Mitarbeitende gesucht Sachsen schließt Fachkräftepakt: Flüchtlingsverein sieht wenig Fortschritte bei Integration in Arbeitsmarkt
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19. April 2023, 16:58 Uhr
In Sachsen fehlen Fachkräfte in fast jeder Branche. Menschen aus dem Ausland sollen deshalb schneller integriert werden. In der Praxis scheitert das an bürokratischen Hürden. Die sächsische Wirtschaft hat unterdessen ganz andere Ideen und will zusätzlich zur Integration noch Mehrarbeit im Inland.
- Politik und Wirtschaft wollen Fachkräfte aus dem Ausland schneller integrieren.
- Ein Verein in Leipzig sieht seit Jahren, wie Geflüchtete an bürokratischen Hürden scheitern und spricht von verlorenen Potenzialen.
- Die sächsische Wirtschaft hat eine ganz eigene Idee und ungenutzte Potenziale bei deutschen Arbeitnehmenden ausgemacht.
Die sächsische Staatsregierung, Vertreter der Fachkräfteallianz Sachsen und weitere Partner haben einen sogenannten Pakt zur Sicherung von internationalen Fachkräften unterschrieben. "Es ist ein Schulterschluss von allen Seiten, um mehr gut ausgebildete Menschen aus dem Ausland zu gewinnen und Unternehmen zu eigenen Initiativen zu ermutigen", sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Fachkräftegipfel. Dem CDU-Politiker zufolge geht Sachsen mit gutem Beispiel voran. Jetzt müsse der Bund parallel die Rahmenbedingungen verbessern, beispielsweise durch eine beschleunigte Visa-Vergabe der Fachkräfte.
Neben der Politik nahmen an dem Gipfel zur Unterzeichnung der Absichtserklärung unter anderem Vertreter der Arbeitgeberseite, Gewerkschaften, Landkreise, Kommunen, Hochschulen sowie der Wirtschaftskammern teil. Der Pakt beinhaltet gemeinsame Ziele und Wege zur Gewinnung internationaler Arbeits- und Fachkräfte für Sachsen. Zudem wurden konkrete Verantwortlichkeiten und Rollen der sächsischen Akteure zur Umsetzung des Zuwanderungsprozesses formuliert.
Mehr als die Hälfte der seit 2015 Geflüchteten in Arbeit
Prognosen des sächsischen Wirtschaftsministeriums zufolge würden bis 2030 etwa 150.000 erwerbsfähige Menschen in Sachsen fehlen, hieß es. Das sei auf eine alternde Bevölkerungsstruktur und niedrige Geburtenraten zurückzuführen. Die Integration von Geflüchteten und anderen Zuwanderern kann laut Flüchtlingsrat dazu beitragen, diese Lücke zu füllen und den Arbeitsmarkt zu stärken.
Seit 2015 seien bereits Erfolge erzielt worden. Rund 55 Prozent der Menschen, die damals nach Deutschland geflohen seien, arbeiteten bereits in Deutschland. Handwerksbetriebe in Sachsen hätten Menschen nach der Flucht erfolgreich ausgebildet und sie dann in Beschäftigungsverhältnisse als Fachkräfte fest übernommen. Besonders in der Gastronomie und in der Pflege seien Migrantinnen und Migranten ein wichtiger Faktor, um Arbeitsplätze in diesen Bereichen zu besetzen.
Jurist wünscht sich Praxisnachweis für Handwerker
Nicht ganz so rosig erlebt Jurist Wael Alhamed aus Leipzig die Praxis und weiß von bürokratischen Hürden für die Arbeitssuchenden zu berichten. Daran habe sich seit Jahren nichts geändert Er hilft im "Verein Mühlstraße 14" Geflüchteten und unterstützt sie bei der Integration ins Berufsleben. Die ist allerdings oft schwierig und so würden beispielsweise Handwerker oder IT-Fachleute mit Druck vom Jobcenter in Hilfstätigkeiten bei Automobilherstellern oder Versandhändlern vermittelt, obwohl in ihren eigentlichen Berufen viele Stellen unbesetzt sind und die Firmen händeringend nach Fachleuten suchen.
Die Bürokratie in Deutschland erschwere den Einstieg in die Arbeitswelt: Friseure, Tischler oder Elektriker seien in Syrien beispielsweise Handwerksberufe, die Menschen von Kindesbeinen an in ihren Familien erlernen. Einen Berufsabschluss oder Meisterbrief gibt es nicht, den sie nachweisen könnten. Alhamed fordert deshalb, dass solche Menschen ihr Können vor Vertretern von Handwerkskammern praktisch beweisen, dann in die deutschen Regeln etwa zur Sicherheit am Arbeitsplatz eingewiesen werden und schneller wieder in ihrem Beruf arbeiten können. Bisher hätten solche Vorschläge aber nie Gehör gefunden.
Überqualifiziert für Hilfsjob und mit 30 zu alt für Ausbildung
Doch auch mit Studienabschluss, etwa in der IT-Branche, sei der Einstieg schwer. Müssten IT-Experten nach Gesetz erst fünf Jahre in Deutschland leben und während dieser Zeit Pakete im Versandhandel packen, sei ein Einstieg mit dem Vorwissen dann kaum noch möglich. Die meisten Geflüchteten würden nicht an Sprachbarrieren scheitern, betont der Jurist. Es gebe genug Menschen, die auch mit 28 oder 30 Jahren und erfolgreich abgelegten Sprachzertifikaten bereit wären, eine deutsche Berufsausbildung zu machen. Allerdings würden viele von ihnen wegen ihres Alters abgelehnt. Die Betriebe suchten junge Leute um die 20, weiß Alhamed. Was den Geflüchteten bleibe, ist sich in ihr Schicksal zu fügen und überqualifiziert in Hilfsjobs zu arbeiten.
Wirtschaftsvertreter fordern mehr Engagement im Inland
Wirtschaftsvertreter erklärten indes am Mittwoch zum Pakt, dass Zuwanderung nur ein Teil der Lösung sein könne. Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft forderte auch das "Heben inländischer Reserven", wie Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner es formulierte.
Er forderte eine Senkung von Teilzeitquoten, keine zusätzlichen Freistellungen sowie bedarfsgerechtere Berufsausbildungen. Zudem bedürfe es Anreizen, die längeres Arbeiten wieder attraktiv machten. "Keine Rente mit 70, aber im aktiven Erwerbsleben müssen wir unseren erfreulich längeren Ruhestand durch eigene Arbeit finanzieren", so Brückner. "Statt zusätzlicher Freizeit muss durch mehr Netto vom Brutto der Fleiß der arbeitenden Menschen honoriert werden."
Dulig appelliert an Willkommenskultur und fordert gute Löhne
Zentrale Themenbereiche des Paktes sind etwa die gelebte Willkommenskultur, attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen in Sachsen, zielgruppenorientiertes Standortmarketing, adäquate sprachliche Verständigung, effiziente Prozesse und Strukturen sowie eine gelingende Integration. "Um Fachkräfte in Sachsen zu binden und zu gewinnen, bleiben gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen in den Unternehmen zentral", sagte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD).
Im Morgenmagazin des ZDF hatte Dulig aber auch eingeräumt: "Sachsen hat ein Imageproblem." Fremdenfeindliche Ausschreitungen in den vergangenen Jahren hätten dazu beigetragen, "dass unser Bild in der Welt nicht das beste ist". Man stelle sich aktiv diesem Problem und leugne es nicht, so Dulig.
MDR (lam)/dpa/epd
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. April 2023 | 19:00 Uhr