
Wildtierhandel Mit Schülerhilfe und Interflug: Als die DDR Feldhasen nach Frankreich exportierte
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20. April 2025, 10:00 Uhr
Die DDR exportierte in den 1960er- und 1970er-Jahren Feldhasen nach Frankreich gegen harte Devisen. Schätzungen zufolge wurden jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Hasen geliefert. Es könnten bis zu 300.000 Feldhasen aus dem Arbeiter- und Bauernstaat zu Westgeld gemacht worden sein. Ganz genau weiß das keiner.
Die DDR hat in den 1960er- und 1970er-Jahren mehrere Zehntausend Feldhasen nach Frankreich exportiert. Genaue Zahlen variieren je nach Quelle, aber Schätzungen zufolge wurden jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Hasen geliefert. Insgesamt könnten über den gesamten Zeitraum etwa 200.000 bis 300.000 Feldhasen aus der DDR nach Frankreich gelangt sein. Die Tiere wurden vor allem in wildreichen landwirtschaftlichen Regionen gefangen.
Stabsmäßige Planung von oben
Friedrich Schneider aus Dresden war einst Jagdreferent beim Rat des Bezirkes Dresden und 1974 selbst bei einer Feldhasen-Fangaktionen in der Nähe von Großenhain dabei. "Die hatten damals entdeckt, dass mit den Feldhasen Devisen zu machen waren. Und da kriegten die guten Hasengebiete in der DDR den Auftrag, Feldhasen zu fangen. In der Regel wurden die Feldhasen nach Frankreich exportiert. Da gab es gutes hartes Geld", erzählt der heute 85 Jahre alte Schneider im Gespräch mit dem MDR. Solche Aktionen seien präzise geplant worden: Es habe einen exakten Zeitplan gegeben, alles sei schriftlich festgehalten worden.
Die Aktion Hasenfang muss direkt aus Berlin gekommen sein, vermutet Friedrich Schneider. "In Forstbetrieben, Jagdbehörden und Schulen tauchten Funktionäre aus allen möglichen Partei- und Staatsorganen auf! Die hauten auf den Putz, ließen sich Namenslisten der Jäger und Schüler vorlegen, kontrollierten das Fangmaterial und studierten Ablaufpläne. Dabei kannten die meisten von ihnen nicht mal den Unterschied zwischen einem Hasen und einem Kaninchen."
In Forstbetrieben, Jagdbehörden und Schulen tauchten Funktionäre aus allen möglichen Partei- und Staatsorganen auf! Die hauten auf den Putz.
Was ist der Unterschied zwischen Feldhase und Kaninchen? (zum Aufklappen)
- Hasen leben immer im freien Feld. Sie verstecken sich unter Büschen oder ducken sich in Bodensenken. Sie haben größere Ohren und kräftigere Hinterbeine als Kaninchen. So können sie Feinde besser hören und ihnen schnell entkommen - und dabei ihre berühmten Haken schlagen. Sie sind Einzelgänger und treffen sich nur zur Familiengründung.
- Kaninchen sind kleiner als Hasen, meist gesellig und leben in Gruppen. Sie graben sich in einen Bau unter der Erde. Droht Gefahr, huschen sie in ihre Höhle.
Quelle: World Wide Found (WWF)
In den Behörden und Staatlichen Forstwirtschaftsgebieten habe damals Aktionismus eingesetzt. Im "VEB Vereinigte Netz- und Seilwerke Heidenau" lief die Produktion von Fangnetzen an, gleichzeitig wurden vielerorts die Hasenfänger aus der Jägerschaft geschult. In Schulen übten die Acht- bis Zehntklässler das Treiben in Schützenkette, damit möglichst wenige Hasen ausbrechen konnten.
Immer wieder sonntags ...
Dass die Sache wichtig war, zeigte sich nach Schneiders Worten daran, dass man besonders aktiven Jagdleitern Versprechungen machte: Sie sollten Jagdwaffenfreigaben und Geldprämien bekommen und die Schüler schmackhaftes Essen. Grundsätzlich seien die Fangtage auf Sonntage gelegt worden, um keinen Arbeits- und Unterrichtsausfall zu haben. Zeiten und Orte der Fangaktionen wurden oft öffentlich gemacht, was viele Schaulustige anlockte. Um das langohrige Exportgut nicht zu dezimieren, waren in Gebieten mit besonders großen Populationen normale Hasenjagden untersagt worden.
