Selbstversuch Was taugen die neuen Radwege am Flügelweg und am Blauen Wunder in Dresden?
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10. April 2024, 05:00 Uhr
Mehr Sicherheit und Platz für den Radverkehr. Im Dresden sind in dieser Woche zwei Verkehrsversuche gestartet: Im Westen wurde am Flügelweg Dresdens erste Umweltspur eingerichtet. Im Dresdener Osten sorgt eine Radwegmarkierung am viel befahrenen Blauen Wunder für allerlei Diskussionen. MDR SACHSEN wollte wissen, was die neuen Radwege taugen und hat den Drahtesel aus dem Keller geholt.
- Mehr Sicherheitsgefühl beim Verkehrsversuch am Flügelweg im Dresdner Westen.
- Fahrvergnügen auf eigener Radspur nur von kurzer Dauer.
- Der Selbstversuch mit dem Rad am Blauen Wunder wirft einige Fragen auf.
Die Sonne lockt, die Vögel zwitschern und es riecht nach Frühling. Kein Wölkchen am Himmel und keine Ausrede mehr: Es ist der perfekte Zeitpunkt, um das Rad aus dem Keller zu holen und damit zur Arbeit zu fahren. Das Auto hat Ruhetag. Zumal Radfahren sowieso viel gesünder ist und die Stadt nun mit zwei Verkehrsversuchen am Blauen Wunder und am Flügelweg mehr Sicherheit für den Radverkehr schaffen will. Wie das funktioniert, schaue ich mir an.
Ich puste den Staub vom Fahrradsattel und nehme mir vor, bald wirklich mal den alten Kindersitz an der Vorderstange abzuschrauben. Aber nicht jetzt. Die Luft ist aufgepumpt und auch die riesige Klingel am Lenker funktioniert noch. Im Körbchen vorne klappert vorfreudig das Fahrradschloss bei jeder kleinen Bodenwelle. Nach wenigen Metern findet auch meine Jacke darin Platz. Der Fahrtwind an meinen Armen ist warm. Aus Richtung Kaditz geht's zur vielbefahrenen Flügelwegbrücke Richtung Cotta.
Mehr Sicherheit am Flügelweg
Bei der Fahrt über die Flügelwegbrücke muss ich mir den Radweg mit Fußgängern teilen. Es sind nur wenige. Weit gefährlicher scheint an diesem Morgen der vom Winter liegen gebliebene Rollsplitt. Bloß nicht ausrutschen! Schlagartig fällt mir ein, dass mein Helm noch Zuhause liegt. Typisch zu Beginn der neuen Fahrradsaison.
An der Kreuzung kurz nach der Flügelwegbrücke wird der Radverkehr auf die Straße umgeleitet. In Richtung Cotta fließt die schmale weiße Markierung in eine richtige breite Spur. In der Mitte ist ein gelbes Fahrrad abgebildet und in großen Lettern die Aufschrift "BUS". Radfahrer und ÖPNV teilen sich diese sogenannte Umweltspur. Dafür wurde dem regulären Autoverkehr eine Fahrbahn genommen.
Durch die Breite können eilige Radler und Radlerinnen ohne Probleme gemütliche Fahrradfahrerinnen wie mich überholen. Auch zu zweit nebeneinander fahren ist problemlos möglich. Die Autos rauschen mit einem guten Abstand, weit genug entfernt von mir, vorbei. Ich fühle mich sicher, obwohl die Straße recht stark befahren ist. Der Abgasgeruch trügt den Fahrspaß ein wenig.
... doch wehe, wenn ein Bus kommt
Auf der breiten Fahrspur rolle ich genüsslich mit meinem Drahtesel den abschüssigen Flügelweg in Richtung Cotta auf die Eisenbahnunterführung zu. Haare und Ohrringe flattern im Wind. Freiheit pur. Doch plötzlich höre ich das bedrohliche Geräusch eines Linienbusses hinter mir. Trete ich jetzt nicht kräftig in die Pedale, kommen alle, die im Bus sitzen, zu spät. Überholen kann der Bus nicht, zu stark befahren ist die Spur nebenan. Also Zähne zusammen beißen und losgestrampelt. Doch plötzlich geht's bergauf. Schnell rette ich mich in eine Seitenstraße, biege ab und lasse den Bus vorbei.
