Ostprodukte Chronik einer Ostmarke: Barock-Tinte aus Dresden
Hauptinhalt
22. November 2023, 05:00 Uhr
DDR-Kinder kennen sie sicherlich: die "Barock"-Tinte aus Dresden. Seit kurzer Zeit wird unter dem Namen wieder Tinte für Füller vertrieben. Aber auch andere Unternehmen haben Interesse an dem bekannten Namen. Die Geschichte dieser Ostmarke ist geprägt von Veränderungen. Wir werfen einen Blick darauf.
Seit einigen Wochen ist der Name "Barock" wieder Erkennungsmerkmal einer Produktlinie. In einer Dresdner Manufaktur wird die Füllertinte hergestellt, abgefüllt und von dort aus auch vertrieben. Zunächst werden kleine Stückzahlen, maximal 300 Fässchen pro Auftrag, in Handarbeit produziert. Wie sich der Absatz entwickelt, wird sich zeigen. Fest steht: Die Marke hat bereits eine bewegte Geschichte hinter sich.
Gründung unter anderem Namen
1826 gründet der junge Chemiker August Leonhardi unter seinem Namen eine Werkstätte für Büroartikel aller Art. Sein Erfolg ist legendär. Ganze Wagenladungen der Dresdner Produkte gehen in den Export. Das Unternehmen wächst und produziert nicht nur Tinten, sondern auch die Fläschchen, in denen sie verkauft werden.
Unauflösliche Tinte?
Es heißt, aus dem Wrack eines gesunkenen Postschiffs seien völlig durchweichte Dokumente gerettet worden, die mit der Tinte von August Leonhardi geschrieben, aber noch einwandfrei lesbar gewesen wären.
Aber was ist dran an diesem Mythos?
"Ob das tatsächlich so stattgefunden hat, wissen wir nicht. Tatsache ist aber, dass August Leonhardi in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Patent angemeldet hat für eine Alizarin-Tinte. Das war die erste Tinte, die wirklich als dokumentenecht bezeichnet werden konnte und die alle Tests mit Chemikalien, mit Wasser, mit Licht dauerhaft überstanden hat", erklärt Gunther Lange, Geschäftsführer der Octopus Fluids GmbH & Co. KG, die heute die "Barock"-Tinte produziert.
DDR-Zeiten: Der Osten schrieb mit "Barock"
In jeder Schule und in jedem Betrieb der DDR waren Produkte des "VEB Bürochemie Dresden" zu finden. Millionen Menschen nutzten, was unter dem Label "Barock" verkauft wurde. So wurde nicht nur in Klassenräumen mit der Tinte aus Sachsen geschrieben, sondern auch in unzähligen Schreib-, Buchungs- und Rechenmaschinen der DDR waren in Tinte getränkte Farbbänder eingespannt. Diese machten in Tastaturen gehackte Buchstaben auf dem Papier sichtbar. "Wir haben im Prinzip die gesamte DDR beliefert, ein Teil ging in die Sowjetunion und in den Export", berichtet Udo Trejtnar, ehemaliger leitender Mitarbeiter der Firma.
Warum der Name "Barock"? Der Name "Barock" zielte vor allem auf Kunden im Ausland ab. "Der Hauptsitz der Firma 'Barock' ist Dresden. Dresden ist eine barocke Stadt und damit hat man die Marke natürlich identifiziert", erklärt Udo Trejtnar, ehemaliger leitender Mitarbeiter der Firma.
In den 1980er Jahren veränderte sich viel für die Mitarbeiter. Kurz nachdem ihr Betrieb im riesigen Kombinat "Robotron" aufgeht, tauchen immer mehr Computer an den Arbeitsplätzen auf. Je mehr davon in den Alltag einziehen, desto mehr Drucker brauchen Tinte. Bis zur Wende macht der "VEB Bürochemie Dresden" eine Million DDR-Mark Umsatz pro Monat.
Turbulente Zeiten nach der Wende
In die Umbruchphase geht der Betrieb mit etwa 450 Mitarbeitern. Die Mehrzahl von ihnen muss innerhalb weniger Monate den Arbeitsplatz verlassen. Zwischendurch taucht ein Investor auf und verschwindet umgehend wieder. Das Geld aus einem Millionenkredit, den er erhalten hatte, nimmt er mit.
Es folgt eine erneute Annonce der Treuhand: mit Erfolg. Frank-Peter Stritter, selbst Mitarbeiter der Treuhand reizt die Aussicht, Geschäfte mit Tinte zu machen. Die traditionellen Produkte: Farbbänder, Tinten und ein ungiftiger Klebstoff aus Kartoffelstärke werden weiterhin produziert. Der jährliche Umsatz wächst bis auf drei Millionen D-Mark, vor allem wegen des neuen Geschäfts mit Spezialtinten für Farbdrucker.
Die Gewinne allerdings, heißt es von Seiten ehemaliger Mitarbeiter, wären nicht in die Firma geflossen, sondern in die Taschen des neuen Eigentümers. 1996 ist er plötzlich verschwunden. "Barock" muss Insolvenz anmelden.
Ein Jahr später: Wieder steht die Ostmarke vor einem Neuanfang, der dritte inzwischen. Diesmal übernimmt ein Geschäftsmann aus Frankfurt am Main. Aber er kümmert sich anscheinend selten um die Geschäfte. Hoffnungslos überschuldet geht "Barock" 2011, mit einer Handvoll verbliebener Mitarbeiter, in Insolvenz. Die Markenrechte werden dem Hauptgläubiger, einem Unternehmen in Bayern, welches bekannt ist als Hersteller für Druckerpatronen, übertragen.
Die Geschichte dieser Marke ist eigentümlich. Drei Firmen beanspruchen derzeit das Recht an der traditionellen Marke. Unter dem Label "Barock" will die bayerische Firma hautverträgliche Tinte für Tattoos herstellen, die Manufaktur in Dresden produziert Tinte für Füllhalter und auf dem ehemaligen Firmengelände betreibt unter dem gleichen Namen ein drittes Unternehmen einen Freizeitpark.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 07. November 2023 | 20:15 Uhr