Drogensucht Jahrelang Crystal Meth abhängig: Wie eine Ex-Junkie den Absprung schaffte
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19. Oktober 2024, 07:00 Uhr
Alkohol, Aufputschmittel, exzessive Mediennutzung und Cannabis: Der jüngste Drogen- und Suchtbericht des sächsischen Sozialministeriums zeigt, welche legalen und illegalen Drogen besonders häufig konsumiert werden. Doch wie gerät man in die Abhängigkeit? Nicole berichtet über ihren Weg in die Drogensucht und wie sie den Absprung geschafft hat.
Nicole* war 18 Jahre alt, als sie das erste Mal harte Drogen genommen hat. "Es war Crystal Meth und ich wurde direkt beim ersten Mal abhängig", erzählt sie. Die Gründe dafür waren vielfältig: eine Schwangerschaft mit 15 Jahren, Schwierigkeiten in der Ausbildung, eine Familie, die ebenfalls durch Sucht geprägt war.
Ihre Tochter hat sie zu diesem Zeitpunkt schon in die Familie abgegeben. "Und dann bin ich einfach an die falschen Freunde geraten", so Nicole. "Und eines Abends lagen die Drogen auf dem Tisch, alle haben welche genommen und ich habe mich von der Gruppendynamik anstecken lassen."
"Crystal führt zu ständigem Wachsein"
Schnell gerät sie immer tiefer in die Abhängigkeit. "Ich wollte schnell immer mehr haben", sagt Nicole. "Auch wenn ich das unterbewusst noch gar nicht geschnallt hatte." Es sei sofort rapide bergab gegangen. Körperlich äußert sich das vor allem in einem ständigen Wachsein. "Am Anfang habe ich kaum geschlafen", erzählt die heute 30-Jährige. Mehrere Tage am Stück ohne Schlaf seien der neue Normalzustand gewesen.
Einen richtigen Kick habe die Droge ihr aber nicht gegeben. "Eine direkte Bewusstseinsveränderung gibt es bei Crystal nicht", sagt Nicole. "Man bleibt aber einfach ständig stundenlang an einer Sache kleben."
Dealen zur Finanzierung des Drogenkonsums
Eine Ausbildung, die sie angefangen hatte, bricht sie schnell wieder ab. "Der Freundeskreis wurde immer schlimmer und dann wurde es kriminell irgendwann." Um das Crystal auch ohne Job und geregeltes Einkommen bezahlen zu können, geht Nicole unter die Dealer.
"Große Drogenbosse habe ich nicht kennengelernt", sagt sie. "Aber man kam in Tschechien sehr leicht an Crystal ran und ich habe es dann unter Freunden und Bekannten weiterverkauft." Durchs Dealen sei sie immer in der Mitte der Gesellschaft gewesen. "Man ist quasi von jedem der beste Kumpel", so Nicole.
Sie sei dann schnell polizeibekannt gewesen. Einmal sei sie an der Grenze nach Tschechien von der Polizei geschnappt worden. "Zum Glück hatte ich noch nichts weiter dabei, aber es ist trotzdem gelistet." Auch vor ihrer eigenen Haustür sei sie einmal durchsucht worden. Abgepackte Drogenpäckchen, die sie dabei hatte, führten dann sogar zu einer Hausdurchsuchung.
Angst vor Gefängnis bringt die Wende
Ihr Umwelt habe ihre Drogensucht einfach hingenommen. "Meine große Schwester war eigentlich die Einzige, die gesagt hat, dass ich einen Stopp reinhauen soll", so Nicole. Ihre alten Freunde vor der Drogenzeit habe sie alle vergrault. Wirkliche Unterstützung habe sie nicht gehabt. Daher meldet sie sich relativ früh in ihrer Suchtgeschichte bei einer Beratungsstelle an. "Ich habe mich da gut aufgehoben gefühlt", sagt sie. Ihr sei bewusst gewesen, dass man lange auf Therapieplätze warten muss. "Ich habe gehofft, dass dann, wenn der Wille da ist, alles schneller geht."
Aber der wirkliche Wille clean zu werden, stellt sich erst nach Jahren bei ihr ein. Schließlich war es die Angst, im Gefängnis zu landen, die einen Entzug auslöst. "Ich war schon zweimal zu Bewährung beziehungsweise Sozialstunden verurteilt worden", erzählt sie. "Beim nächsten Mal wäre ich bestimmt im Gefängnis gelandet."
Der lange Weg aus der Sucht
Der Weg aus der Sucht war lang. Bei 1,70 Meter Körpergröße wog Nicole nach drei bis vier Jahren Abhängigkeit nur noch 40 oder 45 Kilogramm. Suchtberatung, Hausarzt, Entgiftung, Therapie. Schnell ging das alles nicht. "Kopf und Körper waren abhängig", so Nicole. "Sobald irgendwelche Probleme da waren, kam immer wieder dieser Gedanke an die Drogen." Geholfen haben ihr Achtsamkeits-Übungen, die sie während der Therapie gelernt hat.
