"Angst vor dem Unterricht" Musikhochschule Dresden: Studierende berichten von Machtmissbrauch
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24. Juni 2024, 03:00 Uhr
Im Musikstudium arbeiten Lehrende und Studierende besonders eng zusammen. Dabei soll es an Musikhochschulen bundesweit zu Machtmissbrauch gekommen sein – von destruktiver Kritik und Beleidigungen bis hin zu körperlichen Übergriffen. Betroffene werfen den Hochschulen vor, nicht genug Prävention zu betreiben und das Problem herunterzuspielen. Wir haben mit Personen gesprochen, die von Machtmissbrauch an der Musikhochschule Dresden berichten – und haben die Hochschulleitung damit konfrontiert.
- Studierende der Musikhochschule in Dresden berichten über mehrere Fälle von Machtmissbrauch durch Lehrende.
- Deutschlandweit gibt es seit längerem ähnliche Berichte von Studierenden – in München wurden die Vorwürfe von einer wissenschaftlichen Studie untermauert.
- Betroffene fordern, dass es bundesweit solche Erhebungen geben solle, um festzustellen, wie groß das Problem tatsächlich ist.
"Man hat Angst vor dem Unterricht, hat Angst davor, da reinzugehen und rausgeworfen zu werden. Man fühlt sich scheiße und wertlos." Es sind diese Gefühle, die Danni (Name geändert) bewegen, eventuell das Studium hinzuwerfen. Er studiert an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und steht kurz vor seinem Abschluss. Dennoch überlegt er, aufzuhören. Das Musikstudium habe ihm von Beginn an alles abverlangt – mit sechs bis acht Stunden üben am Tag und danach noch arbeiten gehen.
Psychische Probleme durch das Studium
Das ist jedoch nicht das einzige: Danni spricht im Interview mit MDR KULTUR von psychischer Abhängigkeit von einem Professor, der ihn subtil beherrsche und unter Druck setze. Von anderen höre er, dass sie im Unterricht angeschrien oder rausgeschmissen werden. Das kam bei ihm nicht vor – dafür aber Unterrichtsstunden, in denen er fast durchweg geweint habe. Mittlerweile ist er in Therapie. Öffentlich gemacht hat er das Problem nicht und möchte auch in diesem Artikel unerkannt bleiben, aus Sorge vor Konsequenzen.
Man hat Angst vor dem Unterricht.
Musikhochschulen seien durch das Machtgefälle zwischen Lehrenden und Studierenden besonders anfällig für solche Probleme, sagen er und andere Betroffene. Eine nicht repräsentative, anonyme Umfrage, die vom Studierendenrat der Musikhochschule in Weimar durchgeführt wurde, unterstützt diese These. Darin wurden bundesweit Studentinnen und Studenten der Musikhochschulen befragt, ob und in welcher Form sie Machtmissbrauch erlebt haben.
Die im Frühjahr abgeschlossene Umfrage liegt MDR KULTUR vor und listet 613 Vorfälle von 161 Befragten in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf – es zeigt sich ein breites Spektrum an Machtmissbrauch, Diskriminierung und sogar körperlichen Übergriffen. Studierende berichten unter anderem von Beleidigungen ("Du bist eine Schande für das Institut"), körperlichen Berührungen gegen ihren Willen und mutwillig schlechten Bewertungen – mutmaßlich wegen fehlender Sympathie.
Was gilt als Machtmissbrauch? (zum Aufklappen)
Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird Machtmissbrauch wie folgt definiert: "Machtmissbrauch ist der Missbrauch einer (ggf. nur gefühlten) Machtposition, um anderen Personen – über welche man Macht ausüben kann – zu schaden, sie zu schikanieren oder zu benachteiligen oder um sich selbst oder Günstlingen persönliche Vorteile zu verschaffen."
Studie aus München belegt Machtmissbrauch
An der Münchner Musik- und Theaterhochschule wurde eigens eine wissenschaftliche Studie beauftragt, um die dortige Situation besser einschätzen zu können. Das Ergebnis: 70 Prozent der Befragten haben Machtmissbrauch mindestens einmal selbst erlebt. Zehn Prozent gaben an, körperliche und psychische Gewalt erlebt zu haben.
