Pandemiefolgen Welche Defizite die Schulanfänger in Leipzig haben
Hauptinhalt
03. Januar 2023, 12:37 Uhr
Sie haben den größten Teil ihres Lebens mit der Corona-Pandemie verbracht, die heute Fünf- und Sechsjährigen. Das hatte und hat noch immer Auswirkungen für die Kinder. Wie die erste Klasse in diesem Jahr gestartet ist und was für die Anfänger im kommenden Schuljahr zu erwarten ist.
- Vor allem Kinder aus ärmeren Vierteln haben Defizite, zum Beispiel bei Sprache, Körpermotorik und Feinmotorik.
- Einer Lehrerin zufolge sind viele Kinder mehr auf sich orientiert und denken weniger in der Gemeinschaft.
- Schuluntersuchungen sollen im März 2023 abgeschlossen sein.
Der Fünfjährige, der im Kindergarten durchs Zahlenland wandert, will bald ein Schulkind sein. Er ist eines von 6.500 Kindern in Leipzig. Seine Schuleingangsuntersuchung steht – wie bei anderen auch – noch aus. Seine Mutter Sophie Müller, sagt, sie mache sich keine großen Sorgen, aber: "Man möchte die Bestätigung auch irgendwann mal haben."
Denn Schuleingangsuntersuchungen sind ein Gradmesser dafür, wie die Kinder vorbereitet sind, denen pandemiebedingt bis zu einem Viertel ihrer Kindergartenzeit fehlt. Claudia Korebrits leitet die Abteilung Kinder- und Jugendmedizin im Gesundheitsamt Leipzig. Sie schaut noch einmal auf die Ergebnisse des letzten Jahres. Dabei fällt ihr eine Zahl besonders auf: "Vor der Pandemie hatten wir knapp acht Prozent der Kinder mit Übergewicht oder Adipositas. Jetzt im Jahr 2022 waren es etwa über 10 Prozent. Das ist schon bemerkenswert."
Große Unterschiede bei den Kindern
Ebenso wie das starke Gefälle innerhalb Leipzigs: Dort, wo die Eltern einen geringen Bildungsabschluss haben, wo auf engerem Raum gelebt wird, wo es viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt, sieht man Korebrits zufolge teilweise doppelt so viele auffällige Befunde wie im Rest der Stadt. Sie sagte, die Kinder hätten viele Probleme im Bereich der Sprache, der Körpermotorik, der Feinmotorik. Auch Übergewicht sei dort viel häufiger.
Gerade diese Kinder brauchten in der ersten Klasse spezielle Förderung und Hilfe. Darauf machen auch die Schuleingangsuntersuchungen aufmerksam. Aber in diesem Jahr fanden die letzten Untersuchungen erst Ende Mai statt, nicht wie vor der Pandemie üblich bis Ende Januar.
Dazu sagt die Grundschullehrerin Kathrin Händel von der Erich-Kästner-Grundschule in Leipzig: "Schwierig wird es dann, wenn die Bögen spät kommen und wenn dann Auffälligkeiten bemerkt werden. Schwierig ist auch, wenn man eine Dokumentation für einen Förderbereich erstellen sollte. Der Termin ist dann längst verstrichen." Nachmeldungen seien dann nicht nur nicht gern gesehen, sondern manchmal schier unmöglich, so Händel.
Ohne Diagnose keine Unterstützung
Das heißt, wenn es keine Förderdiagnose gibt, dann kommen keine Förderschullehrer zur Unterstützung an die Regelschule und dann ist auch keine Reduzierung der Klassenstärke möglich. Eine zusätzliche Belastung in einer Zeit, in der Grundschullehrerin Kathrin Händel anfangs bei ihren Erstklässlern insgesamt feststellte: "Sie scheuen die Anstrengung, was sonst nicht so auffällig war." Ihrer Meinung nach fehlt den Kindern diese Aufmerksamkeit, die sie zu Hause oder in der Kita in einer kleinen Gruppe bekamen.
Die Kinder waren während der Pandemie viel mit ihren Eltern zu Hause oder wurden in kleinen Not-Kita-Gruppen betreut. Nun treffen sie auf 28 Kinder in einer Klasse. So bemerkt Lehrerin Christiane Dubiel von der Kurt-Masur-Grundschule in Leipzig vor allem Defizite im sozial-emotionalen Bereich. Sie sagt, es fange mit Abwarten und Ausredenlassen an – Regeln und Normen des friedlichen Miteinanders. Und genau hier hakt es, erzählt Dubiel: "Wir merken zunehmend, dass die Kinder mehr auf sich selbst orientiert sind und weniger in der Gemeinschaft denken."
Untersuchungen sollen erneut mit Verspätung stattfinden
Die neuen Erstklässler können das jetzt noch in den Kindergärten üben. Doch manche Einrichtung hat derzeit mit Personalmangel und hohen Krankenständen zu kämpfen, bei Kindern und Erziehern. Mutter Sophie Müller meint, dass in mancher Kita auf Ausflüge und Exkursionen der Vorschüler nun mit der Erklärung verzichtet werde, dass es die letzten zwei Jahre ja auch ging. Ihrer Meinung nach schaue man jetzt, was viel Arbeit bereite und was eingespart werden könne.
Sie wünscht sich vor allem, dass die Eltern mehr einbezogen werden in den Vorschul-Prozess: "Da hat die Kita auch die Pflicht, die Eltern anzusprechen und zu gucken: Was kann man denn zur Förderung tun? Denn irgendwann kommt die Schule."
Die Schuluntersuchungen jedenfalls sollen diesmal fristgemäß abgeschlossen werden, sagt Dr. Claudia Korebrits vom Gesundheitsamt Leipzig. Fristgemäß heißt aber vom Kultusministerium um zwei Monate verlängert – von Ende Januar bis Ende März.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 03. Januar 2023 | 06:00 Uhr