Krankheitswelle Rückkehr zum Homeschooling vor Weihnachten sorgt für gestresste Eltern
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14. Dezember 2022, 15:24 Uhr
Sachsens Schulen leiden seit Jahren unter Lehrermangel. Nun setzt ihnen die aktuelle Infektionswelle von Grippe und RSV zusätzlich zu. Die Schulen schicken Schülerinnen und Schüler wieder vermehrt nach Hause, Horte können die Betreuung nicht mehr gewährleisten. Eltern versuchen sich in dieser Notsituation gegenseitig zu helfen.
- An Sachsens Schulen müssen ganze Klassenstufen von zu Hause lernen.
- Mit Baby dem Erstklässler beim Homeschooling helfen.
- Durch die Infektionswelle wird Lehrermangel nur noch offensichtlicher.
Wenige Tage vor Weihnachten hat die aktuelle Infektionswelle die Schulen in Sachsen voll im Griff. Ob von Schülern oder Lehrern - es flattern massenweise Krankmeldungen ein. Vielen Schulen bleibt nichts anderes übrig, als auf Notlösungen aus Pandemiezeiten zurückzugreifen.
Ganze Klassenstufen lernen von zu Hause
Die Grundschulen in Leipzig nutzen derzeit vermehrt Homeschooling, um den hohen Krankenstand unter Lehrerinnen und Lehrern zu kompensieren. Auch viele Schülerinnen und Schüler sind krank. In einer Umfrage unter 18 Leipziger Grundschulen hätte rund die Hälfte angegeben, dass sie einzelne Klassen oder ganze Klassenstufen in den vergangenen Tagen nach Hause zum Lernen geschickt hätten, sagt der Vorsitzende des Kreiselternrates Leipzigs, Jan Zippel. Homeschooling oder Notbetreuung würden die Schule jedoch so lange vermeiden wie möglich, erklärt Zippel: "Das sind die letzten Notnägel der Schulen, die möglichst lange hinausgezögert werden."
Gerade in der Grundschule sei Homeschooling schwer umsetzbar, weiß Jan Zippel als Vater einer Drittklässlerin. Da beschränke sich das häusliche Lernen vor allem auf das Abarbeiten von Aufgabenzetteln. Bei seiner elfjährigen Tochter, die die sechste Klasse am Gymnasium besucht, würden Unterrichtsstunden am Morgen und am Nachmittag regelmäßig wegfallen, so der 39-jährige Familienvater. Seine Tochter hätte derzeit maximal vier bis sechs Stunden am Tag Unterricht.
Auch Eltern behelfen sich mit Notlösungen
Die Eltern zeigen laut Zippel für die derzeitige Situation Verständnis. Doch der Druck für viele sei spürbar, erklärt der Chef des Kreiselternrates. Viele Eltern hätten Zweifel, dass ihre Kinder im Homeschooling überhaupt etwas lernen. Gerade Mütter und Väter ausländischer Kinder würden die aktuelle Lage nicht verstehen. Deren Kinder würden zumeist in den Horten betreut. Doch der Unterricht Deutsch als Zweitsprache falle weg, für die Hausaufgabenbetreuung fehle das Personal, sagt Zippel: "In vielen Horteinrichtungen ist aktuell eine vollwertige pädagogische Arbeit nicht möglich."
In vielen Horteinrichtungen ist aktuell eine vollwertige pädagogische Arbeit nicht möglich.
Da eine flächendeckende Hortbetreuung derzeit in Leipzig nicht möglich sei, helfen sich die Eltern in dieser Notlage gegenseitig, wie Jan Zippel erklärt. Da betreut eine Mutti schon mal mehrere Kinder aus verschiedenen Familien, wenn die Eltern auf Arbeit müssen. Für die Väter und Mütter sei das eine große psychische Belastung und keine Dauerlösung, so Zippel.
Mit Baby dem Erstklässler helfen
Mit zwei kleinen Kindern hat Sarah Volgmann zu Hause derzeit viel zu tun. Ihr sechsjähriger Sohn Robin muss wegen eines Infekts zu Hause bleiben. Dem Erstklässler der 47. Grundschule in Dresden falle es schwer, nicht in die Schule gehen zu können, erklärt seine Mutter: "Er war traurig, seine Freunde nicht sehen zu können. Aber es macht ja keinen Sinn, ihn mit 40 Grad Fieber in die Schule zu schicken." Dem Grundschüler gehe es aber schon wieder so gut, dass er die Aufgaben für das Lernen zu Hause erledigen kann.
Vor drei Wochen sei fast die Hälfte seiner Klasse krank gewesen, berichtet Mutter Sarah. Aktuell sei die Lage an der Schule jedoch vergleichsweise entspannt. Schulklassen müssten nicht nach Hause geschickt werden, Homeschooling stehe nicht auf dem Stundenplan, erzählt die Mutter von zwei Kindern. Eine Entlastung für die 33-Jährige: Sie befindet sich derzeit in Elternzeit. Da könne sie neben ihrem zehn Monate alten Sohn zusätzlich für den Grundschüler Robin da sein und ihm bei den Heimaufgaben helfen.