Avo (Name geändert) hat wie Danni in Dresden studiert und selbst körperliche Übergriffe von Lehrenden erlebt. Im Interview mit MDR KULTUR hat sie die Vorfälle ausführlich geschildert, möchte die Details aber zu ihrem eigenen Schutz nicht öffentlich machen. Avo kritisiert den grundsätzlichen Umgang an der Musikhochschule: "Es ist Usus, dass man Körper kommentieren darf. Es ist Usus, dass man Leute anfasst, ohne zu fragen. Es ist klar, dass da Übergriffigkeiten stattfinden, genau das Gleiche mit rassistischen Dingen." Dies bleibe aber meist unkommentiert und man nehme es hin.
Denn als Studentin einer Musikhochschule müsse man "bereit sein, alles zu tun", sagt sie. Wegen solcher Vorfälle komme es auch immer wieder zu Studienabbrüchen: "Das wird aber nirgends erfasst, taucht nirgends auf. Es gibt niemanden, der danach fragt." Dabei sei das Thema für die ganze Gesellschaft relevant – schließlich fließe "unfassbar viel Steuergeld" in die Ausbildung an Musikhochschulen.
Es ist Usus, dass man Leute anfasst, ohne zu fragen. Es ist klar, dass da Übergriffigkeiten stattfinden.
An den Musikhochschulen ist das Thema nicht erst seit der Umfrage und der Studie in München bekannt. Die Rektorin der Dresdner Musikhochschule, Claudia Schmidt-Krahmer, sagte auf Nachfrage von MDR KULTUR: Wenn es solche Vorfälle gebe, sei das inakzeptabel. Sie versichert, dass die Hochschule entschlossen gegen sexualisierte Gewalt und Diskriminierung vorgeht.
Austausch zwischen Hochschule und Studierenden wichtig
Man stehe im engen Austausch mit den Studierenden, habe ein Vertrauensteam gebildet und dadurch mehrere Möglichkeiten für eine Kontaktaufnahme geschaffen. Außerdem gebe es ein Postfach, in dem Studierende anonym ihre Sorgen teilen könnten. Um in schwerwiegenderen Fällen etwas tun zu können, müsse der oder die Betroffene allerdings aus der Anonymität heraustreten: "Ich kann als Hochschulleitung nur agieren, wenn da eine Klage vorliegt." Im Fall von ihrer Hochschule in Dresden gebe es "keine Fälle, die vorliegen".
Oliver Franz vom Studierendenrat in Dresden berichtet, für die Betroffenen sei "die Konfrontation mit der Lehrperson" ein schwerer Schritt. Er halte es aber für wichtig, dass mehr Leute diesen Schritt wagten und als positives Beispiel vorangingen. Avo, die ihr Studium bereits abgeschlossen hat, glaubt, dass man damit jedoch die eigene Karriere in Gefahr bringen könne – zum Beispiel durch "schlechte Noten", die dann vergeben würden. Auch deshalb wollte und will sie anonym bleiben. Auch nach ihrem Studium hat sie Angst vor Konsequenzen für ihre berufliche Laufbahn.
Forderungen von Hochschulen und Betroffenen
Claudia Schmidt-Krahmer widerspricht dem entschlossen. Sie glaube, ein offener Umgang sei wichtig und die Wahrscheinlichkeit eines "Karriereknicks" sei "vielleicht viel größer, wenn man so ein Problem mit sich herumschleppt". Gemeinsam mit anderen Hochschulleitungen hat sie vor Kurzem in einer Rektorenkonferenz ein Positionspapier und Handlungsempfehlungen zum Thema Machtmissbrauch veröffentlicht.
Der Karriereknick ist vielleicht viel größer, wenn man so ein Problem mit sich herumschleppt.
Darin fordern sie unter anderem spezifische Fortbildungen für Dozentinnen und Dozenten sowie Erhebungen, wie viele Studierende betroffen sind. Solche Erhebungen sind an den Hochschulen in Dresden, Weimar und Leipzig jedoch bisher nicht geplant, wie die jeweiligen Hochschulleitungen auf Anfrage von MDR KULTUR mitteilten.
Die Betroffenen und auch die Studierendenräte der Musikhochschulen wollen unbedingt, dass diese Erhebungen durchgeführt werden, um das Ausmaß der Missstände klarer sehen zu können. Der Stura in Dresden hat seinerseits einen Forderungskatalog der Initiative gegen Machtmissbrauch an Musikhochschulen unterzeichnet und fordert, "dass Lehrende generell an Schulungen teilnehmen" sollen, so Oliver Franz. Es müsse verpflichtend sein, "dass sie sensibilisiert werden".
Quelle: MDR KULTUR, IPP München, Umfrage des Stura Weimar
redaktionelle Bearbeitung: pb, hki, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Juni 2024 | 07:10 Uhr