Dann geht's weiter. Ein kleines Stück Radweg liegt noch vor mir. Neben mir taucht eine Frau auf. Wir fahren ein Stück gemeinsam. Sie hat es eilig, aber ein paar Worte wechseln wir dennoch. Sie erzählt, dass sie die gelbe Markierung weiter oben erst gar nicht bemerkt hatte und gewohnheitsmäßig auf dem Gehweg fahren wollte. Doch als sie auf der Gegenseite sah, wie ein Mann die neue Spur auf der Straße nutzte, hat sie es auch probiert. Ihr Eindruck: "Fühlt sich gut an". Bequem können wir nebeneinander fahren und plaudern, ohne den Verkehr zu stören.
Fahrvergnügen nur von kurzer Dauer
Doch die Fahrt endet für uns abrupt an einer ziemlich hohen Bordsteinkante. Gut, dass wir nicht zu sehr ins Gespräch vertieft waren. Eine kleine Rampe wäre an dieser Stelle angebracht. Also absteigen, das Rad auf den Gehweg heben und weiter geht's zu Fuß für die Unbekannte und mich - für sie geradeaus und ich überquere wenig später die Straße, um den neuen Radweg auch auf der Gegenseite zu testen.
Umweltspur nur in eine Richtung
Der Radweg Richtung Elbe ist keine Umweltspur, sondern ein klassischer Radweg - dafür aber neu und ohne Bus-Stress. Ein Radler, der kurz neben mir fährt, berichtet, dass der schmale Fußweg unter der Brücke vorher von vielen auch zum Radfahren genutzt wurde. Das habe schon zu gefährlichen Situationen geführt. Er finde den Radweg auf der Straße super, sagt er noch, dann radelt er davon.
Auch meine Geschwindigkeit erhöht sich. Bergab sause ich den neu eingerichteten Radweg hinunter und bin für kurze Zeit fast so schnell wie Menschen, die regelmäßig Rad fahren. Ich fühle, wie sich meine Mundwinkel unweigerlich Richtung Himmel bewegen. Doch der Fahrspaß endet schnell. Kurz nach der Unterführung wird der Radweg auf den Gehweg umgeleitet - ausgerechnet über ein kurzes Stück Kopfsteinplaster-Ausfahrt. Mein Rad klappert unangenehm.
Für mich ist es nun aus mit dem Fahrvergnügen: Es geht bergauf, der Weg wird eng und oben bei der Bushaltestelle werden Radfahrerinnen und Radfahrer völlig ausgebremst. Wenn hier gerade ein Bus kommt, ist kein Durchkommen, weil viele Menschen ein- und aussteigen. Als Radfahrerin wäre es schöner ohne Spurwechsel auf den Gehweg, mit durchgängigen Radweg auf der Straße. Ich starte zur Brücke Blaues Wunder im Osten der Stadt. Dort läuft bis Mitte Juni ein weiterer Verkehrsversuch.
Radtour am Blauen Wunder
Der Verkehrsversuch am Blauen Wunder sorgt für viele Diskussionen in der Stadtgesellschaft. Ich bin gespannt, was dran ist an der Kritik. An der berühmten Brücke angekommen, geht's vom Schillerplatz in Richtung Loschwitz zum Körnerplatz.
Es ist ein schönes Gefühl, mit dem Rad über den glatten Asphalt zu gleiten, über die historische Brücke auf einem eigenen Radstreifen, mit Blick auf die Elbe. Genervte Gesichter in den Autos sehe ich an diesem Vormittag keine. Der Verkehr rollt dahin. Doch ein Stück nach der Brücke endet das gute Gefühl: Der Radstreifen läuft ins Leere und ich muss mir die Straße mit den Autos teilen. Für Gelegenheitsfahrer oder Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis eher weniger schön.
