Zu viel Zeit am Handy Mediensucht bei Kindern: Junger Mann will helfen, weil er selbst abhängig war

29. Oktober 2023, 12:00 Uhr

Seit 2019 ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen stark angestiegen, die zu viel Zeit in sozialen Medien oder beim Computerspielen verbringen. Ein 22 Jahre alter Dresdner will jungen Menschen helfen, weil er selbst schlimme Erfahrungen mit der Computersucht gemacht hat. In einer Leipziger Schule hat er offen mit Schülerinnen und Schülern gesprochen und ihre Fragen beantwortet.

Munter quasseln Schülerinnen und Schüler miteinander. "Welche Apps nutzt ihr?", fragt ein junger Mann in die siebte Klasse des Leipziger Gymnasiums an der Prager Spitze. Fast alle Hände sind oben. Leonie meldet sich: "Whatsapp." "Ich habe Tik Tok", sagt Alina. "Und ich Insta", ruft Nils.

Bald ist die Schultafel mit bekannten und weniger bekannten Apps voll geschrieben. "Wisst ihr, dass es mehr als 3,7 Millionen Apps gibt?", fragt Florian Buschmann. Der 22-Jährige geht mit seinem Team der "Offline Helden" in Schulen, um Kinder und Jugendliche über Mediensucht aufzuklären.

Expertenrat mit Florian Buschmann

Henriette Schmidt und Florian Buschmann im Sachsenradio-Studio 28 min
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28 min

Soziale Medien, Apps und Games üben eine große Faszination auf Kinder und Jugendliche aus. Ist mein Kind schon mediensüchtig und was tun, um dieser Sucht zu entrinnen? Florian Buschmann war selbst süchtig und berät nun.

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Im vergangenen Jahr sei das Team in 330 Schulen und Veranstaltungen gewesen, sagt Buschmann. Junge Menschen sollen sich der Gefahr bewusst werden, wenn sie zu viel Zeit am Handy oder vorm Computer verbringen, sagt er.

Wie dringend erforderlich das ist, zeigt eine Studie der Krankenkasse DAK aus diesem Jahr. Der Studie zufolge sind inzwischen mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien. Betroffen seien mehr als 600.000 Mädchen und Jungen in Deutschland - ein starker Anstieg seit 2019.

Was ist Mediensucht? Von Mediensucht spricht man, wenn sich Menschen sehr stark mit Computerspielen oder in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook beschäftigen, übermäßig viel Zeit damit verbringen und dabei reale soziale Kontakte und das alltägliche Leben immer mehr vernachlässigen.

Hochbegabt und computersüchtig

In der siebten Klasse ist an diesem Donnerstagmorgen niemand müde - das Thema packt die Schülerinnen und Schüler. Einige Jungs, die das Computer- und Kampfspiel "Fortnite" spielen, melden sich. Sie kichern dabei. "Ich will euch aber auch zeigen, dass Apps und Computerspiele süchtig machen können", sagt Buschmann. Er erzählt den Kindern, wie er einem jungen Erwachsenen helfen wollte. Dieser sei als Jugendlicher mediensüchtig gewesen, habe es aber geschafft, davon loszukommen.

Der junge Erwachsene absolviert damals das Abitur mit einem Einserschnitt, ein IQ von 130 wird bei ihm gemessen, erzählt Buschmann. "Und was hat dieser junge, hochbegabte Mensch gemacht?", fragt Buschmann in die Klasse. "Er hat sich komplett zurückgezogen und verbringt seit elf Jahren seine ganze Zeit wieder am PC."

Kein Quasseln oder Kichern ist mehr zu hören - es ist still im Klassenzimmer. Buschmann erklärt den Kindern, er habe Vieles versucht, dem Mann zu helfen, doch: "Er wollte sich nicht helfen lassen." 

Eigene Erfahrungen offen teilen

Ein Mädchen meldet sich und sagt: "Ich glaube, mein Bruder ist auch medienabhängig." Florian Buschmann nickt verständnisvoll. "Danke, dass du das mit uns teilst" sagt er und fragt: "Warum können denn Instagram und TikTok so schnell abhängig machen?" Emil hebt seine Hand: "Man sieht dort so tolle Bilder. Dann hat man Glücksgefühle. Aber man braucht immer mehr. Das ist ein Teufelskreis." "Super erklärt", antwortet Buschmann.

Wie verbreitet ist Mediensucht bei Kindern? Laut einer DRK-Studie aus diesem Jahr wird die Mediennutzung von etwa 2,2 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland als problematisch eingeschätzt.

