Porträt Christoph Hein: Der literarische Chronist feiert 80. Geburtstag
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08. April 2024, 08:22 Uhr
Werke wie "Der fremde Freund" oder "Landnahme" machten Christoph Hein zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. In seinen Erzählungen verwebt er geschickt persönliche Schicksale mit politischen Entwicklungen. 1944 in Oberschlesien geboren, wuchs Hein im sächsischen Bad Düben auf und studierte später in der DDR in Leipzig. Am 8. April 2024 feiert er seinen 80. Geburtstag.
- Christoph Hein wurde am 8. April in 1944 in Schlesien geboren und wuchs bei Leipzig auf.
- Seit dem Erscheinen seiner Novelle "Der fremde Freund" gilt Hein als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren.
- Hein wurde erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs.
Am 8. April 1944 wird Christoph Hein im oberschlesischen Heinzendorf (heute Jasienica, Polen) geboren. Als Vertriebenenkind landet er nach dem Krieg zunächst in Bad Düben bei Leipzig. Als Sohn eines Pfarrers darf er wegen "politischer Unzuverlässigkeit" in der DDR kein Gymnasium besuchen.
Seine persönliche Geschichte lässt er später in seinen Roman "Landnahme" einfließen: "Es kam hinzu, dass ich Sohn eines Pfarrers bin und das bestimmte sehr viel stärker meine Kindheit. Ich bin also in der DDR aufgewachsen und da war Pfarrersohn nicht das Allererwünschteste, so dass ich […] nach acht Schulklassen die Schule abbrechen musste und dann nach West-Berlin abgehauen bin."
Unfreiwillig wieder DDR-Bürger
Doch Hein wird wieder DDR-Bürger – wenn auch unfreiwillig. Als am 13. August 1961 die Berliner Mauer errichtet wird und die Grenzen geschlossen werden, hält er sich gerade illegal im Osten bei seinen Eltern auf. Seine Rückkehr nach West-Berlin ist ihm abgeschnitten und er muss in der DDR bleiben. Von 1967 bis 1971 studiert er Philosophie und Logik in Leipzig und Ost-Berlin.
Hein wird danach Dramaturg an der Volksbühne und dort 1973 als Hausautor fest angestellt. 1974 kommen hier seine ersten beiden Stücke "Vom hungrigen Hennecke" und "Schlötel oder Was solls" zur Uraufführung. 1979 verlässt er die Volksbühne und lässt sich als freier Schriftsteller nieder.
Durchbruch 1982 mit "Der fremde Freund"
Seit dem Erfolg seiner Novelle "Der fremde Freund" 1982 gilt Hein als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Deutschlands. Heins Figuren leben nicht selten entfremdet oder distanziert von der Gesellschaft. Oft genug in seinem Leben ist auch der Autor selbst einer von denen, die er vielfach in seinen Werken beschreibt: ein außenstehender Beobachter, ein Außenseiter.
"Er selber nennt sich ja einen Chronisten", erklärt der Literaturkiritiker Jörg Magenau im Gespräch bei MDR KULTUR. Ein Chronist sei auch ein bisschen bürokratisch, habe Distanz zu dem, was er beschreibe. Magenau schlussfolgert: "Das ist Christoph Hein."
Hein reibt sich immer wieder am DDR-Kulturbetrieb – ob in seinen Büchern, Essays oder Stücken, ob im Schriftstellerverband, wo er sich auch öffentlich gegen Zensur wendet. Im Frühjahr 1989 wird ein Bühnenstück Heins zur denkwürdigen kulturpolitischen Zäsur. Seine Interpretation der alten Artus-Sage in "Die Ritter der Tafelrunde" feiert in Dresden Premiere. Offiziell nur als "Voraufführung" nimmt das Stück den Untergang der DDR vorweg, wie einige seiner Werke.
Rede 1989 vor hunderttausenden Menschen
Seinen wohl größten Auftritt hat er in der Wendezeit am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, als er vor hunderttausenden Menschen spricht. Doch inmitten all der Begeisterung bleibt Hein relativ nüchtern. Er mahnt: "Liebe mündig gewordene Mitbürger […] Lassen wir uns nicht von unserer eigenen Begeisterung täuschen! Wir haben es noch nicht geschafft. Die Kuh ist noch nicht vom Eis. Und es gibt noch genügend Kräfte, die keine Veränderungen wünschen, die eine neue Gesellschaft fürchten und auch zu fürchten haben!"
Erster Präsident des gesamtdeutschen Schriftstellerverbandes
Im vereinten Deutschland schreibt und bleibt Hein bis in die Gegenwart höchst produktiv. Lotet dabei für sich immer wieder neue erzählerische Möglichkeiten aus. Er schafft Komödien, versucht Perspektivenwechsel, Perspektivenvielfalt. Von 1998 bis 2000 ist Hein erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs. 2004 wird er beinahe Intendant des Deutschen Theaters in Berlin.
"Vielleicht ist es auch dieses stilistische Understatement", überlegt Literaturkritiker Jörg Magenau, "das es ihm möglich macht, Geschichte in ihrem Verlauf tatsächlich so nachzuzeichnen – ohne Leidenschaft und immer den Einzelnen im Blick zu haben." Wenn er über geschichtliche Prozesse schreibe, erzähle Hein oft auch Liebesgeschichten.
Was die Wirkung seiner Werke, die von Büchern überhaupt anbelangt, bleibt Hein selbst nüchtern und dennoch hoffnungsvoll: "Ja, ich denke immer noch an diese Wirkung von Literatur, eine sehr langsame, aber eine nachhaltige. Und eine, die man vielleicht auch erst Jahre oder Jahrzehnte später wahrnimmt. – Vielleicht vergleichbar der Erziehung durch die Eltern."
Quelle: MDR KULTUR (Sven Hecker), Munzinger; redaktionelle Bearbeitung: op, lig, hro
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. April 2024 | 06:40 Uhr