Umständlicher Fahrbahnwechsel am Körnerplatz
Am Körnerplatz angekommen, muss ich insgesamt drei Ampeln benutzen, um die Fahrbahnseite zu wechseln. Denn die neue Markierung am Blauen Wunder möchte ich auch auf der Gegenseite testen. Es dauert ziemlich lange, bis die Ampeln auf Grün schalten. Endlich auf der anderen Seite, bin ich kurz unsicher: Ist der Gehweg für Radfahrer freigegeben oder muss man hier auf der Straße fahren? Da es kein Schild gibt, muss es wohl die Straße sein. Eine Markierung ist noch nicht in Sicht.
Weil ich nicht auf der zweispurigen Straße mit dem Rad fahren möchte, schiebe ich ein Stück auf dem Gehweg. Dann beginnt die gelbe Markierung. Der Autoverkehr verdichtet sich auf eine Fahrbahn und der Radverkehr hat nun plötzlich eine eigene Spur. Wer vorher unerlaubterweise auf dem Gehweg gefahren ist, muss das Rad wegen der hohen Bordsteinkante runter heben. Aber das Fahren auf dem Gehweg ist an dieser Stelle ja ohnehin nicht erlaubt.
Dann geht's aber ganz gut mit dem Radweg. Ich radle über die Brücke. Es ist ein sicheres Gefühl. Autos und Busse ziehen im gemächlichen Tempo an mir vorbei. Dann geht der Radweg in einen roten, gut sichtbaren Streifen über. Der Radweg führt nun zwischen Rechtsabiegespur und der Spur, die geradeaus und nach links führt.
Sicher gelange ich über die vielbefahrene Kreuzung. In einer Tempo-20-Zone endet die Fahrt. Die Fahrbahn verengt sich und der Radstreifen löst sich in Luft auf. Ich drehe mich um und schaue auf die Kreuzung mit der neuen, prägnanten Fahrbahnmarkierung in Rot. Am späten Vormittag rollt der Verkehr gemächlich und von Chaos ist keine Spur. Allerdings beobachte ich auch, dass immer wieder Radfahrerinnen und Radfahrer die Gehwege an den äußeren Rändern der Brücke nutzen, trotz neuem Radweg.
Mehr Verständnis für Autofahrer als Freude über den Radweg
Ich kehre nochmal zur Brücke zurück und schaue mir den Gehweg an. In Richtung Schillerplatz ist er asphaltiert, in Richtung Loschwitz besteht er aus Holzbohlen. Durch die Schrauben in der Mitte sieht es so aus, als würden sie den Weg in eine Rad- und eine Fußweg-Spur teilen. Doch eine Fußgängerin erzählt mir, dass der Gehweg nicht als Radweg freigegeben sei - auch schon vor dem Verkehrsversuch nicht. Sie selbst habe schon mal 25 Euro Strafe zahlen müssen, weil sie mit dem Rad auf dem Gehweg am Blauen Wunder unterwegs war und die Polizei sie erwischt habe.
Der Blick auf den sehr breiten Gehweg lässt mich etwas ratlos zurück. Tatsächlich erscheint er mir als Gelegenheitsfahrerin breit genug - wenn auch etwas holprig in Richtung Loschwitz. Darauf, wie der Verkehrsversuch am Blauen Wunder ausgehen wird, bin ich gespannt. Selbst unter Radfahrerinnen und Radfahrern scheint sich die Begeisterung über die neuen Radspuren in Grenzen zu halten. Es gibt positive Stimmen. Doch bei den Radlerinnen und Radlern, die mir begegnen, erlebe ich mehr Verständnis und Beleidsbekundungen für die Autofahrer, die nun in Stoßzeiten länger warten müssen, als Freude über ihr neues Privileg.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 08. April 2024 | 19:00 Uhr