Der Studie zufolge stieg die Zahl abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022. Bei Social Media verdoppelte sich die Mediensucht von 3,2 auf 6,7 Prozent.

Den Absprung geschafft

Was motiviert den 22-Jährigen, über die Gefahren von Mediensucht aufzuklären? "Ich will Menschen unterstützen, denen es ähnlich geht", sagt Buschmann. Denn er sei selbst als Jugendlicher medienabhängig gewesen. Er ist 13 Jahre alt, als sich seine Eltern trennen und sein Opa stirbt, erzählt Buschmann. Damals zieht er sich mehr und mehr in die virtuelle Scheinwelt zurück.

"Meine Noten wurden schlechter. Ich habe mich krank gemeldet und alles mögliche vernachlässigt." Mit ein paar anderen Gaming-Freunden lebt er in einer Blase und hat keine Zeit mehr für Hobbys. "Das Leben war dadurch einfacher. Aber die Probleme blieben und wurden noch schlimmer."

Meine Noten wurden schlechter. Ich habe mich krank gemeldet und alles mögliche vernachlässigt.

Florian Buschmann war als Jugendlicher medienabhängig

Mit 16 Jahren macht Buschmann einen Schüleraustausch in Rumänien. Nicht mit dabei ist sein Computer. "Dort habe ich gesehen, was im Leben möglich ist. Wir sind Klettern gegangen, haben Basketball gespielt und saßen am Lagerfeuer." Für Buschmann der Wendepunkt. Er schwört der Onlinewelt ab, die bis dahin sein Leben bestimmte. "Ich wollte endlich wieder meinen Träumen nachjagen", sagt Buschmann. Schon damals habe er den Wunsch gehabt, in Schulen zu gehen, um Kindern und Jugendlichen seine Erfahrungen weiterzugeben.

Schließlich gründet er 2021 das Projekt "Offline-Helden", das sich durch Fördermittel finanziert. Seitdem sei die Nachfrage von Schulen riesig. Das zeige, wie akut das Problem ist, sagt Buschmann: "In den Schulen ist es oft nicht mehr nur Prävention, sondern Intervention."

Ein offenes Ohr haben

Auch in der siebten Klasse im Gymnasium an der Prager Spitze haben die Schüler immer wieder Fragen, manche wollen unter vier Augen mit Buschmann sprechen. Er zeigt den Kindern, wie man selbst einschätzen kann, ob man mediensüchtig ist. "Das ist kein wissenschaftlicher Test, sondern ihr schätzt euch selbst ein" betont er. 

Sie sollen sich fragen, wie viele Stunden sie am Handy verbringen. Es folgen weitere Fragen. Die Schüler zählen mit Fingern ab. Zwei Finger seien nicht weiter bedenklich, bei mehreren sollte man Hilfe bei Eltern und Lehrern suchen, sagt Buschmann. Dann melden sich die Kinder. Einige zeigen nur wenige Finger, manche auch mehr. "Ihr könnt in der Pause jederzeit zu mir kommen, wenn ihr Fragen habt oder etwas los werden wollt", sagt Buschmann.

Sich spielerisch mit Risiken beschäftigen

In Gruppen beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler dann mit Themen wie den Vor- und Nachteilen der sozialen Medien, aber auch mit Cybermobbing. Sie bereiten kleine Rollenspiele vor. Clara, Juna, Sophie und Sophia sprechen über Cybergrooming. "Ich bin ganz gut in Englisch und konnte den anderen erklären, was das ist", sagt Clara. Sie erklärt, dass beim Cybergrooming Erwachsene Kinder täuschen, indem sie sich etwa als Gleichaltrige ausgeben. Sie verlangen dann oft Nacktfotos von den Minderjährigen.

Dann spielen die Schüler ihre Rollenspiele vor. In einer Jungsgruppe spielen zwei Schüler Computerspiel-Abhängige. Der Junge, der einen Vater spielt, kann sie nicht davon abbringen und sagt drohend: "Dann muss ich den Psychologen rufen." Viel Gekicher in der Klasse. Aber die Schüler hören mit einem Mal wieder zu, als der gespielte "Psychologe" von den gesundheitlichen Folgen von Computersucht, wie Depressionen, Essstörungen und Übergewicht, spricht.

Am Ende des Vormittags und des Workshops stehen noch mehrere Schülerinnen und Schüler bei Florian Buschmann am Lehrertisch. Sie haben noch viele Fragen. Und er nimmt sich die Zeit für jeden Einzelnen.

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