Von der Polizeiprävention an Schulen hält Nicole nicht sehr viel. "Wir hatten das auch, aber durch jugendlichen Leichtsinn, hat man das nicht aufgegriffen", sagt sie. "Das war immer zu Zeiten, wo man als Kind sowieso gegen alles und jeden war." Sie habe nie gedacht, dass man direkt beim ersten Mal abhängig wird. "Und dann kann man es auch probieren", sagt sie. "Da findet man in dem Moment nichts Schlimmes dran."
Schule sollte besser auf das Leben vorbereiten
Sinnvoller fände sie Vorträge von Menschen, die selbst in der Drogenszene waren. Ob ihr das geholfen hätte, weiß sie aber nicht. "Man entscheidet sich ja trotzdem unbewusst für die Droge", so Nicole. "Am meisten hätte vielleicht geholfen, bereits in der Schule auf das Leben danach vorbereitet zu werden. Zu lernen, wie man glücklich wird im Leben."
"Eltern müssen den Konsum erschweren"
Suchttherapeutin Antje Winkler vom Blauen Kreuz hat jeden Tag mit Drogenabhängigen, darunter auch vielen Jugendlichen, zu tun. Ihrer Erfahrung nach ist eine Suchtgeschichte immer individuell, aber es gibt Faktoren, die eine Sucht begünstigen. "Es ist ein bio-psycho-soziales Modell, nach dem wir arbeiten", so Winkler.
Dabei gehe es um genetische Veranlagung, psychische Faktoren und das soziale Umfeld. "Bei einer Suchtvorgeschichte innerhalb der Familie ist es wahrscheinlicher, selbst auch eine Sucht zu entwickeln." Die eigene Persönlichkeitsstruktur und der Freundeskreis spielen aber eine ebenso große Rolle.
Eines der Suchtkriterien sei der Kontrollverlust über die Menge. "Wenn ich einmal anfange, haben meine Synapsen das so gelernt 'Jetzt kommt hier was', dass ich immer mehr brauche", erklärt Winkler. Gerade bei jüngeren Menschen trete diese Gewöhnung relativ schnell ein. Deswegen empfiehlt sie Eltern, die den Verdacht haben, dass ihr Kind Drogen nimmt, den Konsum zu erschweren. "Ich kann es nicht in Gänze kontrollieren als Eltern, aber ich muss es erschweren", sagt Winkler. Dabei solle versucht werden, trotzdem mit den Jugendlichen im Gespräch zu bleiben.
Funktionen, die Süchtige Drogen zuweisen
Sobald Drogen eine Funktion zugeschrieben wird, zeichnet sich ein Suchtverhalten beziehungsweise eine Abhängigkeit ab. Solche Funktionen können unter anderem sein:
- Die Droge wird gebraucht, um in der Clique anerkannt zu werden.
- Sie wird gebraucht, um schlafen zu können.
- Sie wird gebraucht, um sich emotional runterzufahren.
- Die Droge wird benötigt, um Dinge bunter oder schöner zu sehen.
- Sie wird benötig, um Stress oder Ärger zu unterdrücken.
Die Angst bleibt
Nicole merkt heute kaum noch was von ihrer Vergangenheit. "Es wird immer weniger", sagt sie. Schwierigkeiten gab es beispielsweise, als sie den Führerschein machen wollte. "Ich war als Konsumentin gelistet und musste daher vor dem Führerschein eine MPU machen."
Auch die Angst vor der Polizei sei ein Überbleibsel. "Es geht immer weiter weg, weil man weiß natürlich, dass man clean ist und keine Drogen dabei hat", sagt sie. Inzwischen hat Nicole eine abgeschlossene Ausbildung und eine feste Anstellung. Den Kontakt zu ihrem alten Freundeskreis hat sie nach der Therapie komplett abgebrochen, auch mit ihrer Familie hat sie kaum noch Kontakt.
Ihre Tochter lebt inzwischen wieder bei ihr und weiß über die Drogenvergangenheit ihrer Mutter Bescheid. Die Angst, dass ihrer Tochter ähnliches passieren könnte, ist bei Nicole immer präsent. "Man hat immer Angst, dass es ihr mal jemand anbietet und sie doch mal ja sagt", sagt sie. Auch wenn ihre Tochter gut aufgeklärt und auch gegen Drogen sei. "Niemand hat je bewusst gesagt, dass er drogenabhängig werden will."
Hier bekommen Süchtige und Angehörige Hilfe
- Bundesweite Sucht- und Drogen-Hotline (24 Stunden): 01806 - 31 30 31
- Die Telefonseelsorge bietet eine kostenlose und anonyme Beratung rund um die Uhr und kennt geeignete Beratungsstellen: 0800 -111 0 111 oder 0800 -111 0 222
- Nummer gegen Kummer: Kinder und Jugendtelefon 116 111, Elterntelefon 0800 -111 0 550
- Informationstelefon zur Suchtvorbeugung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): 0221 - 89 20 31
- Sorgentelefon für Angehörige des Deutschen Roten Kreuzes: 06062 - 607 67 (Freitag bis Sonntag und an gesetzlichen Feiertagen von 8 - 22 Uhr)
*Name von der Redaktion geändert
MDR (ali)