Genossen und Waidgenossen beim Großkampftag
Friedrich Schneider erinnert sich an einen Novembersonntag im Kreis Großenhain, als der Vorsitzende des Rates des Kreises vorm Hasenfang eine Rede hielt: "Liebe Waidgenossen, liebe Genossen, liebe Schüler! Zum heutigen Hasengroßkampftag wünsche ich allen die besten Erfolge zum Wohle der Deutschen Demokratischen Republik!"
So lief der Hasenfangtag ab: "Es wurden spezielle Netze aufgestellt. Vor den Netzen lagen erfahrene Jäger als Fänger, während Schüler aus umliegenden Schulen als Treiber im Einsatz waren und die Hasen aus dem Gras auf die Läufe brachten", erklärt Jagdexperte Schneider. Und weiter: "Als sich die Hasen in den Netzen verfangen hatten, sprangen die Jäger auf, fitzten sie heraus und steckten sie in vorbereitete Holzkisten." Bei der Aktion seien innerhalb von vier Stunden 120 Hasen gefangen worden.
Per Flugzeug nach Südfrankreich
Die Kisten mit den Hasen seien anschließend nach Dresden gebracht und wenige Stunden später mit weiteren gefangenen Hasen aus anderen Gebieten per Interflug-Flugzeug nach Südfrankreich geflogen worden. Denn die Franzosen sind ein jagdfreudiges Volk, erzählt Friedrich Schneider. Sie hatten in den 1960er-Jahren ihre eigenen Hasenbestände arg dezimiert. Da kam die DDR ins Spiel. Der Arbeiter- und Bauernstaat brauchte ständig Devisen und auch der Feldhasenexport brachte etwas ein. Wie viel ist allerdings nicht bekannt.
Besonders die großen Felder in der DDR, die durch die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) bewirtschaftet wurden, boten aufgrund des strukturarmen, offenen Geländes ideale Lebensbedingungen für Feldhasen. Dadurch war der Bestand in einigen Regionen hoch genug, um regelmäßig Hasen für den Export zu fangen, ohne die lokalen Populationen langfristig zu gefährden. Solche Gebiete lagen häufig in den großen Agrarlandschaften der Magdeburger Börde, im Leipziger Raum, in der Lausitz sowie in Teilen von Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

Monokultur sorgte für niedrigere Hasenpopulation
Aber die Hasenexporte endeten Mitte der 1970er-Jahre, weil die Tierbestände rapide abgenommen hatten. Das lag nicht nur an den Fangaktionen, sondern vor allem an der Intensivierung und chemischen Düngung der Äcker sowie am Verlust von Grünland in der DDR. In Monokulturen wie etwa im Mais fanden die Hasen kaum noch Lebensräume. Unter den Maisstängeln gibt es nur nackten Ackerboden.
Doch der Feldhase, ursprünglich ein Steppenbewohner, benötigt eine strukturreiche Offenlandfläche. "Der Hase braucht zum Überleben eine 'Hasenapotheke'. Das sind Gräser und Unkräuter", weiß der erfahrene Jäger Friedrich Schneider. Besonders Brachen mit Wildkräutern seien eine wichtige Futtergrundlage. Die sogenannte Hasenapotheke umfasst mehrere Dutzend Wildpflanzen wie Baldrian, Löwenzahn oder Wilde Möhre.
Gute Nachricht zu Ostern
Die Zahl der als gefährdete Art eingestuften Feldhasen ist bundesweit zuletzt stabil geblieben. Im Durchschnitt tummelten sich vergangenes Frühjahr 19 Langohren pro Quadratkilometer auf Wiesen und Feldern. Vor allem in Hessen und Rheinland-Pfalz haben sich die Zahlen verbessert, heißt es vom Deutschen Jagdverband (DJV).
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 15. April 2025 | 19:00 Uhr