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Neue Recherchen Neustart Kultur: Viele Corona-Hilfen gingen nach Sachsen

26. Januar 2024, 14:39 Uhr

Kulturinstitutionen und Kulturschaffende in Sachsen haben nach Berlin und Hamburg am meisten vom Corona-Hilfsprogramm Neustart Kultur profitiert. Das haben Recherchen von Deutschlandfunk Kultur ergeben. Insgesamt wurden dafür mehr als 50.000 Datensätze ausgewertet.

Das Corona-Hilfsprogramm Neustart Kultur hat vielen Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden durch die Pandemie geholfen. Mit Blick auf die regionale Verteilung der Fördergelder ist nach Berlin und Hamburg das meiste Geld nach Sachsen geflossen. Das zeigen Recherchen von Deutschlandfunk Kultur, für die mehr als 50.000 Datensätze ausgewertet wurden. Eine Erklärung für die Verteilung könnte die kulturelle Infrastruktur in Leipzig und Dresden sein, sagte der Journalist Fabian Dietrich im Gespräch mit MDR KULTUR. Im Vergleich zur Bevölkerungszahl seien hier überdurchschnittlich viele Künstlerinnen und Künstler ansässig.

Kleine und große Gewinner von Neustart Kultur

In Sachsen haben vor allem Leipziger Veranstaltungsorte wie der Kupfersaal oder die Schaubühne Lindenfels von Neustart Kultur profitiert – weil sie Veranstaltungen aus verschiedenen Kultursparten wie Poetry Slams oder Comedy Shows anbieten, konnten sie Fördermittel in verschiedenen Bereichen beantragen. Auf diese Weise wurde der Kupfersaal mit mehr als 830.000 Euro gefördert, die Schaubühne mit fast 590.000 Euro.

Außenansicht der Schaubühne Lindenfels Leipzig: ein zweistöckiges beleuchtetes Gebäude mit Terrasse und markantem Eingang in abendliches Licht getaucht
Die Leipziger Schaubühne Lindenfels gehört zu den Profiteuren des Förderprogramms "Neustart Kultur". Bildrechte: Helene Claussen

Hilfsprogramme nur eine kurzfristige Lösung

Zu den Gewinnern von Neustart Kultur gehörten neben kleineren Kulturorten vor allem größere Unternehmen. Laut den Recherchen von Deutschlandfunk Kultur erhielt der Veranstaltungs- und Ticketkonzern Eventim rund 10 Millionen Euro aus dem Förderprogramm – trotz zusätzlicher Corona-Hilfen aus Deutschland, der EU und der Schweiz in Höhe von 270 Millionen Euro, die zur Kompensation von Umsatzeinbußen gedacht waren.

Torsten Tannenberg vom Sächsischen Musikrat hält die finanzielle Unterstützung für den Ticket-Konzern in der Pandemie für "sehr fragwürdig". Der Bund habe "unendlich viel Geld in das System gegeben", sagte er bei MDR KULTUR, was zu einer Überförderung bestimmter Institutionen geführt habe. Aus seiner Sicht hat der Staat mit dem Corona-Hilfsprogramm zwar seine Fürsorgepflicht erfüllt, aber dabei zu kurzfristig gedacht.

Foto von schräg oben auf Mann mit sehr kurzen Haaren (bis keine Haare), schwarzer Brille, Hemd, Sakko und freundlichem Blick. Im Hintergrund unscharf ein Treppenhaus.
Torsten Tannenberg leitet den Sächsischen Musikrat seit 1997. Bildrechte: Sächsischer Musikrat/Angelika Luft

Mit Blick auf die Zukunft sagte Tannenberg: "Wir müssen jetzt darauf schauen, dass wir ordentliche Systeme schaffen, die ganz regelmäßig auf solche Krisensituationen reagieren können." Sollte morgen eine Pandemie beginnen, sei man nicht besser vorbereitet als im März 2020. Vor diesem Hintergrund plädierte der Geschäftsführer des Sächsischen Musikrats bei MDR KULTUR dafür, die Künstlersozialkasse auszubauen, um zukünftig freiberufliche Menschen in Krisenzeiten besser abzusichern.

Wenig Fördergelder gingen nach Sachsen-Anhalt und Thüringen

Das Corona-Hilfsprogramm Neustart Kultur wurde im Frühjahr 2020 von der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters ins Leben gerufen. Insgesamt standen zwei Milliarden Euro zur Verfügung, um kulturelle Institutionen sowie Künstlerinnen und Künstler finanziell durch die Pandemie zu helfen. Laut den Recherchen von Deutschlandfunk Kultur wurden bis zum Auslaufen des Programms Mitte 2023 allerdings nur etwa 83 Prozent der Gelder bewilligt.

Heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl des jeweiligen Bundeslandes lagen die bewilligten Fördermittel pro Kopf in Sachsen bei 23 Euro, in Sachsen-Anhalt und Thüringen nur bei je rund 12 Euro. In Berlin waren es dagegen laut den Daten des Bundesrechnungshofes, die den Recherchen zu Grunde liegen, 85 Euro pro Kopf. Als eine Erklärung für die unterschiedliche Verteilung der Fördergelder nennt das Rechercheteam des Deutschlandfunks die Anzahl der im Bundesland ansässigen Künstlerinnen und Künstler.

Sächsische Einrichtungen fühlen sich an den Pranger gestellt

Die Schaubühne Lindenfels in Leipzig ist in der Untersuchung des Deutschlandfunks mit 13 Förderungen in Höhe von insgesamt 590.000 Euro gelistet. Michael Schramm vom Vorstand der Bühne fordert die Autoren auf, "das schnellstmöglich zu korrigieren und die Falschdarstellung künftig nicht weiter zu verbreiten." Schramm teilte schriftlich mit: Die Schaubühne Lindenfels habe als spartenübergreifendes Theater- und Produktionshaus Projektanträge gestellt. In den Jahren 2020-2023 seien insgesamt Fördermittel von aufgerundet 412.000 Euro geflossen. Diese seien sachgemäß verwendet worden. Fördermittel aus dem Zukunftsprogramm Kino gehörten aber nicht zu Neustart Kultur. Diese Investförderung für kleine Programmkinos sei bereits 2018 beschlossen worden, heißt es in dem Schreiben weiter.

Neustart Kultur ist für uns noch nicht abgeschlossen.

Marcus Müller, Betreiber des Leipziger Kupfersaals

Auch der Kupfersaal in Leipzig soll während der Corona-Pandemie mit mindestens zwölf Förderungen mehr als 830.000 Euro erhalten haben. Marcus Müller, der Betreiber der Bühne, stellte zunächst klar, dass der Kupfersaal ohne Förderung längst Geschichte wäre. Weiterhin teilte er schriftlich mit: "Die genannte Höhe der Förderung kann von uns nicht bestätigt werden! Wir sind bis heute mit der Abrechnung der Förderung beschäftigt. Neustart Kultur ist für uns noch nicht abgeschlossen." Auch Rückzahlungen stünden noch aus, so Müller. Zudem sei den jeweiligen Förderanträgen zu entnehmen, dass der überwiegende Teil der erhaltenen Fördermittel an Künstlerinnen und Künstler in Form von Gagen geflossen sei oder coronabedingte Anschaffungen getätigt worden seien.

Neustart Kultur ist nichts Langfristiges

Der Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Sachsen e. V. teilte MDR KULTUR auf Nachfrage mit, zwar keine Gelder aus dem Programm Neustart Kultur erhalten zu haben, kritisierte aber die Kurzfristigkeit des Projektes. Wiebke Bickhardt von der Geschäftsstelle des Landesverbandes in Dresden sagte: "Solche Programme nutzen nur langfristig etwas." Als Beispiel dafür nennt der Landesverband die Förderhilfen für ältere Künstlerinnen und Künstler. Diese konnten mit Neustart Kultur eine digitale Präsenz aufbauen. Die Förderung sei eine Existenzsicherung für die Betroffenen gewesen. Und daher müsse sie auch weitergehen.

Im Sendegebiet führt Sachsen mit einer Pro-Kopf-Förderung durch Neustart Kultur mit 22,50 Euro. In Thüringen gab es gerade mal 12,20 Euro und in Sachsen-Anhalt nur 11,60 Euro pro Kopf.  

Fabian Dietrich, Mitautor der Studie zu "Neustart Kultur"

Die hohe Förderquote in Sachsen liegt nach Angaben des Vorsitzenden des Landesverbandes Bildende Kunst Sachsen e. V., Marcel Noack, der zugleich Bundesvorsitzender ist, an den Kulturmetropolen wie Dresden und Leipzig. Aus denen seien viele Anträge mit einer guten Förderquote gekommen. Insgesamt gab es aber aus seiner Sicht zu wenig Förderung für bildende Künstler. Im Vergleich dazu hätten mehr Galerien eine Förderzusage erhalten.

Quellen: MDR KULTUR, Deutschlandfunk Kultur / Redaktionelle Bearbeitung: vp, as

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 25. Januar 2024 | 14:15 Uhr

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