147. Grundschule in Dresden schickt Schüler vor Ferien nach Hause
Die 147. Grundschule in Dresden musste die Notbremse ziehen und hat ihre Schüler noch vor den Weihnachtsferien nach Hause geschickt. Wie aus einem Elternbrief hervorgeht, der MDR SACHSEN vorliegt, begründet die Schule ihre Entscheidung mit dem hohen Krankenstand der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerschaft. Eltern würden gebeten, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, heißt es weiter. Eine Notbetreuung werde angeboten, wenn die Betreuung zu Hause nicht gewährleistet werden kann. Trotz des hohen Krankenstands unter den Lehrerinnen und Lehrern der Grundschule, würden diese ihre Klassen aber weiterhin mit Aufgaben für das Lernen zu Hause versorgen.
Dass die Schulen wieder vermehrt auf Homeschooling zurückgreifen, sei grundsätzlich möglich, sagte der Sprecher des Kultusministeriums Sachsen, Dirk Reelfs, auf Anfrage von MDR SACHSEN. Die Schulen könnten demnach eigenverantwortlich entscheiden, wie der Unterricht während der aktuellen Infektionswelle organisiert wird.
Homeschooling besser als kranke Kinder
Der Sprecher des Landesamts für Schule und Bildung (Lasub), Roman Schulz, weiß von weiteren Schulen, die ihre Schüler wieder ins Homeschooling schicken: "Bei einer Schule beispielsweise kam montags die Meldung, dass von 130 Kindern 70 krankgemeldet waren. Was will man da als Schulleitung noch machen?" Schulen, bei denen fast ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer ausfällt, sind laut Schulz derzeit kein Einzelfall.
Bei einer Schule beispielsweise kam montags die Meldung, dass von 130 Kindern 70 krankgemeldet waren. Was will man da als Schulleitung noch machen?
An manchen Schulen würde teilweise mehr als die Hälfte der Schüler in einer Klasse krank sein. Da sei es sinnvoller, die Lernenden im Homeschooling zu betreuen, so Schulz. Mit dem häuslichen Lernen seien die Schüler durch die Zeit der Corona-Pandemie vertraut: "Es ist besser, wenn die Kinder, die noch gesund sind, ein oder zwei Tage zu Hause bleiben, als dass sie auch noch krank werden."
Schulen schicken Schüler zum Lernen nach Hause
Auch die stellvertretende Leiterin der Grundschule im Leipziger Stadtteil Connewitz, Dagmar Kaiser, muss derzeit mit dem noch verbliebenem Personal jonglieren. Durchschnittlich fehlten 33 Prozent des Lehrerkollegiums, so Kaiser: "Mir fällt es sehr schwer den regulären Unterricht abzudecken." Klassen mussten bereits zusammengelegt werden, wie Kaiser informiert. Die zusammengelegten Klassen seien jedoch nicht überfüllt, da auch viele Kinder erkrankt seien.
In der Gerda-Taro-Schule in Leipzig fehlen aktuell 14 Lehrer, wie der Schulleitung mitteilt. Die Schüler könnten derzeit noch durch Vertretungslehrerinnen und -lehrer betreut werden. Randstunden am Ende des Schultages müssten hingegen teilweise entfallen und zu Hause im Home-Schooling von den Schülerinnen und Schülern erledigt werden.
Nach Angaben des sächsischen Kultusministeriums mussten in den vergangenen sieben Tagen 13 öffentliche Schulen ihre Schüler vereinzelt oder klassenweise wegen Krankmeldungen ins Home-Schooling schicken. Das seien jedoch vergleichsweise wenig in Anbetracht der 1.390 öffentlichen Schulen in Sachsen, so das Ministerium.
Kinder müssen auf Schulspeisung verzichten
Die Schulspeisung kann an manchen Schulen auch nicht mehr sichergestellt werden, wie das Beispiel der 39. Grundschule in Dresden zeigt. Aufgrund des Personalmangels wird dort die Essensausgabe für die letzten Tage vor den Weihnachtsferien vom 19. bis 21. Dezember eingestellt, wie ein Elternbrief informiert. Eltern sollen ihre Kinder ausreichend über die Brotbüchse versorgen.
Krankheitswelle verdeutlicht Lehrermangel
Dem Sprecher des Landeselternrates Sachsen, André Jaroslawski, seien durch Eltern und Schulen ebenfalls "erhebliche Krankenstände" gemeldet worden. Er nennt das Beispiel einer Leipziger Oberschule, an der die Hälfte der Schülerinnen und Schüler erkrankt sein sollen. Aber auch die Hortbetreuung komme wegen erkrankten Personals an ihre Grenzen. So würden immer mehr Eltern gebeten, ihre Kinder bereits mittags nach der Schule abzuholen, sagte Jaroslawski. Das stelle die Eltern vor große Probleme.
Das eigentliche Problem des akuten Lehrermangels vor allem an den Grund- und Oberschulen sowie im ländlichen Raum würde durch die Infektionswelle nur noch offensichtlicher, so Jaroslawski: "Wir haben etwa 3.000 Lehrkräfte, die in Sachsen fehlen. Dazu kommen jetzt noch diejenigen, die wegen Krankheit ausfallen. Deswegen ist pures Krisenmanagement an den Schulen angesagt."
MDR (phb/sys)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 13. Dezember 2022 | 19:00 Uhr