
Geschichte Lorenzkirch: Der wahre Ort des Elbe-Days
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25. April 2025, 15:10 Uhr
Der Elbe-Day in Torgau erinnert jährlich am 25. April an das erste Zusammentreffen alliierter Truppen auf deutschem Boden am Ende des Zweiten Weltkrieges. Jedoch fand die allererste Begegnung gar nicht in Torgau statt.
30 Kilometer elbaufwärts von Torgau liegt das beschauliche Lorenzkirch. Die letzte Zählung ergab gut 100 Einwohner – Tendenz abnehmend. An das, was hier vor 80 Jahren passierte, erinnert wenig. Einzig eine Tafel vor einem verlassenen Haus verweist auf das "Treffen an der Elbe in Lorenzkirch am 25.04.1945".
Im Schatten des "Handschlags von Torgau"
Dieser Tag ging als "Elbe-Day" in die Geschichtsbücher ein, als sich sowjetische und US-amerikanische Soldaten erstmals auf deutschem Boden trafens. Im kollektiven Gedächtnis hat sich jedoch nicht Lorenzkirch, sondern Torgau als Ort dieser Begegnung durchgesetzt. Verantwortlich dafür ist das inszenierte Foto vom "Handschlag von Torgau", das kurz nach der ersten Begegnung in Lorenzkirch entstand. Zeitzeugen berichten, dass viele Leichen auf den Wiesen vor Lorenzkirch der Grund für die Verlegung nach Torgau gewesen sein sollen.
Zeitzeugin berichtet: "Es war grausam"
Eine dieser Zeitzeugen ist Ina Pradella. Die gebürtige Lorenzkirchnerin war damals neun Jahre alt und hat die Geschehnisse rund um den Elbe-Day festgehalten.
Dass sich die sowjetischen Truppen ihrem Heimatort näherten, zeigte sich an den vielen Flüchtlingen. In Lorenzkirch setzten sie auf einer Pontonbrücke über die Elbe, um den Kriegshandlungen zu entkommen. Kurz bevor die sowjetischen Soldaten das Dorf erreichten, kam es zur Katastrophe: Die Wehrmacht sprengte die Brücke samt Flüchtlingen darauf in die Luft.
Also es war grausam. Da trieb zum Beispiel so ein Brückenteil noch auf der Elbe lang und da stand ein Kinderwagen drauf. Aber niemand getraute sich hinzugehen.
Mehrere Hundert Menschen verloren dabei ihr Leben. "Also es war grausam", erinnert sich Ina Pradella. "Da trieb zum Beispiel so ein Brückenteil noch auf der Elbe lang und da stand ein Kinderwagen drauf. Aber niemand getraute sich hinzugehen." Ob ein Kind darin war oder nicht, sei nie aufgeklärt worden.
Noch am Abend erreichte die Rote Armee Lorenzkirch.
Drei Tage später setzten Mitglieder der US-Patrouille um Leutnant Albert Kotzebue von der anderen Elbseite über und nutzten die Reste der Pontonbrücke. Bei ihrer Ankunft in Lorenzkirch sahen sie die vielen Leichen durch die Brückensprengung und die Gefechte auf der Elbwiese.
Die bekannten Bilder der sich treffenden Alliierten wurden darauf wenig später in Torgau gefilmt. Zum Ärgernis der Lorenzkirchner. "Es war ärgerlich", so Ina Pradella. "Viele haben gesagt, das ist doch nicht wahr. Getroffen haben sie sich erstmals hier an der großen Fähre." Ihre Vermutung: Die viele Leichen sollten nicht auf dem historisch bedeutsamen Foto zu sehen sein.
Man hat das dann eben mitgetragen, dass es Torgau war und nicht Lorenzkirch, sonst wäre man ja in die Weltgeschichte eingegangen.
Das Treffen an der Elbe: Der Wendepunkt des Krieges
Wie genau das Treffen in Lorenzkirch ablief, hat der Historiker Arkadi Miller vom Museum Berlin-Karlshorst recherchiert. Er ist der Meinung, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges genau in diesem Dorf begonnen hat.
Bei der Begegnung in Lorenzkirch sollen sich die sowjetischen und US-amerikanischen Offiziere darüber beraten haben, wie es nun weitergehen sollte. Der US-Leutnant Kotzebue kam mit dem Auftrag zu den Sowjets, ein Treffen zwischen höherrangigen Militärs zu organisieren. Dazu kam es jedoch nicht. Andere Offiziere der Alliierten haben sich nur wenige Stunden nach Lorenzkirch auch in Torgau getroffen. Dort haben sie die Pläne für den berühmten "Handschlag von Torgau" vorbereitet.
Arkadi Miller kennt auch die Hintergründe zu den nahezu knopflosen Kitteln der sowjetischen Soldaten. "Sie haben ihre Freude darüber, hier an der Elbe aufeinandergetroffen zu sein, dadurch ausgedrückt, dass sie - sie konnten ja nicht miteinander sprechen - Gegenstände miteinander getauscht haben." Das seien neben Knöpfen zum Beispiel auch Eheringe gewesen.
Es ist berichtet, dass sowjetische Soldaten kaum Knöpfe mehr an ihren Kitteln hatten, weil das war ein Gegenstand, den man mitgab.
Stiller Zeitzeuge: Das verlassene Haus an der Elbe
Das Treffen in Lorenzkirch fand vor dem Haus in der Alten Salzstraße 22 statt. Heute steht es verlassen da, der graue Putz bröckelt vom Mauerwerk. Conrad Weidner ist der jetzige Besitzer des Hauses. Er wurde hier 1948 geboren. Pläne sehen vor, das Haus zu einem Bildungsort mit einem Ausstellungsraum auszubauen. Über zwei Jahrzehnte stand es aber leer. Das Haus zu sanieren, ist für den 76 Jahre alten Conrad Weidner ohne fachliche und finanzielle Hilfe nicht möglich – mehrere Hochwasser haben ihre Spuren hinterlassen. Das Haus drohte einzustürzen.
Erste Sicherungsmaßnahmen durch den Denkmalschutz haben es davor bewahrt. Jedoch ist ein Ende der Bauarbeiten noch lange nicht in Sicht. Ein erster Zwischenerfolg: Seit zwei Jahren ist das Haus Teil der Liberation Route Europe – ein Wanderweg, der Erinnerungsorte und Geschichten des Zweiten Weltkrieges in ganz Europa verbindet. Seitdem befindet sich an der Adresse eine Informationstafel.
Anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes hat das Regionalmanagement Elbe-Röder-Dreieck eine Veranstaltungsreihe gegen das Vergessen ins Leben gerufen. Informationen darüber finden Sie hier.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 25. April 2025 | 19:00 Uhr