Organisator bevorzugt Demonstration ohne Neonazi Frenck
Am liebsten gar keine Flüchtlinge in der Stadt wollen die Gefolgsleute des aus Schleusingen stammenden Rechtsradikalen Tommy Frenck. Die erste Demonstration mit über 600 Teilnehmern am 12. April hatte er angemeldet. Erst die zweite Kundgebung drei Wochen später ist dann von der "Initiative Freies Schleusingen" organisiert worden. Offiziell wollen Waitz und Stubenrauch keine Verbindungen in die rechte Szene haben. Nach MDR THÜRINGEN Informationen ist aber zumindest ein Gesinnungsgenosse aus dem strammen rechten Lager bei den Vorbereitungen der Demonstrationen involviert.
Mir wäre es lieber, Tommy Frenck würde bei uns nicht mitmarschieren.
"Mir wäre es lieber, Tommy Frenck würde bei uns nicht mitmarschieren", sagt René Stubenrauch. Denn dann würden sich die Medien nicht nur darauf, sondern auf das eigentliche Problem stürzen. Anke Waitz ergänzt, dass niemand in Schleusingen einem Nazi hinterherlaufe. "Die Menschen kommen, weil sie statt Flüchtlingen lieber Arztpraxen und eine Physiotherapie im ehemaligen Krankenhaus haben wollen", so Waitz. Kürzlich hatte die Stadt Pläne abgebrochen, das Ex-Krankenhaus zu kaufen und dort etwa Arztpraxen oder eine Bibliothek einzurichten.
Die Menschen kommen, weil sie statt Flüchtlingen lieber Arztpraxen und eine Physiotherapie im ehemaligen Krankenhaus haben wollen.
Verfassungsschutz: Rechtsextremisten instrumentalisieren Protest
Dem Thüringer Verfassungsschutz liegen derzeit zur "Initiative Freies Schleusingen" bislang keine Hinweise auf eine rechtsextremistische Ausrichtung oder eine dahingehende maßgebliche Beeinflussung vor. Wie eine Sprecherin sagte, wiesen die Veranstaltungen am 26. April sowie am 10. Mai hinsichtlich der Veranstalter keinen Bezug zum Rechtsextremismus auf, einige Teilnehmer hingegen schon. Insbesondere regionale extremistische Gruppen versuchten, den breiteren Protest gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft für eigene verfassungsfeindliche Anliegen zu instrumentalisieren.
Dazu zähle auch, dass sie vorgeben, einen "gemeinsamen" Protest zu orchestrieren, bei dem ihre ausländer- und migrationsfeindlichen Positionen von der Mehrheitsgesellschaft geteilt würden. Bundesweit versuchten Rechtsextremisten gegenwärtig wieder verstärkt, mit dem Thema Zuwanderung über ihre eigenen Kreise hinaus Zuspruch für extremistische Positionen zu erlangen und krisenhafte Zustände zu befeuern. Ein Beispiel dafür sei die von Tommy Frenck angemeldete Demonstration am 12. April.
Rangelei mit Holocaust-Leugner: Eklat bei Demonstration
Die im Landkreis Hildburghausen gut organisierte rechte Szene weiß auf jeden Fall, wie sie die Ängste der Menschen für sich nutzt. Ob die "Initiative Freies Schleusingen" das nun will oder nicht. Mehr als deutlich geworden ist das bei der jüngsten Demonstration am 10. Mai. Als die Kundgebung fast schon vorbei war, kam es zum Eklat. Der rechtsextreme Holocaust-Leugner Axel Schlimper verherrlichte am "Freien Mikrofon" den Rechtsextremismus.
Am Ende bin ich dann dafür verantwortlich, wenn so ein Spinner irgendwelchen Mist von sich gibt.
Nach Vorfall möchte Stubenrauch keine neue Demo mehr anmelden
Dem Versammlungsleiter René Stubenrauch ist das Entsetzen auch noch einen Tag später anzusehen. "Ich konnte das einfach nicht mehr zulassen", erzählt er. Doch als Stubenrauch dem Neonazi das Mikrofon wegnehmen will, wehrt er sich. Es kommt zur Rangelei. Ein weiterer Mann, ebenfalls aus der rechten Szene, mischt sich ein. Nur wenig später hat die Polizei die Lage wieder beruhigt. Axel Schlimper muss sich demnächst wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sowie wegen Widerstands gegen Polzisten verantworten.
Stubenrauch möchte das Ganze jetzt erst einmal sacken lassen. Er wolle aber auf gar keinen Fall wieder eine Demonstration anmelden. "Am Ende bin ich dann dafür verantwortlich, wenn so ein Spinner irgendwelchen Mist von sich gibt."
Abgrenzung nach Rechts möglich?
"Man kann sich sehr wohl gegen rechtsradikale Gesinnung abgrenzen und viel dafür tun, dass sich Rechtsradikale auf den Demonstrationen unwohl fühlen", sagt Dr. Axel Salheiser vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Man könne zum Beispiel auf den Demonstrationen klar aufzeigen, dass man sie nicht dabei haben möchte. Außerdem könne man zum Beispiel die Solidarität mit Geflüchteten deutlich und ganz klar formulieren und einfordern. Wenn jedoch Worte wie"Asylantenschweine" skandiert würden, und man die Demonstration nicht sofort verlasse, dann mache man sich mit rassistischer und rechtsradikaler Gesinnung gemein.
Bürgerdialog am Montag geplant
Am kommenden Montag lädt die Schleusinger Kirchgemeinde zu einem Bürgerdialog ein. Das ist das erste offizielle Gesprächsangebot für die Menschen in der Stadt. Große Erwartungen haben Waitz und Stubenrauch nicht. "Man wird uns sagen, dass der Landkreis keine andere Wahl hat und wir die Flüchtlinge aufnehmen müssen", so Stubenrauch. Aber vielleicht ist das ein besserer Rahmen als eine Demonstration. Vielleicht ist es möglich, dass die Schleusinger dort offen über ihre Ängste reden und ihre Argumente anbringen können, warum sie eine Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Schleusinger Krankenhaus nicht wollen.
MDR (bee/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 11. Mai 2023 | 15:30 Uhr
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